Kunsthistoriker Wichmann über den unnatürlichen Tod Ludwig II. (Teil 1)

Der alte Mann und der König - Nach 28 Jahren Forschung veröffentlicht Professor Siegfried Wichmann neue Fakten zum Mord an Ludwig II.
Titelbild
Siegfried Wichmann, einer der bedeutendsten Kunsthistoriker. (Mihai Bejan/ETD)
Von 24. März 2008

Ein kleines Stück Leinwand mit drei Gesichtern, die Profilansicht eines Mannes, der seinen schockierten Blick auf einen Toten richtet, aus dessen Mund frisches Blut fließt, daneben ein niedergeschlagener Bärtiger, dem Tränen über die Wange laufen. „Wann ist das Bild entstanden“, hatte der Besitzer des Bildes den Kunstexperten Siegfried Wichmann gefragt. Das war an einem Novembertag im Jahr 1967. Er untersuchte den sonderbaren Fund und fand auf der Rückseite die Namen der Dargestellten – „Schleiss v. L.“, „Ludwig II.“ und „Hornig“. Das Dreier-Portrait, stellte er zweifelsfrei fest, war gemalt von Hermann Kaulbach, dem Maler, der König Ludwig II. in den letzten Tagen seines Lebens begleitet hatte. Oberkonservator Wichmann fotografierte das Bild und archivierte es für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Dann gab er es dem Besitzer zurück.

Die Begegnung mit dem bis dahin unbekannten Bild ließ Siegfried Wichmann seitdem nicht mehr los. Für ihn war klar, dass hier der tote König Ludwig abgebildet war, der gerade von seinen Freunden gefunden worden war. Kaulbach musste die Skizze direkt nach dem Fund der noch nicht erstarrten Leiche im Abendlicht des 13. Juni 1886 angefertigt haben, in dem er den Malkasten, den er stets bei sich zu tragen pflegte, auf den Bauch des Toten stellte und ihn in liegender Perspektive portraitierte.

Wichmann musste beim Anblick des blutgefüllten Mundes von Ludwig II. an den Lungendurchschuss denken, den er selbst als junger Soldat an der Eismeerfront erlitten und überlebt hatte. Er begann, die bis heute propagierte Geschichte – vom Ertrinkungstod des Königs durch Selbstmord im Starnberger See, – in Frage zu stellen. Heute geht er von folgender Version aus: Ludwig wurde am Ufer des Starnberger Sees von einem unbekannten Schützen mit zwei Lungenschüssen ermordet. Mittäter Psychiater Bernhard v. Gudden, der den König zum Tatort geführt hatte, wurde von den Unterstützern Ludwigs überrascht, als er dabei war die Spuren zu verwischen. Er fing mit ihnen einen Kampf auf Leben und Tod an, indem er erdrosselt wurde. „Sie wollten eigentlich dem König zur Flucht verhelfen, Löwenfeld, im Boot mit den beiden Stallmeistern Hornig und Kaulbach. Sie kamen einfach fünf Minuten zu spät…“ erklärt Wichmann.

Hermann Kaulbachs Ölskizze mit Dr. Schleiss von Löwenfeld, Ludwig II. und Richard Hornig. (Siegfried Wichmann)
Hermann Kaulbachs Ölskizze mit Dr. Schleiss von Löwenfeld, Ludwig II. und Richard Hornig. (Siegfried Wichmann)

Der Tod des Königs markierte das Ende einer Tragödie, die sich über zwanzig Jahre hingezogen hatte. Eine intrigierende Gruppe von Ministern, die den König beseitigen wollte, hatte ihn – als einen völlig gesunden Menschen – in die Enge getrieben, für geisteskrank erklären lassen, seiner Regierungskompetenzen beraubt und gefangen genommen. Nach dem Mord wurde alles unternommen, um das Verbrechen zu vertuschen und als Selbstmord darzustellen, vom pompösen Staatsbegräbnis bis hin zu posthum erdichteten Lügen über Ludwigs Person und geistige Verfassung.

Könige lebten gefährlich am Ende des 19. Jahrhunderts, es war eine Epoche, in der sich Attentate auf gekrönte Häupter häuften: Kaiser Maximilian von Mexiko war 1867 hingerichtet worden. Zar Alexander II. Starb 1881 durch ein Attentat. Queen Victoria entkam mehreren Anschlägen, Kaiserin Sisi von Österreich wurde 1898 erstochen. Für Prof. Wichmann ist König Ludwig II. ein weiteres, tragisches Beispiel in dieser Reihe. Besonders schmerzt ihn, dass seine damaligen Widersacher eine Schädigung seines Ansehens bewirken konnten, die bis heute verhindert hat, dass Ludwigs überragende Verdienste um die europäische Kultur uneingeschränkt gewürdigt werden.

Wichmann stammt selbst aus einer Familie von Künstlern. Die Leidenschaft für Kultur und Kunst wurde sein Lebensinhalt. Seine Begeisterung für die Vielfalt der Welt führte ihn bis nach Japan und Kanada, wo er mehrere Jahre lebte. Er lehrte Kunstgeschichte in Karlsruhe, arbeitete an den Münchener Pinakotheken, betreute unzählige Ausstellungen im In- und Ausland, und gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

In seinem Haus in Starnberg erzählte der 87-jährige der Epoch Times-Reporterin Rosemarie Frühauf von seinem Leben, seiner Forschung und seiner „schicksalhaften Beziehung“ zu Ludwig II.

Der aufgebahrte König Ludwig II. in der alten Residenz­kapelle. Sein Gesicht war von der Autopsie entstellt. (Siegfried Wichmann)
Der aufgebahrte König Ludwig II. in der alten Residenz­kapelle. Sein Gesicht war von der Autopsie entstellt. (Siegfried Wichmann)

„Ich bin ja noch Soldat gewesen mit neunzehneinhalb Jahren, wurde an der Eismeerfront sehr schwer verwundet, und die Verletzung war unglaublich. Jedenfalls war ich so schwer lädiert, dass ich einen ähnlichen Durchschuss hatte wie der König. Das ich heute so ein wilder Arbeiter bin, hängt damit zusammen, dass ich mich beruhigen muss. Ich wäre beinahe gestorben und konnte doch leben. Darum weiß ich, was Lungenblut im Mund bedeutet.“

Obwohl er sich persönlich so stark mit dem Bild des Toten identifizierte, bewahrte sich der Historiker Wichmann den akribischen Umgang mit den Fakten. So findet Wichmann die intensive Erforschung aller verfügbaren Quellen unverzichtbar, weshalb er mit seinen Erkenntnissen über Ludwigs Tod erst nach 28 Jahren Recherche an die Öffentlichkeit trat. Diesen unbestechlichen Blick vermisst er in der heutigen Ludwig-Forschung oft. Besonders heikel gestaltet sich die Suche nach der Wahrheit auch deshalb, weil die Adelsfamilie der Wittelsbacher, aus der Ludwig II. stammte, bis heute die öffentliche Wahrnehmung der Person Ludwigs und seiner Biographie nach ihren Absichten zu beeinflussen versucht. Laut Wichmann sind so genannte Dokumentationen wie „Der Tod König Ludwig II. von Bayern“ von Wilhelm Wöbking, vor diesem Hintergrund kritisch zu betrachten:

„Das neue Buch von Wöbking ist von den Wittelsbachern herausgegeben worden. Er hat ganze Teile aus dem Forschungsbereich einfach weggelassen. Zum Beispiel passte der Schleiss von Löwenfeld überhaupt nicht in sein Konzept – das war wohl angeordneter Wille. Ich habe sein Buch mit Absicht mehrfach zitiert, dadurch konnte ich auf die riesigen Weglassungen hinweisen, die ungerecht, unhistorisch und damit nicht stimmig sind.“

„Als ich in Japan war, bin ich mit vielen Menschen zusammengekommen. Als sie mir ihre Wohnung zeigten, hingen da meist fünf, sechs großformatige Fotografien der Königsschlösser. Wie kommt es, dass die Asiaten so eine Neigung zu Ludwig II. haben? Das hängt damit zusammen, dass Ludwig II. ein hochbegabter, unglaublich fantasiereicher Mann war.“

„Man muss sich mal vorstellen was ihm alles angehängt wurde an unmöglichen Dingen! Die Gegnerschaft des Königs wurde von der Gosse her aufgebaut. Das waren die Stallknechte vom Grafen Holnstein, dem obersten Stallmeister, 86 Stallknechte untersten Bildungsniveaus. Die wurden alle vom Oberstallmeister angewiesen, Zettel abzugeben mit den furchtbarsten Beschreibungen des Königs. Diese Informationen gingen dann an die Reichsräte, die entscheiden mussten ob der König nun gesund oder irrsinnig sei – aufgrund dieser Zettel!

Und warum hat Holnstein dass getan? Er hasste den König, weil dieser ihm nachgewiesen hatte, dass er ihm Geld entwendet hatte.“

Über den Anführer der Verschwörer, Johann Freiherr von Lutz, sagt er:

„Der Lutz war im Grunde nichts anderes als ein sehr schwacher Politiker, immer wenn seine Schwäche so groß war, dass er nicht weiter regieren konnte, benutzte er die Güte des Königs oder machte niedrigste Polemik gegen ihn, um von seinem eigenen Versagen abzulenken. Das war ein Ungeheuer, der Lutz! Der Lutz führte mit Holnstein eine Bande. Er hatte die Leute zu Nachtgesprächen eingeladen und machte ihnen die tollsten Versprechungen. Mit in dieser Tötungsgruppe war auch der Freyschlag von Freyenstein. Da habe ich mir ja sehr den Mund verbrannt, dadurch das ich ihn nannte, er war im Grunde der Mann, der den Prinzregenten Luitpold vertrat. Der Prinzregent war ein ehrlicher bayerischer Jäger. Bismarck war auch ganz zufrieden, dass dann auch der Prinzregent gewonnen wurde, aber immer über diesen Freyschlag, der ein sehr unsympathischer Mensch war…“

Ludwig II von Bayern. (Wikipedia)
Ludwig II von Bayern. (Wikipedia)

Wichmann sieht die Problematik Bayerns im preußisch regierten Deutschen Kaiserreich an dem von außen aufgezwungenen Linksruck der Politik, mit dem sich Ludwig konfrontiert sah:

„Die Gegenregierung war schlecht angelegt. Man verstand das Bayernland nicht. Bayern war nicht liberal, es gab hier keine Großgrundbesitzer, und der preußische Liberalismus konnte nicht funktionieren. Es waren alles fromme Kleinsiedler, die zu Gott schrieen und ein enges Verhältnis zur Religion hatten. Und das hatte ja auch Ludwig. Der Ludwig II war ein religiöser Mensch.“

Und indem er auf die dem König nachgesagte Homosexualität zu sprechen kommt, fügt er hinzu: „Ich will das hier nicht ausbreiten – aber der König hatte unwahrscheinliche Zweifel, er litt daran! Wenn Sie die privaten Briefe lesen, dann sehen Sie, wie er sich mit diesem Problem auseinandersetzen muss, und welche Leistungen er erbrachte, trotz dieser Anfeindungen solche fantastischen Dinge zu bauen.“

„Ich habe zum ersten Mal nachgewiesen, dass er auch islamische Kalligraphie geschrieben hat – in einer perfekten Art und Weise. Er hat in seinen Schriftduktus diesen Schwung der islamischen Kalligraphie eingebracht.

Als der König 1867 auf die Weltausstellung ging, hatte er die Bewegung in der Welt kennen gelernt – Ostasien, Südamerika – er war ein unglaublich aufgeschlossener Mann. Ludwig II. war der beste Kenner der Weltausstellungen. Woher hatte er diese Kräfte? Er war ein genialer Mann, er wird heute völlig falsch dargestellt.“

Auf die Frage, warum er bis heute falsch dargestellt werde und ob dieser Rufmord Folge des Mord-Komplotts sei, antwortet Wichmann nachdenklich:

„Das habe ich mich auch oft gefragt. Auf Grund meiner sehr langen Erfahrung bei der Bearbeitung dieses Themas, würde ich sagen, das ist eine Folge der politischen Situation, die natürlich unterteilt ist in eine politische und menschliche Situation. Man hat diese Gruppierung nie richtig zusammen bringen können. Bei Wöbking finden Sie dreihundert Seiten über das Ausmaß dieser „Homosexualität“, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Die Vorwürfe dieser Personen hat man nach dem Tod des Königs ständig, ständig hochgepeitscht. Und das bringt der Wöbking auch. Wenn ich diese Seiten so lese, wundert mich, dass die nichts anderes gefunden haben an diesem begabten Mann.“

Zu seinen eigenen Forschungsergebnissen wurde er durch einige ganz „unwahrscheinliche“ Zufälle geführt, die ihn heute noch Erstaunen lassen…

„1967 habe ich dieses Bild gesehen, dass ich mich so bewegt hat, dass ich es unbedingt vergessen wollte, weil es mich zu sehr an mein eigenes Leben erinnerte. Ludwig II. hat zwei Lungenschüsse bekommen, ich selbst habe mich in so einer Situation wie der tote König befunden. Auf der Flucht vor dem Bild kam es mir sehr gelegen, dass ich 1968 den Auftrag erhielt, die riesige „Weltkulturen“ Ausstellung anlässlich der Olympischen Spiele 1972 zu machen, die mich fünf Jahre lang beschäftigen sollte. 1982 fand ich dummerweise den Nachlass vom Schleiss von Löwenfeld und kaufte ihn auf einer Versteigerung in Köln; er hat soviel gekostet wie ein Eigenheim, nur so konnte ich ihn erwerben. Insgesamt waren 36 Bieter da, auch Franz von Bayern und das Geheime Hausarchiv der Wittelsbacher, die wollten das alle kaufen. Ich bin ja nicht hingefahren, sondern habe am Telefon geboten. Und die hat immer in den Hörer gerufen: „Bieten Sie noch?“ Und ich antwortete: „Ich hab noch nichts gesagt. Ich biete noch!“ Die dachten, das ist ein Verrückter, der gibt nicht nach… und dann hab ich´s bekommen.“

Sein Spürsinn und die immense Investition erwiesen sich als bahnbrechend, als Wichmann im kunstvollen Einband eines Buches, das ein Geschenk König Ludwigs an Schleiss von Löwenfeld gewesen war, Zettel mit Notizen fand, die ihm den Weg für seine weitere Forschung wiesen. Durch eine glückliche Fügung waren sie der Aufmerksamkeit anderer entgangen: Die autobiografischen Notizen von Löwenfelds lieferten Hinweise auf die Ereignisse in der Mordnacht. Sie waren alle in abgekürzter Sütterlinschrift verfasst und damit für Laien unlesbar gewesen… „Das habe ich alles in den USA und Kanada deponiert, damit es nicht weg kommt.“

Teil 2: Ein Mord wird als Selbstmord dargestellt: Rekonstruktion der tragischen Ereignisse

Teil 3: Neue Forschungsergebnisse über Ludwig II.: „Der König war ein genialer Mann“

 

Buchtipp:

„Das Anliegen des Autors bestand nicht nur in der Schilderung der Vorbereitung und Tötung. Denn trotz Mord und Freiheitsberaubung bleibt König Ludwig II. in diesem Buch der internationale Planer, der Erfinder und schöpferische Mäzen, denn er war der Forscher im Bereich der europäischen Kulturen, er war absoluter Kenner der Weltausstellungen seines Jahrhunderts, er sammelte und schrieb islamische Kalligrafie, er blieb ein überragender Staatsmann und führte das Land der Bayern mit sicherer Hand.“ (aus Siegfried Wichmanns Buch „Die Tötung des Königs Ludwig II. von Bayern“, erschienen 2007 im Selbstverlag. Das Buch ist für 75 Euro erhältlich (ISBN 978-3-00-022234-4).

Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 8/08

 



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