Neues BND-Gesetz soll vor Spionage schützen – Kritiker sehen Verfassungswidrigkeit

Kanzler Scholz und Minister haben auf Schloss Meseberg das BND-Gesetz reformiert. Verbände hatten einen Tag Zeit, um 88-seitigen Entwurf zu kommentieren. Sie äußern weiterhin Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit.
Die BND-Zentrale in Berlin.
Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 1. September 2023

Dem Schutz des Bundesnachrichtendienstes (BND) vor Spionage soll die Reform des BND-Gesetzes dienen, die das Bundeskabinett beschlossen hat. Bei ihrer Sitzung auf Schloss Meseberg (nördlich von Berlin) stimmten die Minister um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einem Entwurf aus dem Kanzleramt zu.

Die Reformpläne sollen auch eine Reaktion auf die Russland-Spionageaffäre des BND Ende 2022 sein. Das berichtet die Justiz-Plattform „Legal Tribute Online“ (LTO) unter Berufung auf Regierungskreise.

Am 21. Dezember 2022 war ein Mitarbeiter des BND in Berlin unter dem Verdacht der Spionage festgenommen worden. Er soll nach dem Beginn des Ukraine-Krieges Informationen, die er bei seiner Arbeit erlangt hatte, an Russland weitergegeben haben.

Auch Smartphones dürfen kontrolliert werden

„Mögliche Spionagetätigkeiten anderer Nachrichtendienste sollen durch die Kontrollen frühzeitig erkannt werden“, heißt es im Entwurf aus dem Kanzleramt. Das bedeutet, dass unter anderem verdachtsunabhängige Personen-, Taschen- und Fahrzeugkontrollen durchgeführt werden können. Smartphones dürfen im Verdachtsfall ebenfalls kontrolliert werden. Mit diesen Maßnahmen soll der BND künftig besser gegen Spionage aus den eigenen Reihen abgesichert werden.

Mit der Reform werden auch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) umgesetzt, berichtet LTO weiter. Dabei geht es um die Einschränkung der Übermittlung personenbezogener Daten durch Nachrichtendienste an Polizeien und Staatsanwaltschaften gemäß § 11 Abs. 3 BND-Gesetz.

In dieser Vorschrift wird auf die Regelungen im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVSG) verwiesen, die das BVerfG im September 2022 zum Teil für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hatte (Beschl. v. 28.09.2022, Az. 1 BvR 2354/13). Mit den neuen Regelungen sollen alle Übermittlungsvorschriften im BND-Gesetz vom BVSG entkoppelt und eigene Regelungen gefasst werden. Schon 2020 hatten die Richter in Karlsruhe das damalige BND-Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt.

Verbände und Organisationen hatten nur eine Frist von einem Tag gesetzt bekommen, um zu dem 88-seitigen Referentenentwurf für das neue Gesetz Stellung zu nehmen.

Scharfe Kritik am Bundeskanzleramt gab es dafür von Verbänden wie etwa der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) oder den Reportern ohne Grenzen (ROG). Beide bemängelten das Vorgehen der zuständigen Behörden als unzureichende Beteiligung der Verbände und mangelnde Einbindung der Öffentlichkeit, heißt es auf „Netzpolitik.org“.

Verbände vom Vorgehen des Kanzleramts enttäuscht

Bereits eine erste Prüfung der (nun beschlossenen) Änderungen lasse Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit aufkommen, so Reporter ohne Grenzen: „Der Gesetzgeber verpasst erneut die Chance auf eine längst überfällige und ganzheitliche Reform des BNDG, das auf den festen Boden der Verfassung gehört“, betont die Nichtregierungsorganisation.

„Es ist ein Trauerspiel. Der Gesetzgeber scheint an einer ernsthaft-demokratischen Verbändebeteiligung bei der Reform von Sicherheitsgesetzen kaum Interesse zu haben“, sagt Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter ohne Grenzen. „Das Vorgehen des Bundeskanzleramts enttäuscht und verstärkt den Rückwärtstrend bei der Stellungnahmefrist.

Gut 24 Stunden hatten wir Zeit für die Kommentierung eines 88-seitigen Referentenentwurfs, der zudem kaum in der Öffentlichkeit angekommen ist. Es scheint, als operiere nicht nur der BND im Geheimen, sondern nun auch das Bundeskanzleramt bei Gesetzesentwürfen.“

Der Gesetzentwurf soll die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Bundesnachrichtendienst im BND-Gesetz sowie im G-10-Gesetz umsetzen. Das Gericht hatte mit Beschluss vom 28. September 2022 erklärt, dass die Regelungen über die Übermittlung von Informationen in Staatsschutzangelegenheiten nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz mit dem Grundgesetz teilweise unvereinbar sind. Gleichzeitig beabsichtigte das Bundeskanzleramt, den Schutz von Verschlusssachen innerhalb des BND zu stärken.

Der Referentenentwurf bringe durchaus Verbesserungen mit sich, so die Bürgerrechtsorganisationen. So stelle er unter anderem klar, dass bestimmte, den Verdacht einer Straftat begründende Tatsachen vorliegen müssen, bevor Informationen an inländische Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden.

Zugleich aber blieben wesentliche Kritikpunkte unbeachtet, die RSF und GFF im Dezember vergangenen Jahres in einer Verfassungsbeschwerde formuliert hatten, obwohl diese in eine verfassungsrechtlich saubere Überarbeitung des BNDG einfließen müssten.

Wenig Schutz für Nicht-EU-Journalisten

Eine „tiefgründige Kommentierung“ des komplexen Regelwerks sei in so kurzer Zeit „schlicht nicht leistbar“. Dennoch haben GFF und ROG trotz der knappen Frist in einer kurzen Stellungnahme (PDF) ihre Kritikpunkte an ausgewählten Regelungen des neuen Entwurfs formuliert. Die Organisationen behalten sich vor, in einem späteren Stadium des Gesetzgebungsverfahrens ausführlich Stellung zu beziehen.

In der Stellungnahme heißt es beispielsweise, dass das BND-Gesetz Vertraulichkeitsbeziehungen etwa zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen umfassend vor Überwachung schützen müsse. Dieser Schutz müsse sämtliche mit der journalistischen Arbeit verbundenen Informationen und Daten einschließen.

Dazu gehörten personenbezogene Daten – etwa Namen, Telefonnummern oder IP-Adressen – sowie Recherchematerial und Verkehrsdaten wie Mailadressen oder Betreffzeilen von E-Mails der Beteiligten.

Die Organisationen kritisieren zudem, dass das Gesetz zu Medienschaffenden „zweiter Klasse“ führe. Der Schutz vor Überwachung sei gerade bei Nicht-EU-Journalisten sehr schwach.

Auch europäische Journalisten seien im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen schlechter vor Überwachung geschützt. Daher seien an dieser Stelle Nachbesserungen erforderlich. Außerdem müsse die Aufsicht über die Arbeit der Geheimdienste deutlich verbessert werden.

Erste Verfassungsbeschwerde schon 2017

ROG und GFF hatten schon im Jahr 2017 eine Verfassungsbeschwerde erhoben, die sich gegen die nach den Enthüllungen von Edward Snowden (2013) eingeführten Rechtsgrundlagen für die strategische Auslandsüberwachung des Geheimdienstes richtete. Im Mai 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das BND-Gesetz für verfassungswidrig, da es gegen die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1) verstieß. Daraufhin reformierte die damalige Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das BND-Gesetz.

Trotz unzähliger Hinweise von Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren kam nach Ansicht der Nichtregierungsorganisationen ein Gesetz heraus, das zahlreiche Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts verletzte und jenseits dieser Maßgaben weitere verfassungswidrige Befugnisse eingeführt habe. Ende des vergangenen Jahres erhoben beide Organisationen daher erneut Verfassungsbeschwerde gegen das BND-Gesetz.

Wie LTO außerdem mitteilte, einigte sich das Kabinett neben der Änderung des BND-Gesetzes auch auf eine Anpassung der Regelungen zur Datenübermittlung für den Inlandsgeheimdienst. Eine ebensolche Anpassung gibt es auch im Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD).

 

 

 

 



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