Proteste im Iran: 21 Tote und über 450 Verhaftete – Warum reagierte die Bundesregierung nur zögerlich?

Die Bilanz der letzten Protestwelle im Iran: Rund 21 Tote und mindestens 450 Verhaftete. Während Donald Trump sofort reagierte und seine Solidarität mit den Demonstranten bekundete, gab sich die Bundesregierung zögerlich. Doch warum eigentlich?
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Proteste im Iran, 3. Januar 2017 (Symbolbild).Foto: MOHAMMAD ALI MARIZAD/AFP/Getty Images
Von 12. Januar 2018

Rund 21 Tote und mindestens 450 Verhaftete – so die Bilanz der tagelangen Proteste im Iran, die am 28. Dezember in der nordwestlichen Stadt Maschhad ihren Anfang nahmen.

US-Präsident Donald Trump reagierte sofort: „Unterdrückerstaaten können nicht für immer Bestand haben. Der Tag wird kommen, an dem das iranische Volk eine Wahl haben wird. Die Welt schaut zu!“, twitterte er am 30. Dezember.

Erst vier Tage später, am 3. Januar, gab es eine Reaktion seitens der Bundesregierung: „Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklungen im Iran mit Besorgnis, insbesondere die Berichte über Todesopfer und zahlreiche Verhaftungen“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Die iranische Regierung sollte auf die Proteste „mit der Bereitschaft zum Dialog“ reagieren.

Aus Sicht der Bundesregierung sei es „legitim, wenn Menschen ihre wirtschaftlichen und politischen Anliegen couragiert in die Öffentlichkeit tragen, wie dies derzeit im Iran geschieht“, fügte Demmer hinzu. Sollten einzelne Demonstranten die Proteste zu Gewalttaten missbrauchen, müsse der iranische Staat darauf verhältnismäßig und mit rechtsstaatlichen Mitteln reagieren.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) formulierte es am 1. Januar ähnlich:

Ich bin sehr besorgt angesichts der jüngsten Entwicklungen in Iran und der Meldungen über weitere getötete Demonstranten und zahlreiche Verhaftungen“, so Gabriel. „Nach der Konfrontation der vergangenen Tage ist es umso wichtiger, allseits von gewaltsamen Handlungen Abstand zu nehmen.“

Während die US-Regierung prompt und mit klaren Worten den demonstrierenden Iraner ihre Solidarität zusicherte, gab sich die Bundesregierung zögerlich. Doch warum eigentlich?

Deutsch-iranische Wirtschaftsbeziehungen erschweren offene Kritik

Die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen erschwerten eine offene Kritik, heißt es in einem Artikel von „N-TV“ vom 31. Dezember.

Denn nach der Unterzeichnung des Atomdeals im Jahr 2015 wurden die Sanktionen gegen den Iran gelockert. Daraufhin reiste Sigmar Gabriel als damaliger Bundeswirtschaftsminister als erster westlicher Regierungsvertreter in den Iran. Sein Ziel: Wirtschaftskontakte knüpfen.

Informationsbrochure zu Geschäften im Iran (Symbolbild). Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images

Immerhin galt der Iran für viele Experte als das wirtschaftlich lukrativste Land, das nach dem Zerfall der Sowjetunion für die globalen Wirtschaft wieder zugänglich wurde.

Durch den Handel und mit einer Öffnung zum Westen, so hoffte man in Deutschland, könnte die iranische Zivilgesellschaft nur profitieren – ein „Wandel durch Handel und Annäherung“ also.

Menschenrechtslage wurde nach Atomdeal schlimmer

Doch die Rechnung ging nicht auf, schreibt Ali Fathollah-Nejad auf „Qantara“. Fathollah-Nejad ist Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Der Iran halte sich laut der internationalen Atomenergiebehörde IAEA zwar an den Atomdeal, doch die Menschenrechtssituation habe sich unter Rohani – der in den internationalen Medien als Reformer dargestellt wird – sogar noch verschlimmert, so Nejad.

Die Anzahl der Exekutionen erreichte ein neues Rekordhoch, die Korruption nahm zu und die Bevölkerung wurden von den Handelsverträgen mit dem Westen außen vorgelassen.

Geld floss nur in die Hände politischer Eliten

Doch wo floss das Geld hin? – Fast ausnahmslos in die Hände der iranischen Regierung, meint Fathollah-Nejad. Konkret heißt das: Von den abgeschlossenen Handelsverträgen profitierten „die Wirtschaftsimperien der Revolutionswächter, des Obersten Führers Ali Khamenei sowie der Bonyads, steuerbefreite islamische Stiftungen“, so der Iran-Experte weiter.

Nach dem Atomabkommen wurden für 107 abgeschlossene Wirtschaftsverträge die US-Dollar-Milliardenhöhe öffentlich gemacht, schrieb die Nachrichtenagentur „Reuters“ im Januar 2017. Diese Verträge brachten dem Iran 81,7 Milliarden US-Dollar, von denen 67,1 Milliarden Dollar an staatliche Unternehmen oder Instanzen gingen. Nur 17 Verträge im Umfang von 14,6 Milliarden Dollar wurden mit dem privaten Sektor geschlossen.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass im Iran – ähnlich wie in sozialistischen Staaten – die Schlüsselindustrien wie z. B. der Außenhandel, der Bergbau, die Bankgeschäfte, etc., sich in der Hand der Regierung befinden, wie es auf der Seite des „Bundesverbands mittelständische Wirtschaft“ (BVMW) zum Iran heißt.

Außerdem folgt die Wirtschaftspolitik Jahresplänen, die alle fünf Jahre beschlossen werden. Der Momentane Fünf-Jahresplan wurde 2017 erlassen, so der BVMW.

Auf diese Weise profitierte fast ausschließlich der autoritäre Staat von dem Atomdeal – die Eliten bereicherten sich an der Bevölkerung vorbei.

Großteil der Bevölkerung ist politisch unmündig

Zudem bleibe „der Großteil der Bevölkerung politisch unmündig und ihr Schicksal liegt in den Händen einer ausschließlich islamistischen Elite. Das Potential für Unruhen und Aufstände ist somit gegeben“, schrieb Fathollah-Nejad bereits im August letzten Jahres.

Um dies zu verhindern, sollten die Iran-Geschäfte an Menschenrechte gekoppelt werden, schlug der Iran-Experte damals vor. „Denn nur durch eine Harmonisierung der Außenpolitik mit einer Entwicklungspolitik, die das Wohl der Bevölkerungsmehrheit im Blick hat, kann die Politik gegenüber diesem wichtigen Land auf eine nachhaltige Grundlage gestellt werden“, meinte er.

Auch sollte die iranische Regierung aktiv werden und Wirtschaftsreformen einleiten. Damit würde der Wirtschaftswachstum im Iran nicht an der Bevölkerung vorbeigehen, so Fathollah-Nejad.

Lebenshaltungskosten schoßen in die Höhe

Doch dies ist nicht geschehen, ganz im Gegenteil: Obwohl die Inflation seit Rohanis Amtsantritt auf rund 8 Prozent fiel, schoßen die Lebenshaltungskosten in die Höhe, so der geopolitische YouTube-Kanal „CaspianReport“.

Verbraucherpreise und Inflation im Iran. Foto: CaspianReport/YouTube/Screenshot

Vor den Protesten waren die Preise für Lebensmittel und Benzin im Iran massiv angestiegen. Die Menschen beschwerten sich über nicht ausgezahlte Gehälter, unerlaubt erhobene Gebühren auf Kredite, willkürliche Entlassungen und Korruption im Alltag, schrieb Fathollah-Nejad letzte Woche.

Auch zeigten die schweren Erdbeben im Westen des Landes, die Mitte November stattgefunden hatten, wie zögerlich die Rohani-Regierung Hilfe für die Menschen anbot und damit „viele buchstäblich in der Kälte stehen ließ“, so der Iran-Experte.

Proteste waren uneinheitlich

Als die Menschen am 28. Dezember schließlich in Maschhad auf die Straße gingen, seien Proteste in anderen Städten des Landes laut „CaspianReport“ durch die sogenannten Hardliner in der Regierung angeheizt worden. Ihr Ziel war es, Rohani und seine moderaten Anhänger in Verruf zu bringen.

Dieser Versuch ging jedoch nach hinten los, da Bilder und Aufnahmen der Proteste sich rasch in den sozialen Netzwerken verbreiteten und so noch mehr Menschen auf die Straße trieben – die Hardliner verloren schnell die Kontrolle über die Demonstrationen.

Was als ein Protest gegen die gestiegenen Lebensmittelpreise begann, wurde schnell uneinheitlich.

Denn während im konservativen Maschhad die Menschen „Tod für Rohani“ riefen, war der Slogan im liberalen Teheran „Tod dem Diktator“ und „Tod den Mullahs“. Andere Demonstranten riefen hingegen: „Lasst Syrien fallen, denkt an uns!“.

Es gab sogar einen Fall, in dem die Flagge der Islamischen Republik verbrannt wurde.

Laut „CaspianReport“ können diese widersprüchlichen Demonstrationen weder als eine einzelne Bewegung noch als Revolution bezeichnet werden. Denn die Proteste waren im Gegensatz zu der „Grünen Bewegung“ im Jahr 2009 relativ klein, nicht koordiniert, hatten kein gemeinsames Ziel und auch keinen gemeinsamen Anführer.

Die iranische Führung – Moderate und Hardliner zugleich – reagierte sofort: Die Messaging und Foto-Video-Apps Telegram und Instagram wurden teilweise gesperrt und regierungstreue Gegenproteste organisiert. Nach neuesten Entwicklungen will die iranische Justiz die sozialen Medien im Iran sogar ganz abschaffen.

Siehe auch: Irans Justiz will soziale Medien komplett abschaffen – Seiten verbreiten Inhalte „gegen die islamischen Werte“

„Diese Medien verbreiten nicht nur Inhalte gegen die innere Sicherheit des Landes, sondern auch gegen die islamischen Werte“, sagte der Vizegeneralstaatsanwalt Abdul-Samad Chorramabadi am Mittwoch.

Diese Seiten seien unkontrollierbar und müssten daher ganz blockiert werden, sagte der Kleriker im Interview mit dem Nachrichtenportal Mizan-Online. Die Regierung ist zwar anderer Meinung, hätte in dieser Sache aber nicht das letzte Wort.

Seit einer Woche ist es weitgehend ruhig im Iran, auch wenn im Internet noch vereinzelt über nächtliche Proteste berichtet wird.

Hier das Video von „CaspianReport“, das einen Einblick in die iranische Innenpolitik gewährt (10:49 Minuten, Englisch):

30 Prozent der industriellen Infrastruktur im Iran stammen aus Deutschland

Aber kommen wir nun wieder zurück zu Deutschland und seiner Beziehung zum Iran. Laut dem Auswärtigen Amt seien die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen „traditionell eng“. Um die 30 Prozent der industriellen Infrastruktur im Land stammen aus deutscher Herstellung.

Die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern waren seit 2007 nach den internationalen Sanktionen gegen den Iran rückläufig. Seit 2014 entwickeln sie sich aber wieder positiv, so das Auswärtige Amt.

Das Handelsvolumen 2015 betrug 2,4 Milliarden Euro, dabei exportierte Deutschland vor allem Maschinen, mechanische Geräte, Kraftfahrzeuge und pharmazeutische Produkte in den Iran.

Im Jahr 2016 betrug das deutsch-iranische Handelsvolumen 2,9 Milliarden Euro – Tendenz steigend.

Gabriel: Atomabkommen und Menschenrechte nicht miteinander vermengen

Nur die Annullierung des Atomabkommens könnte dem bilateralen Handel mit dem Iran einen Riegel vorschieben. Aus diesem Grund trafen sich die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens am Donnerstag in Brüssel mit dem iranischen Außenminister.

Denn für die EU sei klar: Das Atomabkommen habe die Sicherheit im Mittleren Osten erhöht, berichtete das Auswärtige Amt 11. Januar. Auch sei die Bewahrung des Abkommen für die nationale Sicherheit der EU wichtig, heißt es im Artikel weiter.

Außenminister Gabriel machte dies vor dem Treffen deutlich:

Wir sind der festen Überzeugung, dass das Nuklearabkommen erhalten werden muss. Es ist im europäischen Interesse. Es ist im Interesse der Weltgemeinschaft. Wenn jetzt das einzige Abkommen, das verhindert hat, dass in einer Region Atomwaffen entwickelt werden, zerstört würde, wäre das ein verheerendes Signal für alle anderen.“

Ein Scheitern des Abkommens wäre mit Blick auf die Spannungen mit Nordkorea ein sehr schlechtes Zeichen, so Gabriel weiter. Deswegen müsse die Einhaltung des Iran-Deals weiterhin gesichert werden.

Siehe auch: US-Präsident Trump fordert Neuverhandlung von Iran-Deal und verhängt Sanktionen

Was die außenpolitische Rolle Irans und seine Menschenrechtslage betrifft, so dürften diese nicht mit dem Atomabkommen vermengt werden. Denn es seien politisch voneinander getrennte Handlungsfelder, erklärte der Bundesaußenminister. Diese Themen müssten künftig in einem engen Dialog mit dem Iran besprochen werden, fügte Gabriel hinzu.



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