Prof. Kooths: „Der Sozialismus ist eine gescheiterte Idee, die niemals stirbt“

Die Offene Gesellschaft in der westlichen Welt ist bedroht durch einen Drift hin zu kollektivistischen Lösungen, erklärt der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft Prof. Dr. Stefan Kooths. „Sie enden jedoch spätestens, wenn sie ihr Rendezvous mit der Realität haben“, sagt der Vertreter des klassischen Liberalismus bei einem Forum in Berlin.
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Prof. Dr. Stefan Kooths war am 26.10.2023 als Redner bei der Veranstaltung der Hayek-Gesellschaft in Berlin.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 28. Oktober 2023

Zum Thema „Kipppunkte für die Offene Gesellschaft – Gefahren für Wohlstand, Freiheit und Rechtsstaat“ veranstaltete die Friedrich August von Hayek-Gesellschaft in Berlin am 26. Oktober ein „Forum Freiheit“ mit Teilnehmern aus der liberal-konservativen Szene.

Prof. Dr. Stefan Kooths, Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft und Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum im Institut für Weltwirtschaft Kiel, hielt dabei die Eröffnungsrede mit dem Titel: „Wie Freiheit schwindet“. Mit Epoch Times sprach er in der Pause.

Herr Kooths, das große Thema, unter dem die Veranstaltung heute steht, sind „Kipppunkte in der Offenen Gesellschaft“. Was bedroht die freiheitliche oder offene Gesellschaft?

Die Offene Gesellschaft ist immer dadurch bedroht, dass in ihr andere Koordinationsmechanismen wirken müssen, weil sie eine anonyme Großgesellschaft ist im Gegensatz zu den Kleingruppen, in denen wir typischerweise aufwachsen, oder den damaligen Stammesgesellschaften. Da kann man sich individuell den persönlichen Bedürfnissen der anderen zuwenden.

Jeder kennt jeden und kann auch einschätzen, was der andere braucht. In Großgesellschaften geht das nicht mehr. Da sind wir mit Menschen in Verbindung, die wir gar nicht persönlich kennen können. Das heißt, wir brauchen hier andere Instrumente, andere Institutionen, die diese Großgesellschaften lebensfähig halten. Dieses Kleingruppendenken ist daher gefährlich, da wir dadurch den sozialen Kitt auf die Großgesellschaft zu übertragen versuchen. Dadurch passiert es oftmals, dass wir individuelle Freiheitsräume übermäßig einschränken.

Meinten Sie mit der Formulierung „kollektivistischer Drift“ in Ihrem Vortrag genau diesen eben beschriebenen Mechanismus?

Ja, das ist der Drift hin zu kollektivistischen Lösungen, wo sich auch alle immer einig sein sollen, wo wir dann auch einen gewissen Konformitätsdruck erkennen. Denn das gehört leider auch zur Stammesgesellschaftserfahrung, sich ungern außerhalb der Gruppe zu stellen. Das war in früheren Zeiten lebensbedrohlich. Das ist es heute zum Glück nicht mehr. Aber Menschen tun sich immer sehr schwer, sich gegen die Mehrheit zu stellen, Zivilcourage zu zeigen, sich auch für Menschen einzusetzen und deren Meinungsfreiheit zu verteidigen, die eine Position vertreten, die gar nicht ihre eigene ist, weil man dann immer in Mithaftung genommen wird.

Das kann dann dazu führen, dass die notwendige Diskursbreite übermäßig verengt wird. Darunter leiden wir am Ende alle, weil wir dann eben Gefahr laufen, dass wir wichtige Ideen, die uns voranbringen können, nicht mehr nach oben kommen lassen. Das war die Erfolgsgeschichte des westlichen Modells liberaler Rechtsstaaten, dass sie es geschafft haben, diese pulsierende Ideenschmiede immer wieder am Laufen zu halten.

Haben Sie auch Beispiele, um das jetzt mal aus dem Abstrakten herauszuholen?

Es tritt meistens dann ein, wenn es sehr gute Absichten von einigen gibt, die eine bestimmte Politik verfolgen. Das kann in der Flüchtlingspolitik der Fall sein oder auch in anderen Gebieten. Da stehen sehr gute Absichten typischerweise im Vordergrund. Dann werden Maßnahmen durchgezogen. Diese Maßnahmen dürfen jedoch nicht kritisiert werden, denn wer die Maßnahmen kritisiert, dem wird unterstellt, dass er die eigentlich „guten“ Ziele torpedieren möchte.

Darum geht es ja gar nicht. Es geht darum, dass man auch Maßnahmen für vernünftige Ziele weiterhin kritisch diskutieren können muss. Da hat es meines Erachtens in der Vergangenheit doch eine starke Diskursverengung gegeben, sodass sich einige nicht mehr getraut haben, ihre berechtigten Bedenken vorzutragen. Wir tun uns keinen Gefallen damit, wenn wir unangenehme Kritik, unangenehme Fakten wegdrängen. Wir sollten die Überbringer von Bedenken oder „schlechten“ Nachrichten nicht in die Wüste schicken.

Es ist bereits so weit gekommen, dass das Formulieren guter Absichten dazu geführt hat, dass man Hemmungen hat, die [politischen, wirtschaftlichen, ideologischen usw.] Instrumente, mit denen diese guten Absichten verwirklicht werden sollen, zu kritisieren. Das müssen wir überwinden. Ich meine auch auszumachen, dass wir gerade dabei sind, das zu überwinden, weil natürlich Instrumente, die nicht funktionieren, die auch nicht funktionieren können, früher oder später ihr Rendezvous mit der Realität haben. Spätestens dann müssen wir sie korrigieren.

Sie sprachen heute die sozialistischen Ideen an, und dass sie immer wieder in Erscheinung träten. Die Menschheit hat bereits viele negative Erfahrungen damit gesammelt. Doch immer wieder sucht man in dieser Richtung eine Lösung. Warum ist das so?

Auch die sozialistischen Utopien speisen sich aus diesem kollektivistischen Grundverständnis, wo man eben auch die soziale Wärme der Kleingruppe gerne auf das anonyme Kollektiv übertragen möchte. Die sozialistischen Denker sind 1990 in ein ideologisches Koma gefallen, aber sie sind aus diesem Koma auch wieder aufgewacht. Das ist auch kein neues Muster. Das können wir nach den vielen Dutzenden desaströs gescheiterten sozialistischen Experimenten immer wieder beobachten.

„Der Sozialismus ist eine gescheiterte Idee, die niemals stirbt“, so hat es Kristian Niemietz mal in einem wunderbaren Buch geschrieben. Man redet sich dann immer ein: Ja, das war noch nicht der richtige Sozialismus, aber beim nächsten Mal wird es sicherlich besser funktionieren. Auch hier ist dieser kollektivistische Drift am Werke, dass die Menschen diese Utopie immer wieder verwirklichen wollen. Aber wenn sich Menschen auf den Weg machen, das Paradies auf Erden zu schaffen, dann wird es meistens eine üble Erfahrung. Oftmals wird es die Hölle auf Erden. Deshalb ist dieser übersteigerte Idealismus eben auch eine Gefahr für die individuelle Freiheit.

Zudem sprachen Sie von einer Überhöhung der Demokratie. Was meinen Sie damit?

Die Demokratie spielt natürlich eine ganz wichtige Funktion in unserem Staat, aber immer nur so lange, wie sie rechtsstaatlich eingehegt wird. Die Demokratie ist eine Regel, mit der wir die Regierung gewaltlos auswechseln können. Das ist eine unschätzbar wertvolle Errungenschaft und die brauchen wir auch weiterhin. Aber die Mehrheitsentscheidungen dürfen nicht so weit gehen, dass dadurch individuelle Freiheitsrechte zur Disposition der Mehrheitsentscheidung gestellt werden. Genau dafür haben wir ja die individuellen Abwehrrechte gegen den Staat. Da ist übrigens das deutsche Grundgesetz vorbildlich und hat auch Nachahmer gefunden.

Ganz am Anfang werden im Grundgesetz die individuellen Rechte formuliert und der Staat kommt dann erst im Anschluss. Wenn wir die Demokratie zu sehr überhöhen und sagen, solange eine Mehrheit hier irgendetwas entschieden hat, müssen alle anderen Kriterien, insbesondere die der individuellen Freiheitsspielräume, zurücktreten, dann laufen wir Gefahr, dass wir hier Populisten Tür und Tor öffnen. Denn diese nehmen für sich auch in Anspruch, dass die Mehrheit dominieren soll über alle anderen Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Es ist wichtig, die Grundrechte zu berücksichtigen. Die müssen wir schützen, weil ohne sie auch eine demokratische Entscheidung am Ende nichts mehr wert ist.

Fördert in Ihren Augen unsere aktuelle Medienlandschaft, die von manchen als zu einseitig, zu regierungsnah gesehen wird, auch diese Überhöhung des Demokratieprinzips?

Die Medien spielen naturgemäß eine ganz wichtige Rolle für jeden demokratischen Diskurs, denn er findet in den Medien statt. Umso wichtiger ist es, dass die Medien diese Rolle auch tatsächlich wahrnehmen. Sie sollen die Menschen nicht erziehen, sondern sie sollen eine Plattform bieten, wo sich Menschen austauschen können. In dem Moment, wo bestimmte Medien das nicht mehr tun, suchen sich Menschen eben auch andere Medien. Da spielen zum Glück die technischen Möglichkeiten der Meinungsvielfalt in die Hände.

Da ist noch viel Experimentelles unterwegs. Frau Merkel hatte da durchaus recht, dass das Internet kulturell betrachtet noch ein ganz neuer Raum für uns ist, wo wir uns erst herantasten müssen, wie wir hier auch zu vernünftigen Interaktionsformen kommen. Die haben wir sicherlich noch nicht in allen Formaten gleichermaßen gefunden. Aber dies ermöglicht eben neue Kanäle und so stellt sich auch eine entsprechende Meinungsvielfalt ein. Die etablierten Medienkanäle sind sehr gut beraten, sich hier nicht zu sehr zu verengen, weil sie sonst einfach nicht mehr als Medien ernst genommen werden.

Vielen Dank!

Prof. Dr. Stefan Kooths war Redner bei der Hayek-Gesellschaft. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times



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