Bundestag: Paragraf zur Volksverhetzung im Schnellverfahren erweitert

Auf Druck der EU hat der Bundestag den § 130 StGB erweitert. Als Volksverhetzung gilt nun auch das „gröbliche Verharmlosen“ nicht-nazistischer Kriegsverbrechen.
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Im Bundestagsplenum.Foto: Michael Kappeler/dpa/dpa
Von 27. Oktober 2022


Versteckt in einer Änderung des Bundeszentralregistergesetzes hat der Bundestag letzten Donnerstag (20.10.) eine Änderung des § 130 StGB beschlossen. Als „Volksverhetzung“ soll künftig auch die „öffentliche Billigung, Leugnung und gröbliche Verharmlosung“ von Völkerstraftaten im Sinne der (§§ 6 bis 12 Völkerstrafgesetzbuch) gelten.

Dazu muss sich die Tathandlung gegen „eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ und „Teile der Bevölkerung“ richten. Zudem muss sie geeignet sein, „zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.

Die Gesetzesänderung ging im sogenannten Omnibusverfahren vonstatten, also ohne inhaltlichen Bezug an das eigentlich veränderte Gesetz. Aus diesem Grund fand keine Debatte im Plenum des Bundestages statt. Lediglich der Rechtsausschuss erörterte die Änderung – gegen die Stimmen von AfD und Linkspartei.

Reichweite des Verbots von Volksverhetzung nur „klargestellt“?

Aus Sicht der Koalitionsfraktionen handelt es sich bei der Änderung um keine Verschärfung der bestehenden Regelung. Es solle lediglich „klargestellt“ werden, dass die beanstandeten Handlungen „in aller Regel […] vom Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Absatz 1 Nummer 1 StGB erfasst werden“ dürften.

Diese Präzisierung sei aufgrund eines von der EU-Kommission im Dezember 2021 angestrengten Vertragsverletzungsverfahrens erforderlich. Es gehe um den „Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“. Deutschland habe diesen nicht ausreichend umgesetzt, so die Kommission. Dies sei insbesondere im Zusammenhang mit dem „öffentlichen Leugnen und gröblichen Verharmlosen“ der Fall.

Derzeit heißt es in Absatz 5 des § 130 StGB, dessen „Absatz 2 gilt auch für einen in den Absätzen 3 oder 4 bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3)“. In diesen ist jedoch lediglich von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und den dort begangenen Verbrechen die Rede.

Koalition räumt Erweiterung des Begriffs der Volksverhetzung ein

Der neue Absatz 5 sieht Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen für Tathandlungen vor, die sich auf die Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches beziehen. Dieses nimmt auf die Genfer Abkommen von 1949 Bezug. Deshalb erfasst die Neufassung keine Kriegshandlungen oder staatlich organisierte Gewaltakte vor dessen Inkrafttreten.

Die Strafdrohung in den neu erfassten Fällen ist geringer als im Fall des § 130 Absatz 3 StGB. So trägt der Gesetzgeber immerhin der Einzigartigkeit des nationalsozialistischen Völkermordes an den europäischen Juden Rechnung. Es gibt jedoch auch in der anderen Richtung Unterscheidungsmerkmale von der Strafbarkeit der Holocaustleugnung. Bezüglich der Strafbarkeit der nun angesprochenen Tathandlungen bedarf es keines historisch erwiesenen Faktums oder eines Urteils eines internationalen Gerichtshofes.

Nach Einschätzung der „Legal Tribune online“ geht dies über eine bloße Klarstellung des Strafbarkeitsumfangs hinaus. Die Neufassung des § 130 StGB gehe hier vielmehr über den Rahmenbeschluss hinaus. Offenbar obliegt es nun Staatsanwälten und Gerichten, die tatsächliche Reichweite des Anwendungsbereiches abzustecken.

Die Koalition räumt die Überschreitung der EU-Vorgabe auch ein. Sie wolle damit den „systematischen Widerspruch“ vermeiden, wonach es auch bei der „Billigung“ solcher Taten nach § 140 StGB solcher Voraussetzungen nicht bedarf. Auch in diesem Fall ist jedoch die „Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören“, Voraussetzung für eine Strafverfolgung.

Hinterfragen des herrschenden Narrativs zum Ukraine-Krieg künftig strafbar?

Kritik erfährt die Neuregelung nicht nur aufgrund der eigenwilligen Form der Gesetzgebung im Schnellverfahren. Schon im Rechtsausschuss äußerten Abgeordnete der Linkspartei und der AfD Bedenken bezüglich einer möglichen Willkür, der die Neufassung Vorschub leiste. AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner warnt vor unbestimmten Rechtsbegriffen und einer „Unbestimmtheit der Anwendungsmöglichkeiten“.

Der zeitliche Zusammenhang mit der russischen Militäroffensive in der Ukraine, im Westen als „Angriffskrieg“ gelesen, weckt zudem den Verdacht der Anlassgesetzgebung. Zwar bleibt bezüglich eines behaupteten „Verbrechens der Aggression“ nur dessen „Belohnung“ oder „Billigung“ strafbar. Kritiker befürchten, dass der § 130 StGB neu darauf zielen könnte, Personen einen Maulkorb zu verpassen, die das vorherrschende Narrativ hinterfragen.

Dass es in den vergangenen Wochen mehrfach zu Übergriffen auf ukrainische Schutzsuchende gekommen war, könnte man immerhin den Bezug zur „Gefährdung des öffentlichen Friedens“ herstellen. Radikale Nationalisten wie der frühere ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, machen sogar Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer für solche Vorfälle mitverantwortlich.

Der zuständige Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion, Thorsten Lieb, widerspricht dieser Einschätzung. Er erklärt gegenüber LTO, dass die Neufassung „keine Lex Putin“ sei oder so zu verstehen sei. Allerdings bestätigt auch er, dass es „den Gerichten vorbehalten“ bleibe, inwieweit Äußerungen, die diesen bewaffneten Konflikt betreffen, Tatbestand sein könnten. Genau dahin zielen jedoch auch die Bedenken der Kritiker.



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