Schwarzer Peter im Fall Amri: Einer lügt – Konfrontation von BKA und LKA im U-Ausschuss bringt keine Klarheit

Hat eine eklatante Fehleinschätzung des BKA bezüglich der Abschaltung einer Quelle Anis Amri die Durchführung des Anschlages auf dem Breitscheidplatz erleichtert? War Thomas de Maizière sogar selbst eingeweiht?
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Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 mit einem Lastwagen auf dem Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen getötet.Foto: Michael Kappeler/Archiv/dpa
Von 15. Dezember 2019

Auch drei Jahre nach dem Terroranschlag des IS-Sympathisanten Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin ebben Verschwörungstheorien über angebliche Komplotte im Staatsapparat nicht ab, die ein Verhindern der Tat ermöglicht hätten. Und einmal mehr könnte stattdessen das in Großbritannien populär gewordene Bild von „Hanlons Rasiermesser“ greifen, wonach schlichter Pfusch im Behördenapparat die treffendere Erklärung sei.

Wie die „Welt“ berichtet, waren am Donnerstag (12.12.) erstmals zwei Beamte zur Gegenüberstellung vor den Untersuchungsausschuss geladen, die zu einem äußerst pikanten Detail in der Amri-Affäre entgegengesetzte Einschätzungen geäußert hatten. Kriminalhauptkommissar M. vom Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor dem Ausschuss angegeben, Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt (BKA) hätten die Quelle „VP01“ loswerden wollen – weil diese „zu viel Arbeit“ verursache.

War Thomas de Maizière sogar selbst eingeweiht?

Das Problem: Wie sich später herausstellte, stammte „VP01“ aus dem engsten Umfeld Amris. Ob er tatsächlich in der Lage gewesen wäre, die Behörden rechtzeitig vor konkreten Anschlagsplänen Amris zu warnen, ist unklar – die diesbezügliche Wahrscheinlichkeit wäre jedoch ohne die Anweisung, die Quelle abzuschalten, zumindest nicht gesunken.

Der erste Kriminalhauptkommissar im BKA, Philipp K., soll M. Anfang des Jahres 2016 unter vier Augen darüber in Kenntnis gesetzt haben, dass es eine solche Anweisung gab. Dabei hieß es, dass die Anweisung „von ganz oben“ autorisiert gewesen wäre. Sogar der Name des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière fiel in M.s Aussage in diesem Kontext.

BKA, Innenministerium und K. selbst in Diensterklärung wiesen die Darstellung stets zurück.

Dass Behörden einander in einer solchen Weise öffentlich beschuldigen, ist in Deutschland eine Seltenheit und zeigt die Nervosität auf beiden Seiten. Die Vorstellung, es könnte sich zweifelsfrei erweisen, dass eine eklatante Fehleinschätzung erfahrener Fachleute zu einem der blutigsten Terrorakte der deutschen Nachkriegsgeschichte beigetragen hätte, dürfte entscheidend zu dieser beitragen. Am Donnerstag sollte die Konfrontation der Urheber beider Darstellungen für mehr Klarheit sorgen.

„Keine Zweifel an Vieraugengespräch“ bei der Generalbundesanwaltschaft

Oberstaatsanwalt Dieter Killmer von der Generalbundesanwaltschaft deutete an, dass vieles für die Richtigkeit der Aussagen des Ermittlers aus NRW spreche. Er habe, so erklärte er auf Nachfrage, „persönlich […] keinen Zweifel daran, dass es dieses Vieraugengespräch gab“. Informationen, die „VP01“ auch in anderen Ermittlungsverfahren beigesteuert habe, hätten sich als zutreffend erwiesen. Die Einschätzung der Qualität der Quelle durch das BKA sei „rückblickend falsch“ gewesen.

K. wiederum blieb dabei, dass kein Gespräch des geschilderten Inhalts gegeben habe. Er könne jedoch „nicht beweisen, dass es nicht stattgefunden hat“. Einen „Plausch“ im Anschluss an die Sitzung, an der auch M. teilgenommen hatte, könne er „nicht ausschließen“. Bereits am Morgen nach M.s Aussage habe es eine Telefonschaltkonferenz im BKA gegeben, an der auch hochrangige Beamte aus dem Bundesinnenministerium teilgenommen hätten. Dort habe man die Stoßrichtung der dienstlichen Erklärung abgestimmt, die K. tags darauf abgegeben hatte, die Worte stammten jedoch von ihm selbst.

„Wie ein doppelter Sechser im Lotto“

Was „VP01“ anbelangt, sei man im BKA davon ausgegangen, dass dieser als „neutrale Quelle in radikal-islamistischen Kreisen“ bewegt habe. Man habe erst durch das LKA NRW später erfahren, dass sich die Quelle selbst als anschlagsbereit dargestellt habe, um an Informationen zu gelangen. Dass – wie man zuvor gemeint hatte – eine unbeteiligte Quelle gleich in zwei Anschlagsplanungen eingeweiht werde, habe man als sehr unwahrscheinlich eingestuft.

Das sei „wie ein doppelter Sechser im Lotto“. M. blieb bei seiner Darstellung, dem BKA sei die Rolle von „VP01“ bekannt gewesen, und die Quelle solle auf Anweisung von „ganz oben“ abgeschaltet werden.

Zudem verneinte K. die Frage, ob es bezüglich Amris ein Übernahmeersuchen durch das LKA NRW an das BKA gegeben habe. Zwar stellte er nicht in Abrede, dass, wie aus schriftlichen Sitzungsprotokollen dreier unterschiedlicher Behörden hervorging, das nordrhein-westfälische LKA das Thema angesprochen hatte. Eine mündliche Anfrage sei jedoch – so K. – kein den formalen Voraussetzungen genügendes Übernahmeersuchen.



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