Notbetrieb als Dauerzustand: Vielen Kitas droht die Schließung

Vielen Eltern wird das tägliche Jonglieren zwischen Kind und Beruf zum Dauerfrust. Vor allem jetzt, wo immer mehr Kitas die langen Betreuungszeiten nicht mehr anbieten können. Deutsche Städte ringen um Lösungen für den Personalnotstand.
Vielen Kitas droht die Schließung
Kindergarten.Foto: iStock
Von 9. Februar 2023

Immer mehr Kindertagesstätten in Deutschland greifen aufgrund des chronischen Personalmangels zu Notfallmaßnahmen: Kinder werden kurzfristig früher nach Hause geschickt. Die Öffnungszeiten sind vielerorts reduziert. Einige Kitas kündigen bereits an, im kommenden Jahr überhaupt keine neuen Kinder mehr aufzunehmen.

In der Not werden auch kreative Ideen und neue Konzepte gerne getestet. So startet etwa in Aachen ab März das Programm „Zurück in den Beruf“. Ausgebildete Erzieher, die sich beruflich umorientiert hatten, will man mittels eines Praktikumsangebots wieder für die Arbeit mit Kindern begeistern. Denn „viele Kräfte trauen sich nicht, durch die Veränderungen, die es in der Zwischenzeit in diesem Beruf gegeben hat, wieder einzusteigen“, erklärte Beate Traeger, Abteilungsleiterin Kindertagesstätten und Tagespflege bei der Stadt Aachen.

Die Kreisstadt Offenburg findet für dasselbe Problem einen anderen Ansatz. In drei Kinderhäusern soll ein neues Betreuungsmodell getestet werden. Kinder über 3 Jahren werden demnach bis zu sieben Stunden täglich von pädagogischem Fachpersonal betreut. Für Eltern, die eine längere Betreuungszeit für ihr Kind wünschen, wird es ein Spiel- und Betreuungsangebot von bis zu 10 Stunden pro Woche geben. Dieses wird vom Malteser Hilfsdienst durchgeführt. Trotz Eltern-Proteste hat der Gemeinderat für das Konzept gestimmt.

Weniger Kita-Plätze oder reduzierte Öffnungszeiten?

Für viel Aufstand sorgte jüngst ein Beschluss des Tübinger Gemeinderats: Ab September sollen von den 43 städtischen Kitas nur vier Gruppen – mit insgesamt 80 Plätzen – bis 17:30 Uhr geöffnet haben. Bei den übrigen Einrichtungen variieren die Betreuungszeiten zwischen 16:30 Uhr, 15:30 Uhr und 13:15 Uhr. Viele Eltern schlugen Alarm. Gegen den Vorschlag hatte es in den vergangenen Wochen viele Demonstrationen vor dem Tübinger Rathaus gegeben.

Die Universitätsstadt stand vor der schwierigen Entscheidung, entweder die Kita-Plätze weiter begrenzen zu müssen oder die Öffnungszeiten einzuschränken. Laut der Stadtverwaltung spiegeln die reduzierten Öffnungszeiten aber den „tatsächlichen Bedarf“ an Kinderbetreuung wider. Eine Nutzerfrequenzanalyse aus dem Jahr 2019 hätte gezeigt, dass im Schnitt weniger als 50 Kinder die Nachmittagsbetreuung bis 17:00 Uhr oder 17:30 Uhr nutzten.

40 von 43 Kitas droht die Schließung

Die Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Tübinger Kitas, Maria Tiede, sieht das anders. Das aktuelle Angebot entspreche bei Weitem nicht dem, was die Eltern laut einer internen Umfrage für wünschenswert hielten.

Auch die individuellen Situationen der Familien würden bei dem neuen Konzept nicht berücksichtigt. Dies betrifft insbesondere die Schichtarbeiter. Viele Eltern gehen davon aus, dass sie künftig beruflich kürzertreten müssen, wenn sie keine alternative Betreuung für ihr Kind finden würden.

Oberbürgermeister Boris Palmer äußerte Verständnis für den Unmut der Eltern. Dennoch: Wenn Fachkräfte fehlen, „habe ich nicht die Möglichkeit, allen das Wunschangebot anzubieten und muss irgendeinen Kompromiss finden“. Denn wenn es so weiterginge wie bisher, müssten die meisten Einrichtungen bald komplett geschlossen werden. 40 der 43 Kitas könnten nämlich den Mindestpersonalschlüssel nicht erfüllen, erklärte Palmer gegenüber dem privaten Lokalfernsehsender „RTF.1“.

Werden Notfallmaßnahmen in Kitas nun zur Dauerlösung? Viele Städte investieren bereits kräftig in die Ausbildung von Erziehern. Die Gewerkschaften fordern derweil 10,5 Prozent mehr Lohn für das pädagogische Personal, und will so den Beruf attraktiver machen. Reicht das?

Flexibilität, Mitspracherecht und Wertschätzung als Erfolgsrezepte?

Wie läuft es etwa bei den Kinderhäusern, die keinen Personalmangel zu beklagen haben? Warum gehen Erzieherinnen gerne dorthin und bleiben auch? Ein Beispiel zeigt, dass Flexibilität, Mitspracherecht und Wertschätzung wichtige Faktoren sind, um Mitarbeiter langfristig zu binden und zu motivieren.

Die Kita Kreuzkirche in Tübingen etwa hat ein vollbesetztes Team mit 18 Mitarbeitern. Keine Selbstverständlichkeit. Es wurde viel dafür getan in den letzten Jahren, erklärte Leiterin Sabine Maccagnano gegenüber der Epoch Times. Und das fängt bereits bei der Gestaltung der Dienstpläne an. Es gebe nicht das starre Drei-Schichtensystem mit Früh-, Mittel- und Spätdiensten.

Die Anliegen der Mitarbeiter versucht die Leiterin so individuell wie möglich zu lösen. Genügend Raum für das Privatleben zu geben, sei wichtig, denn „man muss als Erzieher sehr viel einbringen“ – so honoriere sie die Arbeit ihres Teams. Wer pädagogisch gut arbeiten will, muss zum Beispiel stets präsent sein, gute Beobachtungsgabe haben und schnell reagieren können.

Über pädagogische Grundsätze entscheidet das Team in der Regel gemeinsam – ein weiteres Erfolgsrezept. „Und da habe ich als Leitung auch nicht mehr Stimmen“, sagte Maccagnano. Eine Erzieherin erzählte, dass sie die Möglichkeit schätzt, ihre Expertise und Ideen einbringen und Dinge tun zu können, die ihrem pädagogischen Verständnis entsprechen.

Die langen Öffnungszeiten kann die Kita Kreuzkirchen unter freier Trägerschaft dank des vollbesetzten Teams weiterhin anbieten.



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