Nach Corona-Demo: Innensenator Geisel trifft auf UN-Beauftragten Melzer

Die Untersuchungen um die Polizeigewalt auf der Corona-Demonstration am 1. August in Berlin gehen weiter. Innensenator Geisel traf sich mit dem UN-Beauftragten Nils Melzer und sagte vor dem Verfassungsschutzausschuss aus. Ermittlungen wurden eingeleitet. Eine wichtige Frage wird derzeit noch diskutiert: Warum wurde die Demo verboten, obwohl es ein Hygienekonzept und die Zusicherung der Einhaltung von Maskenpflicht und Abstand gegeben hatte?
Titelbild
Andreas Geisel.Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images
Von 12. August 2021

Nach der möglicherweise illegal verbotenen Corona-Demonstration vom 01. August 2021 in Berlin und den Vorwürfen exzessiver Polizeigewalt gegen wehrlose und friedliche Demonstranten hatte die Polizei Berlin den Eingang von Strafanzeigen gegen Einsatzkräfte „im mittleren zweistelligen Bereich“ bestätigt, wie der „rbb“ vor einigen Tagen erst berichtete. Auch seien 30 Beschwerden bei der Zentralen Beschwerdestelle wegen der Polizeimaßnahmen eingegangen. Dem UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, wurden Videos von Polizeigewalt in Berlin zugespielt, woraufhin dieser die Prüfung der Fälle und Aufklärung bei der Bundesregierung beantragte. Im Nachgang dieser Ereignisse traf sich nun Berlins Innensenator Andreas Geisel am Mittwoch mit dem UN-Diplomaten.

Neben Geisel und Melzer waren auch der Vizepolizeipräsident Marco Langner und Polizeisprecher Thilo Cablitz anwesend. Die „Berliner Zeitung“ sprach nach dem Treffen mit dem UN-Beauftragten. Melzer sagte der Zeitung, dass der Innensenator und die Polizeiführung sehr offen gewesen seien und sich spontan dazu bereit erklärt hätten, Material mit ihm zu teilen, um die Vorwürfe aufzuklären und, „sollten sich die Vorwürfe erhärten, Konsequenzen ziehen zu können“, so Melzer. Nach Ansicht des UN-Mitarbeiters hätten Senat und Polizei „wirklich Interesse an der Aufklärung“.

Untersuchungen eingeleitet

Die Zahl der Fälle von exzessiver Gewalt gegen Demonstranten wird derzeit mit etwa einem Dutzend angegeben. Disziplinar- und Strafverfahren könnten folgen. „Innensenator und Polizei haben mir bestätigt, dass sie wegen einiger Fälle Untersuchungen eingeleitet haben“, erklärte Melzer, dem auch schriftliche Unterlagen konkreter Einsatzpläne zugesagt wurden.

Geisel räumte ein, dass es Videoaufnahmen gebe, die nahelegten, „dass die Polizei gegebenenfalls die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt hat“. Bei der Analyse habe man aber auch festgestellt, „dass nicht alles so war, wie es aussieht“.

Ermittlungen gegen Polizei-Rambo

„Tichys Einblick“ fragte bei der Polizei Berlin nach dem Stand der Dinge und erfuhr unter anderem, dass auch gegen den Beamten ermittelt werde, der in dem von Melzer geteilten Video eine Frau mit einer gefährlichen Kampftechnik rücklings auf den Straßenbelag schleudert. Melzers Kommentar später: „Die hätte sterben können.“ Zu diesem Fall bestätigte Polizeisprecher Thilo Cablitz, dass das Video der Polizei Berlin bekannt und ein entsprechendes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt eingeleitet worden sei. Weitere Angaben wollte Cablitz aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht machen.

Melzers Bericht wird voraussichtlich in der kommenden Woche an die Bundesregierung weitergeleitet. Vertuschungsversuche konnte der UN-Beauftragte nicht feststellen. „Ich habe den Eindruck, dass die Behörden aufklären wollen, weil die aktuelle Situation ihre eigene Arbeit sehr erschwert.“

Geisel vor dem Verfassungsschutzausschuss

Unterdessen berichtet der „rbb“, dass Geisel am selben Mittwoch, an dem er sich mit Melzer getroffen hatte, später auch im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses einen Auftritt hatte. Dort warnte Geisel davor, dass sich die Gegner der Corona-Maßnahmen weiter radikalisieren könnten. Bei einem harten Kern der Demonstranten gebe es eine gestiegene Gewaltbereitschaft. Früher sei auf die Beamten eher eingeredet worden, nun würden sie massiv angegriffen.

„Wir werden mit Strafanzeigen geflutet“, erklärte Geisel bezüglich der mehrere hundert Anzeigen starken Beschwerdewelle. Viele würden sich auf die gleichen Vorgänge beziehen. Manche der im Internet veröffentlichten Videoschnipsel würden aber nur einen kleinen Ausschnitt zeigen, nicht das ganze Bild, versichert der Innensenator vor dem Ausschuss. Er sprach gar von einer „bewussten Taktik“ der „Querdenker“. Man versuche ein Bild von Polizeigewalt zu zeichnen, so Geisel.

Zu dem Gewaltvideo, bei dem möglicherweise ein Kind zu sehen ist, das von einem Polizisten geschlagen wird, sagte Polizeisprecher Cablitz, dass es sich um Teilnehmer einer Sitzblockade gehandelt habe. „Maßnahmen gegen augenscheinlich Minderjährige wurden nicht durchgeführt. Bei dem von Ihnen beschriebenen Sachverhalt handelte es sich augenscheinlich um einen jungen Erwachsenen. Identitätsfeststellungen der Personen wurden nicht durchgeführt, um eine weitere Verzögerung/Unterbrechung der Einsatzfahrt zu vermeiden.“ Die Ermittlungen liefen, so Cablitz.

Kein zweierlei Maß – oder doch?

Gegenüber dem Vorwurf, angesichts der verbotenen Corona-Demonstration und dem eine Woche zuvor mit 80.000 Menschen erlaubt zelebrierten Christopher Street Day mit zweierlei Maß zu messen, behauptete Geisel: „Es gab nicht zweierlei Maß.“ Die Anmelder der Anti-Corona-Demonstration hätten bei der Anmeldung schon mitgeteilt, sich nicht an die Auflagen wie Masketragen und Abstand halten zu wollen, während beim CSD die Veranstalter ein Hygienekonzept vorgelegt hätten, dessen Einhaltung die Polizei an vielen Stellen erfolgreich durchgesetzt habe, erklärte Geisel vor dem Verfassungsschutzausschuss.

Nach Angaben der Bürgerinitiative „Querdenken“ habe man ein Hygienekonzept vorgelegt und das Masketragen sogar als Teil des Protests eingeplant. Dazu habe man Masken mit der Aufschrift „Diktatur“ in großer Zahl bereitgestellt. Man habe zwar die Sinnhaftigkeit von Masken im Freien zur Vermeidung von Infektionen infrage gestellt, aber ausdrücklich die Einhaltung der auferlegten Bedingungen akzeptiert. Dennoch wurde die Veranstaltung verboten.

Wie der „Nordkurier“ berichtet, habe Geisel am Tag nach der Demonstration dem „rbb“ im Interview gesagt: „Also, die Anmelder hatten eine Demonstrationsanmeldung geschrieben, in der sie gesagt haben, sie halten sich an keine Hygieneregeln, sie werden keine Maske tragen. Sie haben praktisch der Polizei schriftlich gegeben, dass sie die Infektionsschutzverordnung verletzen werden. Insofern wäre der Ermessensspielraum der Polizei auf Null gesetzt (gewesen).“ Die entsprechenden Passagen wurden jedoch erst im Verlauf von Gesprächen zwischen Anmelder und Polizei in beidseitigem Einvernehmen hinzugefügt.

Offenbar hatte Geisel die Unterlagen gar nicht gesehen und rein aus der Erwartungshaltung entschieden, dass die Demonstrationsteilnehmer sich nicht an die ausgemachten Regeln halten. Ob man unter diesen Umständen überhaupt noch Demonstrationen in Berlin offiziell genehmigen lassen kann, bleibt abzuwarten.



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