Paus feiert sich für Kindergrundsicherung – Verbände sehen eher Minimalkompromiss

Um die Kindergrundsicherung durchzubekommen, hat Ministerin Lisa Paus den Koalitionsfrieden herausgefordert. Herausgekommen ist ein Kompromiss, für den sie sich selbst lobt. Verbände jedoch sehen ein suboptimales Ergebnis.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wollte zuerst 12 Milliarden Euro pro Jahr für die Kindergrundsicherung
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wollte zuerst 12 Milliarden Euro pro Jahr für die Kindergrundsicherung.Foto: Britta Pedersen/dpa
Von 30. August 2023

Von „wirklich sehr harten Verhandlungen“, die sich jedoch gelohnt hätten, spricht Bundesfamilienministerin Lisa Paus mit Blick auf die Kindergrundsicherung. Um ihr Projekt finanziert zu bekommen, hatte sie im Kabinett das geplante Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner blockiert. In der Nacht zum Montag, 28. August, und noch vor der Regierungsklausur in Meseberg kam es zu einer Einigung.

Paus will durch Kindergrundsicherung Lücken schließen

Die „Welt“ zitiert Paus mit der Aussage, das Verhandlungsergebnis markiere die „umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren“. Tatsächlich sind die Ambitionen hinter dem Projekt beachtlich. Ziel der Kindergrundsicherung ist es, die bisherigen Leistungen für anspruchsberechtigte Kinder in einer Anspruchsgrundlage zusammenzufassen.

Darüber hinaus will man Familien besser über Leistungen aufklären, die ihnen zustehen. Immerhin gibt es Leistungen, die ein Großteil der Anspruchsberechtigten gar nicht beantragt, weil sie den Betreffenden unbekannt sind. Zuständig sollen künftig die Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit sein.

Das Kindergeld, das künftig „Kindergarantiebetrag“ heißen soll, bezahlen diese jetzt bereits aus. Dazu kommt der Anfang des Jahres geschaffene Kinderzuschlag. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums nehmen diesen bislang erst 41 Prozent der eigentlich Berechtigten in Anspruch.

Kinderzuschlag hängt auch von Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums ab

Wie hoch dieser künftig konkret ausfallen wird, ist noch unklar. Dies hängt unter anderem vom Ergebnis der Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums ab. Maximal ist ein Betrag von 270 Euro monatlich vorgesehen.

Zustehen soll er Kindern, wenn ihre Eltern berufstätig sind, aber dennoch nicht ausreichend Geld verdienen, um diesen Wert zu erreichen. Das soziokulturelle Existenzminimum umfasst zum einen die materiellen Grundbedürfnisse wie Essen, Kleidung und Wohnen. Zum anderen werden aber auch Faktoren einbezogen, die ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe abdecken.

Darüber sollen auch das Bürgergeld für Kinder und Leistungen aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ in der Kindergrundsicherung zusammenfließen. Erhalten bleiben soll zudem der seit Juli 2022 bezahlte Sofortzuschlag von monatlich 20 Euro für armutsbedrohte Kinder. Er soll künftig als Teil des Existenzminimums gelten. Zudem wolle man die Ausgaben für den Familienhaushalt in höherem Ausmaß als bisher als Teil des Existenzminimums der Kinder gewichten.

Alleinerziehenden will der Bund eine Erleichterung verschaffen, indem der Kinderzuschlag nur noch zu 45 Prozent als Einkommen in die Berechnung der Leistung einfließen soll. Um diese zu erhalten, müssen Betroffene ab dem Schulalter ihrer Kinder allerdings mindestens 600 Euro monatlich aus einer Erwerbstätigkeit beziehen.

Paus: Staat wird zum „Servicedienstleister“ für Familien

Um Eltern den Überblick über die ihnen zustehenden Leistungen zu erleichtern, soll der Staat, so Paus, zum „Servicedienstleister“ werden. Mit dem Antrag auf Kindergrundsicherung sollen Eltern einem Datenabgleich mit dem Finanzamt zustimmen. Sollte ein Anspruch auf Zusatzleistungen über den Garantiebetrag hinaus bestehen, werde ein Hinweis erfolgen.

Dies soll die Treffsicherheit der Leistung erhöhen – offenbart jedoch gleichzeitig, dass Paus in diesem Kontext zu wenig erreicht haben könnte. Abgesehen davon, dass die Kindergrundsicherung in der neuen Form erst ab 2025 greifen soll, wirft auch der ausgehandelte Finanzierungsbetrag Fragen auf.

Wenn der Bundestag am 13. September die Neuregelung verabschieden sollte, würde die Ministerin auf jährlich 2,4 Milliarden Euro aus dem Bundesfinanzministerium zählen können. Das ist jedoch deutlich weniger als die 12 Milliarden pro Jahr, von denen Paus ursprünglich an Finanzierungsbedarf gesprochen hatte. Später hatte sie bis zu sieben Milliarden ins Treffen geführt, Lindner hatte einen „Merkposten“ von zwei Milliarden veranschlagt.

Zugesagte Summe könnte auf Dauer nicht ausreichen

Sollten 2025 bereits 48 Prozent der Berechtigten ihre Ansprüche aufgrund der neuen Kindergrundsicherung ausschöpfen, würde dies Lindner zufolge Kosten von einer Milliarde Euro bedeuten. Fast 500 Millionen Euro sollen für den Aufbau des Portals und den anfänglichen Verwaltungsumbau anfallen. Eine weitere Milliarde Euro sollen Verbesserungen wie die eingeschränkte Anrechnung von Unterhaltszahlungen kosten.

Im Jahr 2028 könnten bereits 75 Prozent der anspruchsberechtigten Familien die ihnen zustehenden Leistungen beantragen. Dann würden die zu erwartenden Kosten jedoch bereits mit sechs Milliarden Euro zu Buche schlagen. Diese will man im Verhältnis von fünf zu eins zwischen Bund und Ländern aufteilen. Von diesen gibt es bis dato noch keine Reaktionen auf das am Montagmorgen präsentierte Vorhaben. Lindner rechnet damit, dass der Vermittlungsausschuss befasst werden wird.

Der Bundesfinanzminister hatte bis zuletzt versucht, die zusätzlichen Mittel für die Kindergrundsicherung zu minimieren. Immerhin, so seine Argumentation, habe die Ampel bereits Leistungsverbesserungen für Kinder und Familien in einer Größenordnung von 18 Milliarden Euro veranlasst.

Macht sich der Staat mit der Kindergrundsicherung zum „Vormund für Kinder“?

Sozialverbände reagierten verhalten auf die Einigung. Sie äußern Zweifel, dass die 2,4 Milliarden Euro, die Paus von Lindner zugesagt bekam, für eine effektive Bekämpfung der Kinderarmut ausreichen würden. Die Kinderschutzorganisation „Save the Children“ sprach von einem „schwachen Kompromiss“. Der Kinderschutzbund sprach von einem „mutlosen Konzept“.

Kritik gab es auch von den Betreibern des Portals „gegen-hartz.de“. Während die Bundesregierung in Aussicht gestellt habe, bürokratische Prozesse durch die Kindergrundsicherung vereinfachen zu wollen, sei das Gegenteil zu befürchten. Ab 2025 müssten viele Familien erst recht zwei separate Anträge stellen. Wer Bürgergeld beziehe, müsse nach wie vor zum Jobcenter gehen, die Leistungen für die Kinder müsse man hingegen bei der Familienkasse beantragen.

Ein Mehr an Leistung sei zudem nicht geplant. Dass es insbesondere für Kinder arbeitsloser Eltern nicht mehr Geld geben werde, habe Minister Lindner selbst klargestellt. Das von Juristen und Sozialarbeitern betriebene unabhängige Ratgeberportal findet in diesem Zusammenhang sogar harte Worte für die Bundesregierung:

Tatsächlich vertiefen die Ampelparteien damit die Spaltung der Gesellschaft weiter, indem mit diesem Gesetz Kinder politisch und rechtlich aus ihrem Familienverbund herausgelöst und zu einem eigenständigen Objekt staatlicher Fürsorge werden. Der Staat macht sich damit zum Patriarchen von Kindern und de facto zu deren Vormund.“

CDU sieht Erhöhung von Bürgergeld als „falsches Signal“

Kritik anderer Art kommt von der CDU. Deren Wirtschaftsrat warnt vor einer „weiteren Aufstockung von Transfers“. Die Gefahr sei groß, „dass sich dadurch manche Eltern eher im Transferbezug einrichten, statt aktiv eine Beschäftigung zu suchen“, äußerte Generalsekretär Wolfgang Steiger.

Auch die geplante Erhöhung des Bürgergeldes um 12 Prozent ab 2024 stößt auf den Widerstand der Union. Die Sozialleistung dürfe nicht stärker steigen als die Löhne von vielen Millionen Beschäftigten, äußerte Fraktionsvize Jens Spahn.

Erwachsene Bezieher von Bürgergeld sollen vom 1. Januar an monatlich 563 Euro bekommen, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag in Berlin an. Das sei ein Plus von 61 Euro. Spahn erklärte, nach heutiger Rechtslage erhalte eine vierköpfige Familie im Schnitt 2.311 Euro Bürgergeld. Das entspreche faktisch dem Einkommen einer Durchschnittsverdienerfamilie in Deutschland.

Sozialverbände hingegen wiesen darauf hin, dass die geplante Erhöhung nicht einmal annähernd ausreiche, um Mehrkosten aufgrund von Inflation und steigenden Lebenskosten abzudecken.

(Mit Material von AFP)



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