„Rote Karte“ für die Ampel: Konservative Kräfte gewinnen – AfD kein ostdeutsches Massenphänomen mehr

Die konservativen Parteien CDU und AfD waren die eindeutigen Gewinner der Landtagswahl in Hessen. Wie geht es nach dem Wahldebakel der Hessen-SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser weiter?
Titelbild
Friedrich Merz (l.), Vorsitzender der deutschen Christdemokraten (CDU), gratuliert Boris Rhein (M.), Amtsinhaber und Spitzenkandidat der CDU in Hessen am Tag nach den Landtagswahlen in Hessen am 9. Oktober 2023 in Berlin.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 9. Oktober 2023

Die Landtagswahlen in Hessen und auch in Bayern zeigen eindeutig ein Misstrauensvotum gegen die Ampelregierung in Berlin. Dies wurde auch aus den Stellungnahmen der Parteien am Wahlabend deutlich. Man sei ja nicht „taub und blind“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schon kurz nach Schließung der Wahllokale. „In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns.“

In Hessen landete die einstige „Volkspartei“ SPD mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser an der Spitze nach dem vorläufigen Endergebnis abgeschlagen auf Platz drei 15,1 Prozent (2018: 19,8 Prozent) – deutlich hinter den Wahlgewinnern CDU 34,6 Prozent (2018: 27,0 Prozent) und AfD 18,4 Prozent (2018: 13,1 Prozent).

Die Grünen rutschen ab auf 14,8 Prozent (2018: 19,8 Prozent). Die FDP schafft mit 5,0 Prozent knapp den Wiedereinzug in den Landtag (2018: 7,5 Prozent). Die Linke fliegt mit 3,1 Prozent aus dem Landtag (2018: 6,3 Prozent).

Die SPD hat genau wie in Bayern auch gestern in Hessen ihre jeweils historisch schlechtesten Ergebnisse eingefahren. Die FDP setzt ihre Niederlagenserie bei Landtagswahlen fort und fliegt in Bayern aus dem Landtag. Die Grünen könnten in Hessen mit der CDU weiterregieren, da die Partei um den alten und neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein den Verlust an Stimmen für die Grünen deutlich wettmacht.

AfD kein ostdeutsches Massenphänomen mehr

Die AfD, so viel ist seit gestern klar, ist nun kein ostdeutsches Massenphänomen mehr. Mehr als 18 Prozent in Hessen, 16 Prozent in Bayern, jeweils zweitstärkste Kraft – das sind die höchsten Ergebnisse bisher bei Landtagswahlen in westdeutschen Bundesländern.

„Der Wind ändert sich in Deutschland, der geht von links nach rechts“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. AfD-Chefin Alice Weidel schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): „Unsere Rekordergebnisse geben unserer Politik recht!“, und fügte ein „Bereit für mehr“ hinzu – ein Slogan, den die Partei seit dem Sommer nutzt, um klarzumachen, dass sie irgendwann mitregieren will.

Die Ergebnisse in Hessen und Bayern verbucht Weidel als Zwischenerfolg. Denn im kommenden Jahr könnte sich die politische Landschaft durch die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg weiter massiv verändern. In den Umfragen lag die AfD in den drei Ländern zuletzt mit über 30 Prozent vor allen anderen Parteien.

Robert Lambrou und AfD-Bundessprecherin Alice Weidel jubeln über das Wahlergebnis.

Robert Lambrou und AfD-Bundessprecherin Alice Weidel jubeln über das Wahlergebnis. Foto: Helmut Fricke/dpa

Wahlverliererin aus Berlin: Was wird aus Nancy Faeser?

Dass die vielleicht größte Verliererin des Wahlabends ihren Arbeitsplatz nicht in Wiesbaden oder München, sondern in Berlin hat, ist symptomatisch für diese Wahl. Dabei ist Faeser krachend gescheitert. Mit fast 20 Prozentpunkten Rückstand hat sie gegen Ministerpräsident Boris Rhein und seine CDU verloren.

Dass Scholz sie deswegen fallen lässt, ist aber ziemlich unwahrscheinlich. Der Kanzler lässt sich in solchen Fragen ungern treiben und hat trotz der Pleiten und Pannen der damaligen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) an ihr festgehalten.

An Faeser hat er bisher keinerlei Zweifel erkennen lassen und sie in den vergangenen Tagen für ihr Agieren bei der Reform des europäischen Asylsystems mehrfach ausdrücklich gelobt. Das machte auch die komplette Parteispitze deutlich: „Wir stehen zu Nancy Faeser“, sagte Kühnert.

Bleibt noch die Möglichkeit, dass Faeser selbst hinschmeißt. Ihre künftige Rolle als Landesparteichefin ließ sie am Wahlabend zwar offen, ansonsten hörte sie sich allerdings nicht danach an: „Ich habe sehr viel Solidarität heute aus Berlin erhalten.“

Nancy Faeser, Spitzenkandidatin der SPD und Bundesinnenministerin, scheint mit dem Ergebnis der Wahl nicht zufrieden.

Nancy Faeser, Spitzenkandidatin der SPD und Bundesinnenministerin, scheint mit dem Ergebnis der Wahl nicht zufrieden. Foto: Boris Roessler/dpa

Befreiungsschlag oder ruhige Hand: Was macht Scholz?

Faeser kehrt nach dem desaströsen Wahlabend in Wiesbaden jedenfalls ziemlich angeschlagen nach Berlin zurück. Gleichzeitig hat sie in ihrem Ressort jenes Thema, bei dem akut der größte Handlungsbedarf besteht: die hohe Zahl an Migranten, die nach Deutschland kommen. Gut möglich, dass der Kanzler als Konsequenz daraus nun selbst das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Die Union dringt auf einen Deutschlandpakt zwischen Regierung und Opposition zur Eindämmung der irregulären Einwanderung.

Scholz sieht eher die Landesregierungschefs als den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als seine Gesprächspartner. Mit denen trifft er sich am 6. November in Berlin, um über die Migrationspolitik zu sprechen. Bis dann hat er Zeit, bei dem Thema, das im Wahlkampf eine große Rolle gespielt hat, in die Offensive zu kommen. Auch in seiner eigenen Partei wächst der Unmut über das Image der Ampel als zerstrittener Haufen, der zu wenig zustande bringt. „Da muss jetzt mehr Tempo und ein anderer Stil rein“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil.

Die Fraktion hat sich zuletzt schon mit ihrem Votum für einen befristeten Industriestrompreis zur Abfederung der hohen Energiepreise gegen die Position des Kanzlers gestellt. Der Ruf nach einer stärkeren eigenen Profilierung auch bei anderen Themen dürfte in der SPD nun lauter werden.

Wagenknecht fordert Faesers Rücktritt

Aufgrund des schlechten Abschneidens der SPD in Hessen mit ihrer Spitzenkandidatin Nancy Faeser forderte die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht gestern die Entlassung der Bundesinnenministerin. „Wer in Wiesbaden scheitert, ist in Berlin fehl am Platz“, sagte Wagenknecht der „Deutschen Presse-Agentur“. „Auf die Rote Karte der Wähler sollte die Entlassung durch den Kanzler folgen.“

Das Innenministerium sei eines der wichtigsten Ministerien und „die Flüchtlingskrise mindestens so dramatisch wie 2015“, meinte Wagenknecht. „Hier braucht es an der Spitze keine Wahlverliererin, sondern maximale Handlungsfähigkeit.“ Sie warf Faeser vor, dass sie „die Schleuserindustrie machen lässt“. Die Bundesregierung solle sich an Ländern wie Dänemark orientieren und den Zuzug minimieren, sagte Wagenknecht.

Krawall oder Disziplin: Was macht die FDP?

Ein Unsicherheitsfaktor für die Ampel ist, wie die FDP nun mit dem Wahlergebnis umgeht. Sie hat schon bei früheren Wahlschlappen Krach in der Koalition angefangen, ohne dass ihr das bei den nächsten Wahlen oder bei Umfragen auf Bundesebene geholfen hat. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ließ am Abend noch nicht erkennen, wo diesmal die Reise hingeht. Die FDP-Gremien würden an diesem Montag die Ergebnisse auswerten, sagte er. „Wir werden aber auch innerhalb der Koalition diese Ergebnisse analysieren und besprechen.“

Klarere Worte fand der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki. „So kann es nicht weitergehen“, sagte er der „Bild“. „Das ist das klare Signal, dass wir in Berlin endlich aufnehmen müssen, was die Menschen bewegt. In der AKW-Frage, beim Heizungsgesetz oder in der Migrationspolitik lagen oder liegen wir konsequent im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung. Wenn wir keine Lösungen präsentieren, werden sich am Ende die Themen die Koalitionen suchen.“

Martin Hagen (FDP) äußert sich nicht zufrieden.

Martin Hagen (FDP) äußert sich nicht zufrieden. Foto: Stefan Puchner/dpa

(Mit Material von Agenturen)



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