Phantomdebatten nach Silvesterunruhen: Böllerverbot „rein praktisch nicht umsetzbar“

Vom Böllerverbot bis hin zu härteren Strafen reicht die Palette der Forderungen nach den Silvesterkrawallen. Betroffene sehen ein Respektproblem.
Hinweisschilder auf Videoüberwachung und Böllerverbot hängen am Zugang zur Altstadt in Düsseldorf.
Hinweisschilder auf Videoüberwachung und Böllerverbot hängen am Zugang zur Altstadt in Düsseldorf.Foto: Martin Gerten/dpa
Von 3. Januar 2023

Die Ausschreitungen in mehreren Städten in der Silvesternacht beschäftigen nach wie vor Politik und Verbände. In einer seltenen Koalition sprechen sich Berlins linker Kultursenator Klaus Lederer und die Berliner Polizeigewerkschaft für ein generelles Böllerverbot aus. Kritiker betrachten die Forderung als Ausdruck eines hilflosen Aktionismus und sehen ein Problem zunehmender Feindseligkeit gegen den Staat als Ursache.

Vor allem in einigen Bezirken Berlins, aber auch in anderen größeren Städten hatte es schwere Sachbeschädigungen und Übergriffe gegen Einsatzkräfte gegeben. Mehrere Dutzend von ihnen wurden verletzt, es gab auch bundesweit eine dreistellige Anzahl an Festnahmen. Insgesamt mussten Polizei und Feuerwehr in der Nacht zum Neujahr fast 4.000 Mal ausrücken. Bei 38 Einsätzen kam es zu Angriffen auf die Einsatzkräfte.

Politischer Fallout wie nach der Silvesternacht 2015?

Ob die Silvesterkrawalle einen ähnlichen Effekt haben werden wie jene in Köln in der Silvesternacht 2015, ist unklar. Damals hatten sexuelle Übergriffe durch Personen mit vorwiegend arabischem Migrationshintergrund Ressentiments gegen Flüchtlinge erzeugt.

In Berlin waren ersten Erkenntnissen zufolge hauptsächlich junge Menschen mit türkischem oder arabischem Hintergrund an den Ausschreitungen beteiligt. Demgegenüber war in Städten wie Hagen in den Medien von osteuropäischen Jugendlichen die Rede, die Einsatzkräfte angegriffen hätten. In Leipzig-Connewitz waren es linksextreme junge Menschen – traditionell ohne Migrationshintergrund –, die mit Böllern gegen Polizeibeamte vorgingen.

Faeser gegen generelles Böllerverbot

Im Nachgang zu den Ausschreitungen hat Kultursenator Lederer am Montag, dem 2.1.2023 im „rbb“ ein Verkaufsverbot für Böller gefordert. Ein solches müsse „bundesweit geregelt werden“. Die zuvor von der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey ins Spiel gebrachte Ausweitung der Böllerverbotszonen sehe er kritisch. Immerhin würde deren Durchsetzung erst recht Polizeikräfte binden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach sich gegen ein generelles Böllerverbot in Deutschland aus. Eine Sprecherin des Ministeriums äußerte gegenüber dem „rbb“:

Das bestehende Recht bietet bereits umfassende Möglichkeiten, um das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände zu verbieten oder auch zu begrenzen.“

Die Länder könnten diese jederzeit nutzen. Relevanter, so Faeser, sei jedoch, dass bestehende Strafbestimmungen „gegen Gewalttäter mit aller Konsequenz angewandt und durchgesetzt werden“. Dies könne bei Bedarf auch „empfindliche Freiheitsstrafen“ bedeuten.

Städtetag: Großteil der Menschen hielten sich an Regeln

Die Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft Brandenburg, Anita Kirsten, gibt zu bedenken, dass sich ein generelles Böllerverbot „rein praktisch nicht umsetzen“ lasse. Stattdessen schlug sie vor, pyrotechnische Artikel nur noch an Experten zu verkaufen.

Zu friedlichen Silvesterfeiern würde es zudem auch beitragen, würden Kommunen zentral Feuerwerke zum Jahreswechsel organisieren. Dies sei etwa in Frankreich der Regelfall. In Deutschland hat in diesem Jahr beispielsweise die Stadt Bernburg ein Feuerwerk über dem dortigen Schloss organisiert. Allerdings war die Durchführung bis kurz vor Mitternacht nicht gesichert, wie die „Mitteldeutsche Zeitung“ berichtete.

Landkreistag: Böllerverbot hilft nicht gegen Staatsverachtung

Der Deutsche Landkreistag verurteilte ebenfalls die Ausschreitungen der Silvesternacht. Präsident Reinhard Sager wies ebenfalls Forderungen nach einem pauschalen Böllerverbot zurück. Einschränkungen gebe es bereits jetzt. Der „Stern“ zitiert ihn mit der Aussage:

Derzeit ist es im Rahmen der Gesetze möglich, örtliche Böllerverbote vorzusehen. Das ist auch teilweise geschehen.“

Das Problem betreffe auch allenfalls Großstädte, in den Landkreisen sei dies kaum relevant. Sager macht aber auch deutlich, dass das Grundproblem hinter den Ausschreitungen nicht die Verfügbarkeit von Böllern sei.

Darin drückt sich der sinkende Respekt einiger Teile der Bevölkerung gegenüber dem Staat aus. […] Das ist ein tiefgehendes Problem, dem aber nicht mit einem Böllerverbot beizukommen ist.“

Betroffene: Enthemmung und Gruppendynamik als Hauptfaktoren

Ähnlich sehen Betroffene die Angelegenheit. Im „Focus“ schildert Katastrophenschützer Philipp Cachée seine Erfahrungen aus der Silvesternacht in Berlin. Er sei Zeuge gewesen, wie Jugendliche gezielt angekippte Fenster oder Autos ins Visier genommen hätten, während neben ihnen ein Einsatz gelaufen sei. Eine 88-jährige Frau habe infolge eines Brandes ihre Wohnung verlassen müssen.

Die Täter, so Cachée, hätten in der Silvesternacht „ein Ventil gesucht, um ihren Frust rauszulassen und auf Konfrontation mit dem Staat zu gehen“.

Gegenüber dem „rbb“ gibt ein Feuerwehrmann, der selbst türkischen Migrationshintergrund aufweist, seinem Unmut über die jugendlichen Randalierer Ausdruck. Er beklagt eine zunehmende Enthemmung in der Gesellschaft:

Früher war man der Coole im Ort, wenn man irgendwo eine Zaunlatte abgerissen hat. Jetzt ist man der Tolle, wenn man hier einen E-Scooter in ein Löschfahrzeug schmeißt oder einen Feuerlöscher in ein Müllfahrzeug. Das ist eine andere Liga. Da ist gar keine Hemmschwelle mehr.“

Eine wesentliche Erklärung für das Verhalten der Täter liege in der Gruppendynamik. Ihre Straftaten in einer größeren Gruppe zu begehen, verleihe ihn trotz erheblicher Polizeipräsenz das Gefühl der Unantastbarkeit:

Ich glaube nicht mal, dass da irgendwie Alkohol groß im Spiel ist. Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund gerade in Neukölln oder Kreuzberg sind jetzt nicht die klassischen Trinker. Ich glaube, dass tatsächlich da eine gewisse Gruppendynamik eine sehr große Rolle gespielt hat und die Masse an Menschen, also eben diese Anonymität, die einem ein gewisses Gefühl an Sicherheit gibt.“

Zudem gälten die Videos von Straftaten, die in sozialen Medien die Runde machten, als Trophäen.

Pyrotechnik-Verband: Schaden entstand hauptsächlich nicht durch legale Feuerwerkskörper

Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) sieht hinter den Silvesterkrawallen ebenfalls ein Problem, an dem ein Böllerverbot nichts ändern würde. Gegenüber dem „RND“ erklärt er zudem, ein allgemeines Verkaufsverbot an Private würde eher Gefahren schaffen als beseitigen.

Es sollte sich weiter darauf konzentriert werden, die Verbreitung von illegalem Feuerwerk in Europa und Deutschland einzudämmen, anstatt jetzt das legale Feuerwerk zu dämonisieren und zu verbieten.“

Vielfach seien nicht nur bei schweren Unfällen, sondern auch bei Übergriffen in der Silvesternacht keine legalen Pyrotechnikartikel im Spiel gewesen. Häufig wären es selbst gebaute Feuerwerkskörper, beispielsweise sogenannte Kugelbomben, gewesen, die den meisten Schaden angerichtet hätten.

(Mit Material von dts)



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