Linksextreme führen Kampagnen gegen missliebige Professoren – und Rektoren ducken sich weg

Die totalitären Ideologien der Moderne waren vor allem Produkte der Vorstellungskraft von Intellektuellen. Auch heute sind extremistische Bestrebungen an Universitäten überdurchschnittlich präsent – und bemühen sich, Andersdenkende mundtot zu machen.
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"Die Frankfurter Schule" öffnete ihr Zentrum 1924 in Frankfurt am Mailn. Das Goethe-Denkmal und die Goethe-Universität in Frankfurt/Main.Foto: istockphoto/lilly3 & Thomas
Von 7. März 2019

„Es ist nicht die Wahrheit des Sozialismus, die den Intellektuellen fasziniert, sondern die Macht, die dieser ihm verspricht“, ist ein Zitat, das dem britischen Autor Sir Roger Scruton zugeschrieben wird. Es bringt im Wesentlichen das auf den Punkt, was auch der 2002 verstorbene Volkswirt Roland Baader in einem seiner letzten Bücher, „Totgedacht – Wie Intellektuelle die Welt zerstören“, in ausführlicher Weise analysiert hat.

Baader kommt zu dem Fazit, dass sich von den Philosophen der Antike bis hin zu heutigen Akademikern vor allem die Angehörigen der Intelligenz dazu berufen fühlten, umfassende Entwürfe für ein Zusammenleben zu ersinnen, die stets auf das gleiche Szenario hinausliefen: Einer zahlenmäßig begrenzten Elite käme die Aufgabe zu, in möglichst allen Lebensbereichen verbindliche Regeln für jedermann, vor allem aber für die Massen aufzustellen. Selbstredend ginge jeder von ihnen davon aus, dass er selbst zu dieser Elite gehören müsste.

Baader führt dieses Phänomen vor allem darauf zurück, dass Intellektuelle ein grundsätzliches Problem mit der Vorstellung hätten, ein Gemeinwesen könne auch dann funktionieren, wenn der Staat auf minimale Aufgaben wie den Schutz von Leben, körperlicher Integrität und Eigentum seiner Bürger beschränkt würde und darüber hinaus keinerlei politischen Gestaltungsauftrag hätte. In einer solchen Ordnung müssten Intellektuelle selbst auf einem freien Markt danach trachten, ihre Fähigkeiten in den Dienst anderer Menschen zu stellen, statt diesen Vorschriften zu machen.

Arbeitsbeschaffung in eigener Sache?

Für viele Studierte stelle es jedoch eine Form der narzisstischen Kränkung dar, wenn ein Handwerker ein besseres Einkommen erziele als ein Soziologe – darüber hinaus produziere eine fehlgeleitete Bildungspolitik heute eine Vielzahl an Studenten, deren Qualifikationen auf einem freien Arbeitsmarkt nicht gefragt wären. Deshalb wäre es die hauptsächlich von Akademikern gestaltete Politik, stetig neue Aufgaben zu schaffen, um einen hauptsächlich mit Akademikern bemannten staatlichen Beamtenapparat unterhalten und rechtfertigen zu können. Ein möglichst mächtiger, gar totalitärer Staat würde diesbezüglich die besten Voraussetzungen bieten.

Baaders ökonomisch geprägter ist nicht der einzige Erklärungsansatz für das Phänomen, dass spätestens seit der Französischen Revolution so viele Versuche, Theorien und Gesellschaftsentwürfe umzusetzen, die gänzlich oder wesentlich von Intellektuellen konzipiert wurden, in Blutbädern endeten. Neben der Französischen Revolution selbst, die neben blutigen Diadochenkämpfen unter den Jakobinern selbst auch den ersten modernen Völkermord in der Vendée zur Folge hatte, war der Marxismus eine gleichsam ausschließliche Angelegenheit von Intellektuellen.

Auch der Nationalsozialismus stützte sich, obwohl er funktionell ein Bündnis zwischen ausgesteuerten Funktionseliten in Beamtenschaft und Militär mit einem fanatisierten Lumpenproletariat war, auf Vorarbeiten von Intellektuellen des 19. Jahrhunderts – von Ernst Haeckel über Herbert Spencer bis hin zu Eugen Dühring.

Der Ökologismus bzw. Environmentalismus, der nach der Diskreditierung von Nationalsozialismus und orthodoxem Kommunismus und angesichts der fehlenden breiten Anschlussfähigkeit des Islamismus zumindest in Deutschland die heute bedeutsamste Form der totalitären Versuchung darstellt, hat seine überzeugtesten Wortführer ebenfalls im Bildungsbürgertum, während Arbeiter, Bauern oder Handwerker eher zu den Leidtragenden einer darauf gestützten Politik zählen.

Das totalitäre Versprechen gegen das Gefühl der Nutzlosigkeit

Nach einer kurzen Unterbrechung infolge des verlorenen Zweiten Weltkrieges ist totalitäres Denken an Universitäten seit 1968 zunehmend wieder salonfähig geworden. Marxistische Dogmen der Vorkriegszeit wie jene von Alexandra Kollontai oder Wilhelm Reich wurden zur theoretischen Rechtfertigung für die sexuelle Revolution – deren tieferer Grund darin gelegen haben dürfte, dass sich Studenten durch das nach 1945 kurzfristig wiedergewonnene christliche Ideal von Ehe und Familie gleichsam zu einem zölibatären Leben verdonnert fühlten. Immerhin konnten sie damit rechnen, erst zum 30. Lebensjahr hin die materiellen Voraussetzungen für eine Eheschließung und das damit verbundene Geschlechtsleben zu erfüllen.

Dass die Gräuel von Krieg und Nationalsozialismus sich hervorragend als Moralkeule eigneten, um die Kriegsgeneration mundtot zu machen, merkten die 68er ebenfalls schnell – zumal Schuldgefühle und Kriegstraumata bei den Betroffenen unter der Oberfläche weiterwirkten, während man nach Wiederaufbau und Wohlstand strebte. So kam es, dass die gleichen Leute, die mit Mao-Bibeln und Ho-Chi-Minh-Bildern auf die Straßen zogen, sich entsprechenden Highground verschafften, indem sie den Eltern und Großeltern vorwerfen konnten, sich nicht gegen den braunen Totalitarismus zur Wehr gesetzt zu haben.

Der Marsch durch die Institutionen und mehrere Bildungsreformen hatten zur Folge, dass das Studieren mit Fortdauer der Zeit gleichsam zur Bürgerpflicht mutierte und heute zum Teil mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs die Universität besucht. Der Markt kann jedoch nur einen Bruchteil davon gebrauchen und eine Vielzahl der Studenten besucht die Hochschule nur, um der entsprechenden Erwartungshaltung zu genügen.

Mit dem Gefühl der Nutzlosigkeit, fehlenden Produktivität und Verlorenheit – verbunden mit Langeweile und Ziellosigkeit – bleiben viele Studenten aber nach wie vor allein. Die Botschaft totalitärer Ideologen, wonach sie Opfer einer Gesellschaft wären, die ungerecht, kapitalistisch, rassistisch, faschistisch oder was auch immer sei und dass sie ausersehen wären, zu deren Überwindung beizutragen, verheißt ihnen nun eine Allmacht und gibt ihnen eine Aufgabe, die viele von ihnen nur allzu bereitwillig annehmen.

Schauplatz des hybriden Bürgerkriegs

Susanne Gaschke hat sich in der „Welt“ jüngst mit den Auswirkungen dieser Entwicklung befasst und spricht von einer „Diktatur der politischen Korrektheit“, die sich an den Universitäten breit gemacht habe. Sie verweist dabei auch auf eine Buchneuerscheinung des Psychotherapeuten Stephan Grünewald mit dem Titel „Wie tickt Deutschland? Psychologie einer aufgewühlten Gesellschaft“ – das sich mit einem Phänomen befasst, das Richard Fernandez vom Belmont Club mit Blick auf die USA als „hybriden Bürgerkrieg“ bezeichnet.

Eine hemmungslose Moralisierung des öffentlichen Diskurses, eine entfesselte Empörungsindustrie und die dadurch bewirkte Ausbreitung von Zynismus und Verachtung auf beiden Seiten habe bereits private Lebensbereiche von der Kirchengemeinde über die Familie bis hin zum Freundeskreis zur politischen Kampfzone gemacht. Dass indoktrinierte Schüler unter dem Beifall von Politikern zu Medienstars werden, die sich in „Klimastreiks“ gegen die Institution wenden, die sie erst möglich gemacht hat, illustriert einen ideologischen Overkill, der nichts Gutes verheißt.

An den Universitäten ist die Situation noch drastischer. Hier versuchen linksextreme Ideologen, durch Denunziation, Drohungen, Vandalismus oder gar Gewalt, Andersdenkende mundtot zu machen. Insbesondere Professoren, die als ideologisch unverlässlich wahrgenommen werden, geraten ins Schussfeld der selbsternannten Gedankenpolizei. Rückendeckung vonseiten der Kollegen oder der Universitätsleitung haben die Betroffenen nicht zu gewärtigen.

Die „Welt“ greift drei besonders schwerwiegende Beispiele heraus: den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler, den Historiker Jörg Baberowski und den Experten für internationale Beziehungen in Halle, Johannes Varwick.

Einladung eines Drei-Sterne-Generals ist „Militarismus“

Münkler, selbst bekennender Sozialdemokrat, geriet erstmals im Sommersemester 2014 ins Visier der selbsternannten akademischen Moralpolizei. An seiner Einführungsveranstaltung in die politische Theorie und Ideengeschichte wurde bemängelt, dass diese „eurozentrisch“, „imperialistisch“ und „sexistisch“ wäre, weil zum einen ideengeschichtlich bedeutende Frauen, zum anderen außereuropäische Autoren nicht ausreichend zur Geltung kämen.

Daraufhin bot Münkler an, die Vorlesung entsprechend zu erweitern, was jedoch eine Ausdehnung auf zwei Semester erforderlich mache. Diese fand jedoch keine Billigung unter der Mehrheit der Studenten. Seit dieser Zeit wird jedoch ein „Watchblog“ über Münkler betrieben, auf dem Denunzianten Äußerungen in seiner Vorlesung dokumentieren, die ihrer Einschätzung nach die Vorwürfe von Thought Crimes gegen die intersektionale Doktrin erhärten. Während eines Forschungsfreisemesters wurde vor einigen Jahren sein Büro besetzt und verwüstet.

Varwick, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Sicherheitspolitik gehört, hat sich ebenfalls eine Privat-Stasi eingehandelt, die einen „Watchblog“ über ihn betreibt. Seine Verfehlung bestand neben der allgemeinen Lebensführungsschuld eines Interesses an Sicherheitspolitik darin, einen ehemaligen Drei-Sterne-General zu einer Veranstaltung eingeladen zu haben. Seither ist der „Militarist“ endgültig Persona non grata für die „fortschrittliche“ Studentengemeinde.

Den moralischen Maßstäben eines solchen selbstberufenen Wächterrats nicht zu genügen, wäre möglicherweise etwas, das man für sich genommen noch nicht in den Schlaf mitzunehmen bräuchte. Die Denunziationskampagne hat jedoch auch potenzielle praktische Auswirkungen. Das Etikett des „bösen Militaristen“ mache die Berufsausübung schwierig, erklärt Varwick gegenüber der „Welt“:

„In einer solchen Stimmung ist es nicht leicht, Mittel für neue Forschungsprojekte zu akquirieren.“

„Kleine, organisierte Minderheit stärker als unorganisierte Masse“

Jörg Baberowski wiederum hat sogar eine aktive Gemeinde von Schlachtenbummlern, die gegen ihn agitiert. Anhänger der trotzkistischen „Vierten Internationale“ reisen ihm sogar hinterher, um gegen ihn zu agitieren und Fotos während seiner Veranstaltungen zu machen. Neben diesen und einer umtriebigen Ethnologin mit islamistischen Sympathien, die sich ebenfalls regelmäßig an ihm abarbeitet, hat Baberowski auch den AStA der Universität Bremen gegen sich aufgebracht.

Was die extreme Linke Baberowski übel nimmt: Sein Forschungsschwerpunkt sind die Folgen ihrer Utopie. In besonderer Weise fühlten sich Marxisten dadurch angegriffen, dass Baberowski zusammen mit Kollegen aus der juristischen Fakultät ein „Zentrum für vergleichende Diktaturforschung“ errichten will. Dieses soll unter anderem erkunden, unter welchen Umständen Demokratien sich schleichend – und mit der Zustimmung der Wähler – in Diktaturen verwandeln. Immerhin, so meinen böse Zungen, sind es seine Gegner selbst, die die beklemmende Aktualität dieses Themas unter Beweis stellen.

Die Mehrheit der Studierenden sei mit den Professoren zufrieden, meint Baberowski gegenüber der „Welt“: „Aber die große Masse, die nicht organisiert ist, ist immer schwächer als eine entschlossene Gruppe.“

In seinen Vorlesungen selbst würden seine Gegner sich nicht äußern. Umso stärker ausgeprägt sei das Denunziantentum im Internet oder über universitäre Gremien.

Statt sich hinter die angegriffenen Kollegen zu stellen, machen Hochschulleitungen diesen schon einmal deutlich, dass sie selbst gegen ein Ausscheiden der Betroffenen nichts einzuwenden hätten. Baberowski würde keine Antworten mehr auf seine E-Mails an die Präsidentin der Humboldt-Universität erhalten. Varwick wurde bei den jüngsten Verhandlungen über eine weitere Tätigkeit bedeutet, „die“ Studenten wären froh, wenn er ginge. Zudem seien seine Veröffentlichungen ja auch eher „populärwissenschaftlich“.

„Der deutsche Professorentitel ist eine Lizenz zur Feigheit“, meint Herfried Münkler gegenüber der „Welt“. „Alle haben Angst, selbst in die Kritik zu geraten. Die meisten liegen so flach in der Ackerfurche, dass man nicht einmal die Ohren sieht.“

Adorno statt Habermas

Zur politischen Voreingenommenheit und den Tücken des hybriden Bürgerkriegs scheinen institutionelle Eigenheiten zu kommen, die dazu führen, dass den lautstarken Extremisten kein Widerstand mehr entgegengesetzt werde. Drittmittel einwerben zu können wäre gerade bei Studiengängen, deren Nutzen sich nicht allgemein auf den ersten Blick erschließe, wichtiger geworden als neue Horizonte zu erschließen. Dazu käme ein Trend zur Nischen-Professorenschaft, der den Typus des Funktionärs gegenüber jenem des Querdenkers bevorzuge.

Jürgen Habermas hat mit seiner Idee des herrschaftsfreien Diskurses offenbar ausgedient. Stattdessen erfährt Theodor W. Adorno eine weitere posthume Bestätigung. Die Aufklärung, in deren Tradition sich die Universität heutiger Tage darstellt, habe nach seinen Vorstellungen zur Folge, dass Erkenntnis durch Macht definiert werde. Da die dahinterstehende instrumentelle Vernunft nicht in der Lage sei, ein grundlegendes Argument gegen die durch sie selbst gerechtfertigte Machtausübung vorzubringen, münde die Aufklärung in Unterordnung, skrupellose Machtausübung und Gewalt und fortschrittliche Ideale würden in ihr Gegenteil verkehrt.

Die Praxis an deutschen Universitäten, im Namen einer willkürlich definierten „Moral“ die eigene faktische Macht zu nutzen, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, illustriert, was damit gemeint war.



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