Religionspsychologe: „Letzte Generation“ trägt Züge einer Endzeitsekte

EZW-Religionspsychologe Michael Utsch sieht sektenhafte Züge bei der radikalen Klimagruppe „Letzte Generation“. Es fehle jedoch ein charismatischer Führer.
An der Autobahnausfahrt A100 und A115 in Berlin haben sich mehrere Aktivisten der letzten Generation festgeklebt.
An der Autobahnausfahrt A100 und A115 in Berlin haben sich mehrere Aktivisten der letzten Generation festgeklebt.Foto: Jörg Carstensen/dpa
Von 13. Februar 2023

Eindeutige Parallelen zwischen der radikalen Klimabewegung „Letzte Generation“ und Endzeitsekten mit politischen Ambitionen sieht der Religionspsychologe Michael Utsch. Der Experte von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) äußerte sich dazu in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Anknüpfungspunkte sieht Utsch vor allem in der ausgeprägten Endzeit-Angst unter deren Anhängern. Diese sei begleitet von einer permanenten Radikalisierung und Fanatisierung:

Rechtschaffene und intelligente Menschen lassen sich derart in eine apokalyptische Enge treiben, dass sie ihre Ausbildung abbrechen und Straftaten begehen.“

„Letzte Generation“ ohne Rettungskonzept

Das Narrativ, die Welt sei in Gefahr und ihr Aktivismus werde sie retten, sei „enorm sinnstiftend“. Auch deshalb sei die „Letzte Generation“ besonders für Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektive attraktiv.

Die Position zur Wissenschaft sei ein weiterer Faktor, der an eine Sekte erinnere. In ihrer Endzeit-Angst ließen die Aktivisten nur solche wissenschaftlichen Studien gelten, die ihre Vorstellungen zum Klimawandel bestätigen. Allerdings gebe es auch Unterschiede, äußert Utsch. Um wirklich als Sekte zu gelten, sei die Gruppe „zu vielfältig“. Außerdem fehle es an einem charismatischen Führer und einem Rettungskonzept.

Die Gruppierung tritt seit mehr als einem Jahr unter anderem durch Vandalismus und Straßenblockaden in Erscheinung. Undercover-Recherchen sprechen von einer generalstabsmäßigen Organisation und Planung der Aktionen. Zudem verfügt die „Letzte Generation“ – ähnlich wie die gleichermaßen radikale britische Formation „Extinction Rebellion“ – über enorme finanzielle Mittel. Neben weiteren Prominenten gehört unter anderem die US-Milliardärstochter Aileen Getty zu ihren Förderern.

Märtyrerkult und „übergesetzlicher Notstand“

Das hohe Spendenaufkommen ermöglicht es der Vereinigung, viele ihrer sogenannten Aktivisten hauptamtlich zu beschäftigen oder „Bildungsarbeit“ zu leisten. Zudem wird das finanzielle Risiko für Anhänger minimiert, die aufgrund ihres rechtswidrigen Verhaltens zu Geldbußen verurteilt werden. In vielen Fällen verweigern Verurteilte dennoch die Zahlung, um eine Ersatzfreiheitsstrafe zu provozieren und sich anschließend als „Märtyrer“ inszenieren zu können.

Die Ideologisierung der Bewegung ist so weit gediehen, dass man sich dort in einer Art übergesetzlichem Notstand wähnt – aufgrund der angeblich unmittelbar drohenden Klimakatastrophe. Man müsse deshalb, so die Aussage eines in München präventiv inhaftierten „Letzte Generation“-Angehörigen, „den Alltag der Menschen unterbrechen, weil dieser die Katastrophe herbeiführt“.

Propagandistisch verkauft die Vereinigung ihre gesetzeswidrigen Eingriffe in Freiheit und Eigentum Dritter als Akt der Fürsorge an den Betroffenen. Man habe, so heißt es häufig auf Twitter, „Verständnis“ für den Unmut, den ihre Blockaden etwa bei Autofahrern hervorrufen. Aber schließlich handle man als „Letzte Generation, der das noch möglich ist“, auch in deren Interesse.

Schon 2010 „nur noch vier Jahre Zeit“

Bereits Ende der 2000er-Jahre hatte die Filmemacherin Franny Armstrong namens der NGO „10:10“ einen solchen angeblichen Notstand zur Rechtfertigung für einen heftig kritisierten Kurzfilm herangezogen. In dem Video „No Pressure“ wurden Verweigerer ihrer Klimaaktion in einer Schulklasse in die Luft gesprengt.

Der Kurzfilm hatte zur Folge, dass namhafte Sponsoren ihre Unterstützung zurückzogen. Mittlerweile existiert die NGO insgesamt nicht mehr. Im Oktober 2010 fragte der „Guardian“ Armstrong, warum sie mit Darstellungen dieser Art Entfremdung und Distanzierung der Öffentlichkeit in Kauf nehme. Diese antwortete:

Weil wir nur noch ungefähr vier Jahre Zeit haben, um die globalen Emissionen zu stabilisieren.“

Ähnlich wie bei religiösen Bewegungen, die Weltuntergänge vorausgesagt hatten, veranlasst deren Ausbleiben auch die Protagonisten der Klimaapokalyptik nicht dazu, ihre Position zu hinterfragen.

Wie weit wird „Letzte Generation“ gehen?

Bislang waren es vor allem religiöse Endzeitsekten, die in unterschiedlichen Ländern der Welt Beziehungen in Politik und Kultur aufbauen und zum Teil sogar Einfluss gewinnen konnten. Als ihr öffentliches Ansehen schwand, endeten einige davon als Terroristen oder im Massenselbstmord. Beispiele dafür sind etwa die japanische Gruppierung „Aum Shinrikyo“ oder der „Peoples Temple“ des US-Predigers Jim Jones.

Apokalyptische Züge schrieben Kritiker auch Teilen der christlichen Rechten in den USA zu. Einige Prediger aus dem Bereich des „christlichen Zionismus“ sollen demnach Konflikte im Nahen Osten oder Osteuropa im Lichte der biblischen Apokalypse interpretieren.

Im Iran soll wiederum der frühere Präsident Mahmoud Ahmadinedschad der radikalen schiitischen „Hojjatieh“-Schule angehören. Diese Gruppierung, die 1983 selbst von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini verboten wurde, soll eine Eskalation weltpolitischer Spannungen anstreben. Diese würde der Wiederkunft des 12. Imams den Weg bereiten.

In Deutschland, das Studien zufolge zu den areligiösesten Ländern der Welt gehört, scheint es dennoch eine weitverbreitete Endzeitstimmung und damit verbundene Erlösungssehnsucht zu geben. Das Narrativ von der „Klimakatastrophe“ erfüllt in diesem Sinne, wie es etwa der Umweltforscher Michael Shellenberger andeutet, die Funktion einer säkularen Ersatzreligion.

(Mit Material von dts)



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