Prof. Dr. Bruns: Wie die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändert

Die Digitalisierung dominiert seit Jahrzehnten jede Agenda, von der Wissenschaft bis hin zur Politik und Wirtschaft. Kann sie künftig die Chancengleichheit und Freiheit der Menschen garantieren?
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Die digitale Transformation hat die Welt der Menschen tiefgreifend verändert.Foto: iStock
Epoch Times6. Juni 2022

Die digitale Transformation hat ähnlich wie die Industrialisierung die Gesellschaft und die gesamte Wirtschaft tiefgreifend verändert. Wie sich dies genau zeigt und welche Gefahren und Herausforderungen damit verbunden sind, darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Werner Bruns. Er leitet den Studiengang „Digital Transformation Management“ an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH).

Prof. Dr. Werner Bruns, was versteht man eigentlich unter digitaler Transformation?

Die „Digitalisierung“ dominiert seit Jahrzehnten jede Agenda, von der Wissenschaft bis hin zur Politik und Wirtschaft, aber auch Gesellschaft und deren NGOs. Zunächst war damit nur die Umwandlung analoger Daten in digitale gemeint, etwa beim Digitalisieren von Akten, Büchern, Musik oder Fotos. Diese Daten wurden ordentlich bürokratisch in Sortiersysteme abgelegt, ganz so, wie wir es in der analogen Welt auch tun würden.

Und die Datensammelleidenschaft der modernen Gesellschaft ist unstillbar. Mittlerweile produzieren Menschen, Algorithmen und Maschinen mit ihren Handlungen weltweit jede Sekunde neue gigantische Datenmengen, die weitgehend unstrukturiert auf unzähligen Servern in der ganzen Welt liegen. Das Phänomen wird gemeinhin mit dem Begriff „Big Data“ bezeichnet. Diese Daten sind zu einem scheinbar unendlichen Rohstoff geworden, für den es gilt, immer neue kreative Verwendungsmöglichkeiten zu erfinden.

Digitalisierung bezeichnet daher auch diejenigen Phänomene, die sich aus der Digitalisierung im ursprünglichen Wortsinn entwickelt haben. Technisch betrachtet sind hochkomplexe Systeme entstanden, wie das Internet der Dienste mit Apps, Services und Prozessen und Netzwerke, die reale und virtuelle Objekte intelligent vernetzen. Oder auch das Internet der Dinge mit Sensoren und Aktorennetzwerken. Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz stehen noch ganz am Anfang, da werden wir in den nächsten Jahren enorme Entwicklungen beobachten.

Für mich als Sozialwissenschaftler viel spannender ist das Internet der Menschen mit dem smarten Bürger, Social Media und den Webdiensten, dazu das Internet der Daten mit Analysen, Big und Open Data und Prognosen. Die sozialwissenschaftlichen Fragen dahinter sind also: Was macht das mit dem einzelnen Menschen? Was macht das mit seinen sozialen Beziehungen? Was macht das mit der Arbeit? Wie verändern sich Organisationen, Führungsverhalten, Kommunikation und so weiter? Wie wird überhaupt noch eine Hintergrundrealität erzeugt, auf die wir uns als Gesellschaft im Miteinander-Reden beziehen? Dies ist eine zentrale Frage, wenn wir an Fake News und Echokammern denken.

Wir müssen im Blick behalten, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht voneinander zu trennen sind. Menschen sind es, die Technik entwickeln, und alles, was in der Welt ist, wirkt auf die Gesellschaft zurück.

„Digitale Transformation“ bezeichnet also den modernen gesellschaftlichen Wandel, der durch und mit der Digitalisierung geschieht. All das, was wir an technischer Entwicklung beobachten, verweist gleichzeitig auf die hohe Geschwindigkeit und die Tiefe auch des gesellschaftlichen Veränderungsprozesses. Stellen Sie sich die Arbeit einer Sekretärin in den 1950er-Jahren vor: mit Stenoblock und Schreibmaschine und Büroboten.

Heute müssen wir dagegen auch die Interaktion oder Kommunikation zwischen Mensch und Maschine als Teil von sozialen Prozessen betrachten, wenn wir die Dimension der digitalen Transformation begreifen wollen. In meinem mit meiner Frau veröffentlichten Buch „Reverse-Mentoring – Impuls-Mentoring mit Digital Natives für mehr Innovation (2018) gehen wir auf diesen Aspekt ein.

Ist das zu verstehen als digitale „Revolution“, so wie man auch von „industrieller Revolution“ gesprochen hat?

Ja, natürlich! Mit der industriellen Revolution gingen vielfältigste Verschiebungen in der gesellschaftlichen Organisation einher. Die stabilen gesellschaftlichen Ordnungsmuster wurden quasi abgelöst. Das betraf zum Beispiel die Siedlungsstruktur, das Bildungswesen, die Familienformen und die Arbeitsverhältnisse. Immer mehr Menschen zog es in die Stadt. Das Bildungswesen musste auf neue Arbeitsbedingungen vorbereiten und die Familie verlagerte traditionelle Aufgaben in Krankenhäuser, Altersheime, Schulen und Kindergärten, um nur einige Beispiele zu nennen. Es entstanden Fabriken, Türme, Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen. Die Welt hat sich durch die Erfindung der Dampfmaschine binnen 200 Jahren radikal verändert! Wir sehen das ja auch wunderbar in der Architektur, der Malerei, in Musik und Lyrik.

Und die Welt von morgen, die besteht aus Smart City und Smart Home, aus autonomer Fortbewegung, aus Drohnen und Robotern im Stadtleben, aus einer total vernetzten Welt und einer Kommunikation zwischen künstlicher Intelligenz (KI) und Mensch beziehungsweise zwischen Mensch und KI. Die soziale Kommunikation erfährt vollends eine technische Konditionierung. Die mit der digitalen Transformation verbundenen sozialen Verwerfungen und Verheißungen sind sicher vergleichbar mit der industriellen Revolution, sie sind aber auch schneller und umfassender.

Die Frage dabei ist immer: Wie erhalten wir die Freiheit auch im digitalen Zeitalter, dass wir nicht zu Sklaven von Social Bots werden und Entwicklungen, die uns versklaven lassen? Das heißt, wir müssen einen enormen Aufwand betreiben, um die Freiheit für uns zu erhalten.

Die Social Bots stellen neben der uneingeschränkten digitalen Überwachung, den Cyberangriffen und dem Technologieklau eine der zentralen Gefahren im Rahmen der Digitalisierung dar. Diese Social Bots sind eine Software, die künstlich Begriffe und Meinungen im Internet verstärken. Sie können zur Manipulation genutzt werden. Mit ihrer Hilfe versucht man, Stimmungen und Meinungen in eine gewünschte Richtung zu bringen. Gleichzeitig kann man mit ihnen suggerieren, dass es eine Mehrheit für diese oder jene Stimmung oder Meinung gibt. Dies kann zu ernsthaften Konflikten führen. Damit wird unter anderem versucht, Einfluss auf unsere politische Einstellung oder unser Kaufverhalten zu nehmen.

Die totale digitale Überwachung, wie sie gerade in China im Rahmen des Sozialkreditsystems (Social Credit System) stattfindet, zeigt weitere Gefahren auf. Dort wird eine ganze Gesellschaft digital „erzogen“. Hier werden uns Formen der gesellschaftlichen Steuerung vor Augen geführt, die wir niemals zulassen dürfen, das verträgt sich nicht mit unserer liberalen Demokratie. Aber auch wir müssen darauf achten, dass trotz der Individualisierung das Soziale stabil bleibt.

Noch ein anderer Aspekt, der mir nicht aus dem Kopf geht: In der Mongolei habe ich gesehen, wie in einem illegalen Bergwerk ein Zehn-Liter-Eimer mit einem kleinen Kind ins Bergwerk abgelassen wurde, um da Rohstoffe herauszuholen, die wir für unsere Digitalisierung benötigen. In Entwicklungsländern riskieren Menschen oft ihr Leben für unsere digitalen Geräte. Und auch der massiv steigende Strombedarf durch die Digitalisierung muss gelöst werden, ohne die Umwelt zu erdrosseln.

Was sind die durch die Digitalisierung hauptsächlichen, technischen Faktoren, die die Veränderungsprozesse in den Unternehmen bewirkt haben?

Ich sehe hier vor allem die digitale Kommunikation! Sie katapultiert die alte und vermeintlich starre Welt des Unternehmens in neue Formen des Miteinanders und Zusammenlebens. Das Zauberwort der Moderne heißt Netzwerkkulturen. Softwaregesteuerte Arbeitsabläufe, die Online-Kollaborationen und die computergesteuerten Maschinen erfordern immer, dass Menschen sich in ihrem Arbeiten darauf beziehen. Soziales ist ohne Software und Maschine nicht mehr denkbar.

In den Wirtschaftswissenschaften ist daraus eine Debatte um die „agile“ Organisation entstanden. Kernelemente einer solchen agilen Organisation sind eine polyzentristische Organisationsform, das heißt dezentrale, kleine Einheiten, also Peer-to-Peer statt Hierarchie, ein gemeinsames Verständnis von der Organisationskultur und ein organisationsinternes, gemeinsames Mit-Lernen. Wir erleben gerade das Ende der klassischen hierarchischen Struktur des auslaufenden Industriezeitalters. Zumindest ist das der Trend, der aktuell beobachtet werden kann.

Zählt dazu nicht auch der offene Wissensaustausch?

Selbstverständlich, so ist es. Der Austausch von Wissen und Erfahrung in und zwischen Organisationen ist in Umbruchphasen, wie wir sie derzeit erleben, besonders wichtig. Hierfür gibt es drei Gründe: (a) Der Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen oder wissenschaftlichen Einrichtungen reduziert die Transaktionskosten. (b) Bei Innovationen, die sich aus Digitalisierung, Technik, Erschließung neuer Produkte oder Märkte ergeben, ist der Wissens- und Erfahrungsaustausch besonders wichtig, um Fehler zu minimieren, einheitliche Standards zu entwickeln und Anschlussprodukte zu entwickeln. (c) Kollaborationsprojekte schließlich erzeugen Vertrauensnetzwerke und schaffen Reputation.

Wissensaustausch fördert generell die Innovationsleistung eines Unternehmens. Das widerspricht klassischem, industriellem Unternehmensdenken, das doch lange Zeit vermeintlich gut davon gelebt hat, sein einzigartiges Wissen keinesfalls mit der Konkurrenz zu teilen.

Und noch eins in diesem Zusammenhang zum Themenfeld der Wissenschaft: Die gigantische Menge an Datenspuren, die wir – salopp gesagt – als Homo oeconomicus und als Homo Sociologicus produzieren, geben nicht nur der Wissenschaft die Möglichkeit, noch viel mehr über das Verhalten und das soziale Handeln von uns Menschen zu erfahren, als das bisher durch Befragungen oder Beobachtungen üblich war.

Vor allem geht es schnell, denn die Daten liegen ja schon auf unzähligen Servern herum. Man muss nur noch die richtigen Fragen stellen. Damit steigt dann auch die Gefahr der Manipulation, der man nur begegnen kann durch Transparenz und Aufklärung. Aufhalten werden wir diese Entwicklung sicher nicht, allenfalls werden wir die Nebenwirkungen begrenzen können durch Bildung und Beratung.

Was bedeutet die digitale Transformation für die Beschäftigten im Unternehmen?

Beschäftigte sollen neben den fachlichen Kompetenzen über Netzwerk- und Dialogkompetenz verfügen, sie sollen Zeit- und Ortssouveränität besitzen, nicht-linear Denken können, Ambiguitätstoleranz besitzen, Entscheidungen treffen können, kreativ und lösungsorientiert sein und überhaupt hohe soziale Kompetenzen besitzen, denn sie müssen in ihren Unternehmen permanent verhandeln und Konflikte lösen.

Jetzt werden Sie sagen, das ist nicht für jeden und jede zu schaffen! Damit haben Sie recht, zumal das Tempo noch zunehmen wird. Diese Anforderungen seitens der Unternehmen treffen auf ein Set von Wünschen einer aktuell knappen Ressource von Mitarbeitern: Das sind dann Wünsche nach mehr individueller Mitbestimmung, nach Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich des Arbeitsplatzes, des Arbeitsorts und der Arbeitszeit; die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Work-Life-Balance, aber auch Werte, wie Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit und Gleichberechtigung sind heute wichtige Themen, die von den Unternehmen bearbeitet werden müssen, wenn sie ein „attraktiver Arbeitgeber“ sein wollen.

Einige der gegenseitigen Ansprüche sind durchaus kompatibel. Und bei der Gestaltung von Arbeit ist sicher noch viel Luft nach oben, wenn auch am Ende Unternehmen am Markt bestehen müssen. Zumindest das ändert sich gegenwärtig noch nicht!

Wir müssen uns ernsthaft mit den Folgen der digitalen Transformation für Gesellschaft und Individuum beschäftigten. Die digitale Transformation kann nicht einfach einen neuen Menschen bestellen! Wie schon gesagt, technische und soziale Prozesse sind allenfalls analytisch trennbar, sie beeinflussen sich wechselseitig und sind insofern ineinander verschlungen. Anspruch und Wirklichkeit, Einstellung und Verhalten in Einklang zu bringen ist also im Grunde Teil des Veränderungsprozesses.

So müssen Führungskräfte eben mehr motivieren, statt kontrollieren. Sie müssen Vertrauen aufbauen können und auf gleicher Augenhöhe führen können, ohne dass sie dabei ihre Autorität verlieren. Zudem wird die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, nicht mehr im Acht-Stunden-Takt geregelt. Sie wird vielmehr ausgehandelt zwischen den Bedürfnissen des Betriebes und den höchst individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Mitarbeiter. Daran werden wir uns alle gewöhnen. Auch die Gewerkschaften müssen sich daran gewöhnen und ihren gesellschaftspolitischen Auftrag an solchen Veränderungen orientieren.

Sie sehen, wie weit das geht! Und immer treten neue Nebenwirkungen auf, mit denen wir uns beschäftigen müssen. In diesem Fall stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist, wenn jemand es nicht schafft, die gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit herbeizuführen?

Und was ändert sich denn durch die digitale Transformation in der Gesellschaft?

Alles, na ja, fast alles! Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich der Prozess der Individualisierung weiter verstärken wird. Daraus ergibt sich für mich, dass das Kollektivbewusstsein der Gesellschaft, um es mit dem Soziologen Emile Durkheim zu sagen, weiter geschwächt wird. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft wird abnehmen, auch deshalb, weil Netzwerke stärker zweckorientiert ausgerichtet sind.

Das sieht man schon an den sozialen Medien. Diese schaffen mehr Öffentlichkeit, aber darin veröffentlichen Menschen individuelle Bereiche. „In der Öffentlichkeit spiegelt sich die Gesellschaft wider, und nur, weil sie sich darin spiegelt, ist sie sich ihrer selbst bewusst“, schrieb der leider verstorbene Soziologe Kurt Imhoff. Die Gesellschaft beschreibt also sozusagen ihren Aggregatzustand in einer selbst erzeugten Öffentlichkeit.

Derzeit zeichnet sie ein Bild von unzähligen Partikularinteressen. Die Pandemie und der Ukrainekrieg führen uns das deutlich vor Augen. Traditionelle Milieus verlieren an Bedeutung. Menschen binden sich nicht mehr an Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Berufsverbände, sie identifizieren sich vielmehr ad hoc und zeitlich begrenzt mit einer NGO und bestimmten Themen.

Wir sehen, dass die großen mächtigen Organisationen des Industriezeitalters, die Gewerkschaften, die Unternehmensverbände, Branchen- und Berufsverbände ihre Legitimität verlieren und sie mehr und mehr Macht und Einfluss an themenbezogene NGOs abgeben müssen. Ihre Legitimation und Unverzichtbarkeit ist längst angezählt, denn Informationen von Google und YouTube sind überall und für jeden verfügbar, wozu sollte also jemand Beiträge bezahlen für etwas, was vermeintlich umsonst zu erhalten ist? Informationen stehen gegen Daten kostenlos zur Verfügung.

Aber was müssen wir tun, um unseren Wohlstand zu erhalten und die Gesellschaft in der Balance zu halten?

Schwere Frage! In Anlehnung an den Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida denke ich, wird es wichtig sein, dass wir Talente, Technologien und Toleranz fördern. Die erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft und eines Landes hängt vor allem von einem funktionierenden Bildungssystem ab. Wir haben nicht nur den Kindergärten und Schulen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet und die Dinge laufen lassen, auch die Hochschulbildung muss ganz dringend moderner werden, eine permanente Anpassung der Bildungsinhalte ist hier wichtig.

Talente bedeuten Innovationsfähigkeit. Es braucht technische und soziale Innovationen, um neue produktive Beschäftigung – und Einkommensquellen zu schaffen, neue Antworten auf soziale Herausforderungen zu finden und den Übergang zu einer digitalen Marktwirtschaft zu schaffen.

Wir brauchen Innovationen und modernste Technologien, gerade deshalb, um die Überlebensfragen der Menschen und der Menschheit langfristig zu lösen. Dazu zählen so elementare Bereiche wie die Lebensmittelproduktion, der Klimawandel und Energiefragen.

Toleranz schließlich, meint die Offenheit gegenüber Vielfalt, alternativen Lebensstilen und Werten wie Meinungsfreiheit, Forscherdrang, Experimentiergeist und Entfaltungsmöglichkeiten – für jeden Einzelnen. Erfolgreiches und nachhaltiges Unternehmertum basiert auf diesen Werten. Umwelt und Sozialstandards müssen daher ebenso eingehalten werden, wie die Menschenrechte.

Über Florida hinausgehend würde ich neben den drei „Ts“ Talente, Technologie und Toleranz noch das vierte „T“ setzen, die Tradition. Es ist die Tradition, aus der ein Land, seine Menschen und seine Wirtschaft lebt. Die Industrialisierung hat Deutschland weltweit zu einer führenden Region gemacht. Zur prägenden Tradition unseres Landes gehört aber ebenso ein starker sozialer Zusammenhalt. Unsere spezifische Form der sozialen Marktwirtschaft verkörpert beides. Dieses Erbe hat Zukunft, weil es die Sicherheit schaffen kann, in der Toleranz und Talente gedeihen, die Technologien für Menschen schaffen.

Das heißt für mich zusammenfassend, dass Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit als Intention der Französischen Revolution und Aufklärung in der digitalen Transformation neu gedacht werden müssen. Also, die drei Eckpunkte dürfen wir nie aus dem Auge verlieren. Das ist der europäische Schatz, den wir immer wieder mit neuem Leben füllen müssen.

Und wir müssen uns fragen: Wie erhalten wir für viele Menschen die daraus abgeleitete Chancengleichheit? Wie schaffen wir es, die Freiheitsspielräume zu erhalten, sodass wir nicht so wie in China kontrolliert werden von irgendwelchen Dingen, die wir nicht wollen? Und wie übernehmen wir Verantwortung für die Brüder und Schwestern auch über die eigene Blase hinaus.

Und das Nächste ist, im Kontext dieser drei Punkte, natürlich die Eigentumsfrage bei Daten zu klären. Das betrifft nicht nur Künstler und Schaffende, sondern alle. Wir müssen schauen, dass wir den Eigentumsbegriff neu definieren. Das ist im Moment die große Baustelle des Liberalismus, dass er noch nicht genau weiß, wie er diesen Eigentumsbegriff im Zuge der Digitalen Transformation schützen kann. Denn natürlich hat jede Person ein Recht auf den Schutz ihrer Daten. Natürlich auch darauf, dass sie beteiligt wird, wenn solche Daten in irgendeiner Form [auch geschäftlich] genutzt werden, auch mit ihrer Einwilligung.

Eine damit zusammenhängende weitere wichtige Frage ist die Zugänglichkeit von Wissen und von Daten. Darüber muss man nachdenken. Da stehen wir erst am Anfang.

Das Interview führte Erik Rusch.

Werner Bruns (68) ist Sozialwissenschaftler. Er war in den letzten 20 Jahren unter anderem Lehrbeauftragter an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, an der Universität zu Köln, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Fachhochschule Esslingen am Neckar und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg.

Bruns leitet heute das „Europa-Institut für Erfahrung und Management – METIS“ an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH) und ist dort Studiengangsleiter für „Digital Transformation Management“.

Er war von 1987 bis 1996 als Referent für Arbeitsmarktpolitik im niedersächsischen Sozialministerium tätig.
Bruns arbeitete von 1996 bis 2009 im Wirtschaftsministerium von Baden-Württemberg, zunächst als Leiter der Zentral- und Pressestelle, dann als Leiter der Grundsatzabteilung des Ministeriums und später als Chef der Mittelstandsabteilung.

Von 2009 bis 2014 war er Abteilungsleiter und Politischer Direktor im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und zwei Jahre Vertreter des Staatssekretärs. Er publizierte darüber hinaus zahlreiche gesellschafts- und wirtschaftspolitische Bücher und Aufsätze.

Das Interview erschien zuerst in der Wochenausgabe der gedruckten Epoch Times vom 4. Juni. 



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