Schockierender Corona-Bericht: „Heimbewohner vermutlich aus Einsamkeit verstorben“

Eine sächsische Studie kommt zu dem Schluss, dass Corona-Schutzmaßnahmen wie Isolation und Quarantäne in Pflegeeinrichtungen kontraproduktiv waren. Die Menschen seien an anhaltender Einsamkeit verstorben. Die Schirmherrin der Studie will daher Krisensituationen zukünftig mehr proben.
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Ein erster Besuch nach zwei Monaten Kontaktverbot bei der 89-jährigen Mutter.Foto: Hugh Hastings/Getty Images
Von 23. Juli 2023

Die Corona-Maßnahmen während der Corona-Krise trafen besonders die alten Menschen in den Alten- und Pflegeheimen, obwohl früh klar war, dass die Sterbequote der einer mittelschweren Grippewelle gleicht. Doch die älteren Menschen galten als Risikogruppe.

Eine Forschungsstudie verdeutlicht nun, wie sehr alte Menschen in Einrichtungen psychisch und körperlich unter der zeitweisen Isolation und Quarantäne durch Besuchs- und Kontaktverbote litten und welche erheblichen gesundheitlichen Folgen die Maßnahmen für sie hatten.

Beauftragt wurde die Studie mit dem Titel „Evaluation der Auswirkungen der Sächsischen Corona-Schutzverordnungen auf die psychosoziale Gesundheit von Bewohnern stationärer Pflegeeinrichtungen (ESCORP)“ von der Arbeiterwohlfahrt Landesverband Sachsen e. V. (AWO) und der Knappschaft-Krankenkasse Regionaldirektion Chemnitz.

Zwei Jahre nach Anfertigung wurde diese nun an Dagmar Neukirch, Staatssekretärin im Sozialministerium und stellvertretende Vorsitzende der AWO, überreicht. Die Studie startete Ende 2020. Im April 2023 wurde der Abschlussbericht den Auftraggebern übergeben.

Heimbewohner vermutlich aufgrund anhaltender Einsamkeit verstorben

Besonders angespannt war die Situation für ältere Menschen in der stationären Pflege. Sachsen führte wie viele andere Bundesländer während der Corona-Krise Besuchsverbote für Heimbewohner ein. Außerdem wurden soziale Betreuungsangebote in den Einrichtungen größtenteils ausgesetzt. Begründet wurde dies mit einer hohen gesundheitlichen Gefahr für Alte und Pflegebedürftige und der Vermeidung eines hohen Ausfallrisikos des Personals aufgrund von Infektionen.

Wie der Bericht anhand der Auswertung von Gesprächen mit Betroffenen, Angehörigen und Pflegekräften von sechs Altenheimen während der Corona-Krise zeigt, vereinsamten alte Menschen, zogen sich zurück und zeigten teilweise depressive Symptome.

Einige Heimbewohner seien vermutlich aufgrund der anhaltenden Einsamkeit verstorben. Bei zwei Drittel der Betroffenen sei es vermehrt zu Stimmungsschwankungen gekommen. Ängste und Sorgen hätten während der Corona-Krise zugenommen, heißt es im Kurzbericht der Studie.

Zudem seien die Konsequenzen im Alltag spürbar gewesen. Demnach verloren Heimbewohner unter anderem ihre Gewohnheiten. Auch die körperliche Alterung sei beschleunigt worden. Die Rolle von Angehörigen für das Wohlbefinden älterer Menschen wurde laut Forschungsbericht unterschätzt.

Hier heißt es dazu: „In akuten Infektionsphasen wurden nahezu sämtliche soziale Betreuungsangebote eingestellt. Institutionell und rechtlich zugesicherte Leistungen und Behandlungen wurden stark eingegrenzt bis vollständig ausgesetzt. Die Auswirkungen auf das Wohlbefinden, den körperlichen und mentalen Gesamtzustand der Bewohner waren immens.“

Alten wurde Möglichkeit zur Selbstbestimmung genommen

Für die Autoren des Berichts sind die psychologischen Folgen auch damit verbunden, dass den alten Menschen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung genommen worden sei. Das habe zu einem Gefühl der Ohnmacht geführt. Vor allem aber sei die Rolle der Angehörigen unterschätzt worden. Deren Wert sei vielseitig wie unverzichtbar, heißt es in dem Kurzbericht.

„Die Angehörigen selbst stellten ein außerordentliches Potenzial im Bereich alltäglicher Hilfen und Versorgung dar, was mittels geltender Verordnungen und Anweisungen quasi unmöglich (gemacht) wurde.“

Stattdessen seien Angehörige als (Infektions-)Risiko markiert, durch Verantwortliche und Pflegepersonal als Belastungsfaktor thematisiert und ausgegrenzt worden. „Der andauernde Vorgang ließ Bewohner wie Angehörige in ihrer Hilflosigkeit und Angewiesenheit zurück.“

„Wenn ich als Mensch im Altenheim bin und jeden Abend mit meiner Tochter telefonieren kann, dann komme ich auch durch diese Pandemie durch. Wenn sie mich aber zuvor regelmäßig besucht und das jetzt nicht mehr macht, dann ist das ein Einschnitt, der kaum wettzumachen ist“, so Simone Minz, die für die AWO die Gespräche mit den Heimbewohnern und ihren Angehörigen führte.

Demnach erfüllen Angehörige eine fürsorgliche und vermittelnde Funktion, indem sie beispielsweise die Krisensituation erklären und über die Sorgen und Ängste der Heimbewohner sprechen.

Bericht: Schuldgefühle verstärkten negative gesundheitliche Folgen

Auf das Wegbleiben der Verwandtschaft aufgrund der Schutzmaßnahmen hätten einige der Alten und Pflegebedürftigen mit einem persönlichen Schuldempfinden reagiert. Andere warfen offenbar ihren Angehörigen vor, sie seien aus eigener Entscheidung ferngeblieben. Diese Gefühle hätten die gesundheitlichen Folgen der Kontaktbeschränkungen verschärft, berichtet der MDR aus dem Forschungsbericht.

Zudem hätten die Angehörigen für die alltäglichen Kleinigkeiten gesorgt – die Lieblingsmarmelade, das gewohnte Rätselheft – die ihnen Stabilität und Wohlbefinden gegeben hätten. Diese Aufgaben fielen laut Bericht nun auch dem Pflegepersonal zu oder sogar komplett weg.

Denn auch die Pflegekräfte waren von der Corona-Krise und ihren Maßnahmen betroffen. Personalmangel herrschte schon vorher, durch das Corona-Infektionsgeschehen sei das Problem aber weiter angewachsen. Krankschreibungen unter dem Personal erschwerten den Pflegealltag.

Keine Zeit, um sterbende Bewohner zu begleiten

Die personelle Überforderung wiederum habe bei mehr als einem Drittel des Pflegepersonals zu langfristigen Erschöpfungszuständen geführt, heißt es weiter. Aufgrund der erhöhten Arbeitsbelastung konnten die Angestellten den Pflegebedarf der Heimbewohner laut Bericht teilweise nicht mehr vollständig erfüllen. So sei in manchen Fällen keine Zeit geblieben, sterbende Bewohner zu begleiten oder deren Tod zu verarbeiten, wird aus dem Bericht zitiert.

Das Fazit der Studie lautet: „Quarantäne und Isolationsanordnungen sind in stationären Pflegeeinrichtungen kontraproduktiv, da die damit verbundenen Distanzierungen einem Großteil der Bewohner nicht vermittelbar sind.“ Sie führten zur Reduktion der körperlichen Gesundheit und bedürfen einer sorgfältigen Nutzen-Schaden-Abwägung.

Für mögliche zukünftige Krisensituationen wie der Corona-Krise fordern die Studienautoren ein klares Schutzkonzept. Dafür empfehlen sie, Angehörige mehr einzubeziehen, anstatt sie auszugrenzen. Außerdem solle man beispielsweise eine Gruppenisolierung in Betracht ziehen, um der Einsamkeit entgegenzuwirken.

„Ich glaube, dass man so etwas ein bisschen üben muss“

Für Dagmar Neukirch, Schirmherrin der Studie, Sozialstaatssekretärin und stellvertretende Vorsitzende der AWO, ist eine der Erkenntnisse aus dem Forschungsbericht, dass man Krisensituation proben sollte: „Die Erkenntnis ist, glaube ich, dass man so etwas auch ein bisschen üben muss. Auch den Umgang mit der Maske oder mit Schutzkleidung, damit das keine Angst ausübt. Stattdessen sollen die Menschen wissen, dass dahinter ein achtsamer Gedanke steckt“, schreibt der MDR.

Die Knappschaft hat den Bericht am 25. April 2023 erhalten. Sie will die gewonnenen Erkenntnisse nutzen und in Handlungsempfehlungen umsetzen. „Sie sollen in die künftige Pandemie- und Krisenplanungen einfließen“, teilte die Knappschaft-Krankenkasse der Epoch Times mit.

Aber auch bei der Entwicklung neuer Gesetzesentwürfe sollen sie Beachtung finden. „Ein wesentliches Anliegen ist dabei die Förderung der Mitbestimmung und der Resilienz der Bewohner sowie Angehörigen“, teilte man mit.

Die Studie entstand durch Befragungen in Einzelgesprächen und Gruppendiskussionen mit Bewohnern und Angehörigen von Pflegeeinrichtungen zu ihren Erfahrungen und Bewertung.

Mitarbeiter der Einrichtungen wurden im Rahmen einer offenen Onlinebefragung nach von ihnen beobachteten Veränderungen der psychosozialen Gesundheit der Bewohner im Zusammenhang mit den Besuchsverboten und Kontaktbeschränkungen gefragt. Im Rahmen von Expertengesprächen waren auch Leitungspersonen der Pflegeeinrichtungen in die Untersuchung einbezogen.



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