Nach Kritik an Corona-Politik: Söder lässt Prof. Lütge aus Ethikrat entfernen

Der Ökonom und Wirtschaftsethiker Christoph Lütge hat in den vergangenen Monaten mehrfach öffentlich die Corona-Politik von Bund und Ländern kritisiert. Nun veranlasste Bayerns Ministerpräsident Markus Söder seine Entfernung aus dem Ethikrat des Freistaats.
Von 12. Februar 2021

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat, wie die „Bild“-Zeitung berichtet, den Wirtschaftsethiker Professor Christoph Lütge aus dem Ethikrat des Freistaats entfernen lassen.

Dem „Münchner Merkur“ zufolge hat der Ministerrat bereits am 2. Februar Lütge einstimmig abbestellt, später wurde dessen Name von der Mitgliederliste auf der Homepage entfernt.

Prof. Lütge war in den Monaten zuvor durch teilweise deutliche und öffentliche Kritik an der Corona-Politik von Bund und Freistaat in Erscheinung getreten.

Staatskanzlei bekennt: Lütges Äußerungen sind Grund für Abberufung

Die Bayerische Staatskanzlei bestätigte auf Mediennachfrage die Abberufung Lütges – und bringt auch offen zum Ausdruck, dass dessen öffentliche Aussagen der Grund für die Entscheidung seien.

Wie der BR berichtet, ist man in der Staatsregierung der Auffassung, dass die wiederholten öffentlichen Äußerungen Lütges „mit der verantwortungsvollen Arbeit im Ethikrat nicht in Einklang zu bringen“ seien und „auf Dauer dem Ansehen des Gremiums Schaden zufügen könnten“.

Der Leiter der Staatskanzlei, Florian Herrmann, hatte Prof. Lütge bereits zuvor vorgeworfen, dass dieser mit seinen in traditionellen und sozialen Medien geäußerten Einschätzungen zur Corona-Politik „die Grenze eines durchaus kontroversen und fachlich fundierten Diskurses“ überschreite.

Söder nahm Anstoß am Hinweis auf Durchschnittsalter von Corona-Toten

Beim Kabinett Söder fiel Lütge vor allem dadurch in Ungnade, dass er die Corona-Politik von Bund und Ländern als verfehlt darstellte und seiner Befürchtung Ausdruck verlieh, dass die Politik mit ihrem Handeln das Vertrauen der Bevölkerung verspielen könnte.

Konkret warf Prof. Lütge der Politik vor, einseitig den Blick auf die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen zu richten und „schwerste gesundheitliche, psychische und soziale Langzeitfolgen“ zu vernachlässigen, die als Nebeneffekte der Lockdown-Maßnahmen drohten.

Der Ökonom wies darauf hin, dass das Durchschnittsalter von Corona-Toten bei 84 Jahren liege, und dass selbst in dieser Altersgruppe die Corona-Politik möglicherweise mehr Schaden als Nutzen bringe, weil auch ältere Menschen mit Vorerkrankungen nicht mehr zum Arzt gehen würden.

Der Lockdown bewirke, dass diese „später tot in ihrer Wohnung gefunden werden“. In diesem Alter, so eine Aussage Lütges, die in der Politik besonders scharf kritisiert wurde, „stirbt man an Corona oder an etwas anderem“.

Vorsitzende des Ethikrats begrüßt Entscheidung

Zuletzt hatte Prof. Lütge deutliche Kritik an der #ZeroCovid-Kampagne geäußert und deren Inzidenzziele insbesondere im Winter als „völlig illusorisch“ bezeichnet.

Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann bezeichnete die Äußerungen des Ökonomen Ende Januar in einem Interview mit der „Süddeutschen“ als „verstörend“ und „fragwürdig“. Seine „Einzelmeinung“ provoziere „häufig den Beifall von ausgewiesenen Corona-Leugnern und schadet somit dem Ansehen des Bayerischen Ethikrates“.

Die Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates, die frühere Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, begrüßte Lütges Abberufung. Gegenüber dem BR erklärte sie, Lütge habe sich „immer in seiner Funktion als Mitglied des Ethikrates“ geäußert, was den Eindruck erwecke, dieser habe die Aussagen autorisiert, und habe zu „Rückfragen“ geführt.

Prof. Lütge selbst wollte die Entscheidung gegenüber dem „BR“ nicht kommentieren, diese, so der Wissenschaftler, spreche „für sich“. Allerdings habe sie ihn „überrascht“, da er davon ausgegangen sei, dass der Ethikrat „kritisch und ergebnisoffen“ arbeiten solle.

Kubicki: „Vertrauen in Freiheit der Wissenschaft ruiniert“

Deutlicher in der Kritik wurde der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki.

Dieser erklärte auf Facebook zu der Causa:

„Söders Nerven liegen offensichtlich blank. […] Das, was wir in den letzten Tagen erleben, ist, dass der bayerische Ministerpräsident das Vertrauen in den Rechtsstaat und in die Freiheit der Wissenschaft komplett ruiniert. Wenn es nur noch darauf ankommt, Wissenschaftler zu konsultieren, die die eigene politische Agenda stützen, kann man Einrichtungen wie Ethik- und Sachverständigenräte auch abschaffen.“

Ökonom setzte auf Wettbewerb statt staatlicher Intervention

Der 1969 in Helmstedt geborene Ökonom ist unter anderem Inhaber des Peter-Löscher-Stiftungslehrstuhls für Wirtschaftsethik und Direktor des von Facebook unterstützten Institute for Ethics in Artificial Intelligence an der TU München.

Er fungierte bis dato unter anderem als Berater im Zentrum für Verwaltung, Führung und Globale Verantwortlichkeit der Beckett-Universität in Leeds, als Mitglied der Ethik-Kommission zum automatisierten und vernetzten Fahren des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und als Mitherausgeber der Schriftenreihe „Law, Ethics and Economics“.

Als Gutachter nahm er unter anderem Aufträge der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der Netherlands Organization for Scientific Research, der Israel Science Foundation, des Schweizerischen Nationalfonds oder der Society for Business Ethics an. Darüber hinaus trat Lütge als Studienleiter und Autor für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in Erscheinung.

Prof. Lütge betonte in seiner Arbeit vor allem die Bedeutung des Wettbewerbsprinzips für die Lösung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Probleme. Diese führten nach seiner Überzeugung regelmäßig zu schnelleren, effizienteren und besseren Resultaten als staatliche Interventionen.

 



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