„Mit Rücksicht auf die Stellung“ des Kanzlers: Ungereimtheiten in Cum-Ex-Ermittlungen
Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Dieser Grundsatz ist ein wichtiger Pfeiler in einem demokratischen Rechtsstaat. Dieser Grundsatz steht aber plötzlich infrage. Gelten für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) andere Regeln als für andere Bürger? Das legen zumindest jetzt öffentlich gewordene Aktenvermerke der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, der führenden Cum-Ex-Ermittlerin Deutschlands, nahe. Zuerst berichtete der „Stern“ darüber, dem die Aktenvermerke vorliegen.
Anne Brorhilker beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Thema Cum-Ex und gilt in Deutschland als die erfolgreichste Ermittlerin. Sie brachte erstmals Schlüsselzeugen im Zusammenhang mit der Cum-Ex-Affäre zum Reden. Ihre Ermittlungsarbeit führte dazu, dass die Warburg-Bank inzwischen zumindest einen Teil der an sie zu Unrecht gezahlten Steuergelder zurückzahlen musste.
Die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Scholz wegen seiner Rolle im Cum-Ex-Skandal musste die Kölner Oberstaatsanwältin am Ende aber einstellen. Seit Dezember 2022 gilt die Akte Scholz als geschlossen. Die Staatsanwaltschaft in Köln hatte damals entschieden, kein Ermittlungsverfahren gegen den Bundeskanzler wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einzuleiten. Bis zum Juli 2023 – da musste die Akte Schulz, Nummer 213 AR 14/22, noch mal geöffnet werden.
Jemand in der Kölner Behörde war aufgefallen, dass nie schriftlich begründet wurde, warum weitere Ermittlungen gegen den Kanzler nicht mehr zu rechtfertigen seien. Oberstaatsanwältin Brorhilker musste noch einmal ran und eine Begründung nachliefern. Diese hatte es in sich.
Genügend Anhaltspunkte für Anfangsverdacht
Anstatt eine Erklärung für das Fehlen eines Anfangsverdachts gegen Scholz zu liefern, liest sich laut „Stern“ das Papier in Teilen wie eine Begründung, warum man die Ermittlungen eigentlich hätte vorantreiben sollen. Die „Tagebucheinträge“, so heißt es dazu in der Verfügung, „könnten für eine aktive Einflussnahme durch Olaf Scholz sprechen.“ Mit den Tagebucheintragungen sind die Notizen des früheren Warburg-Chefs Christian Olearius gemeint. Die Tagebücher waren im März 2018 bei einer Durchsuchung der Privaträume von Olearius beschlagnahmt worden. Diese wurden dann von Chefermittlerin Anne Brorhilker beschlagnahmt. Durch die Aufzeichnungen wurden mehrere Treffen von Olaf Scholz (SPD) 2016 und 2017 mit dem Bankier offenbar.
Die Einlassungen Brorhilkers lassen insgesamt nur einen Schluss zu: In Köln war man der Meinung, genügend Anhaltspunkte zu haben, um genauer auf die Rolle des damaligen Hamburger Bürgermeisters Scholz in der Warburg-Affäre zu schauen. Trotz aller Indizien, die einen Anfangsverdacht gegen Scholz offenbar gerechtfertigt hätten, schien eine weitere Ermittlung schlichtweg nicht mehr erwünscht zu sein.
Anders lassen sich die Aktenvermerke der Chefermittlerin Brorhilker nicht interpretieren. „Mit Rücksicht auf die Stellung“ von Scholz als amtierender Kanzler, so die Begründung, „erschien daher ein weiteres Zuwarten […] nicht länger vertretbar“, notiert sie.
Generalstaatsanwaltschaft übt Druck aus
Was war passiert? Der Generalstaatsanwalt, die vorgesetzte Behörde der Staatsanwaltschaft in Köln, hatte Brorhilker eine enge Frist gesetzt, zu einem Ergebnis zu kommen, ob ein Ermittlungsverfahren gegen Scholz eingeleitet werden muss.
Zwei Tage nach der Bundestagswahl 2021 durchsuchte die Kölner Staatsanwaltschaft in Hamburg unter anderem die Finanzbehörde im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal. Dabei stellten die Ermittler ein Mail-Postfach aus der Zeit von Scholz als Bürgermeister sicher. Später wurde auch der E-Mailverkehr von Scholz‘ Vertrauten und Büroleiterin Jeanette Schwamberger sichergestellt.
Im März 2022 stellte der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate in Köln Anzeige gegen den Kanzler. Vorwurf: Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Im August hatte der „Stern“ über eine mutmaßliche Falschaussage von Scholz vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft berichtet. Strate ergänzte daraufhin die Anzeige um diesen Punkt. Brorhilker hatte zu prüfen, ob die Aufhebung der Immunität beantragt und ein Ermittlungsverfahren gegen den Kanzler eingeleitet werden muss.
Der Generalstaatsanwalt erwartete nun Ende letzten Jahres ein schnelles Ergebnis. Er setzte eine enge Frist. Der Kölner Oberstaatsanwältin blieb keine Zeit, weitere Ermittlungsergebnisse abzuwarten. So war zu diesem Zeitpunkt beispielsweise der vollständige E-Mailverkehr der Scholz-Vertrauten Schwamberger noch gar nicht ausgewertet worden. Der Staatsanwältin blieb damals nichts anderes übrig, als das Prüfverfahren einzustellen. Von einem „Ermittlungsverfahren gegen Herrn Olaf Scholz“ würde „mangels Anfangsverdachts abgesehen“, heißt es in der Begründung.
Hamburger Staatsanwaltschaft lehnte Ermittlungen wegen Falschaussagen ab
Die Frage, ob Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss gelogen hat, durfte Brorhilker nicht mehr klären. Tatort, so hieß es, sei Hamburg und daher sei die Kölner Staatsanwaltschaft nicht zuständig. Der Fall mit der eventuellen Falschaussage wurde an die Staatsanwaltschaft in Hamburg übergeben. Die lehnten aber Ermittlungen wegen Falschaussagen vor dem Untersuchungsausschuss ab.
Die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Warburg-Bank verfolgen Kanzler Scholz schon lange. Im Kern steht die Frage, ob Scholz als Erster Bürgermeister und Peter Tschentscher (SPD) als damaliger Finanzsenator politisch Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg-Bank genommen haben. Die Hamburger Privatbank M.M. Warburg war in den Cum-Ex-Skandal verwickelt und hatte so Millionen verdient.
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