Schwedt und die Raffinerie: „Die Menschen hier haben wirklich Angst“

Trotz vieler Versprechungen der Politik gegenüber den mit der Raffinerie in Schwedt verbundenen fast 4.000 Arbeitern, gibt es viele Sorgen bei den Menschen in der Stadt. Wir sprachen dazu mit dem Schwedter Stadtverordneten Frank Bornschein.
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Menschen, darunter Arbeiter der nahegelegenen PCK-Ölraffinerie, versammelten sich am 29. Juni 2022 in Schwedt, um ein Ende des deutschen Embargos gegen den Import von russischem Öl zu fordern.Foto: Omer Messinger/Getty Images
Von 7. Januar 2023

Die Öl-Pipeline „Druschba“ zählt zu den größten der Welt und lieferte seit fast 60 Jahren Rohöl aus Russland nach Schwedt in die dortige Raffinerie. Die Bundesregierung schloss die Pipeline zum 31.12. – trotz Protest. Und das, obwohl die Europäische Union auf Bestreben Polens und Tschechiens Pipelines vom Öl-Embargo gegen Russland ausgenommen hat.

Derzeit erhalten viele Arbeiter der Raffinerie ein großzügiges Kurzarbeitergeld, Ausgleichszahlungen und Abfindungen. Die Stadt Schwedt bekommt unter anderem dazu ein Hilfspaket von Land und Bund, das rund 480 Millionen Euro umfasst.

Nach der Wiedervereinigung setzte eine stetige Abwanderung aus Schwedt ein, besonders von jungen Menschen. Aktuell leben von ehemals 52.000 Einwohnern nur noch rund 30.000 Menschen in der einwohnerreichsten Stadt im Landkreis Uckermark (Brandenburg). Mittlerweile ist der Altersdurchschnitt um rund zehn Prozent auf 51,4 Jahre gestiegen.

Mithilfe des Hilfspaketes sollen jetzt auch die Rohöl-Bezugsquellen für die Raffinerie umgestellt werden. Epoch Times sprach mit dem Schwedter Stadtverordneten Frank Bornschein über die aktuelle Situation.

Wie ist die Situation aktuell in Schwedt? Was für eine Stimmung nehmen sie in der Stadt wahr?

Die Stimmung ist abwartend und skeptisch. Es gibt auch optimistische Meinungen. Die sagen, das beruhigt sich wieder und wir haben ja jetzt 50 Prozent Auslastung, das ist alles gut. Aber insgesamt ist man doch sehr abwartend pessimistisch.

Macht man sich Sorgen über die weitere Entwicklung?

Ja, man macht sich Sorgen. Aber nicht in dem Maße, wie das in Anbetracht der wirtschaftlichen Eckdaten und der Produktionseckdaten notwendig wäre.

Solange die Mitarbeiter ihr Gehalt bekommen und das mit nur wenig Abzügen aufgrund fehlender Schichtzuschläge bzw. fehlender Wochenendzuschläge, so lange ist die Welt in Ordnung. Man sagt sich, das wird wieder besser, das ist nur vorübergehend.

Dadurch haben wir hier so eine ähnliche Haltung unter den Menschen wie bei dem sogenannten Wellenbrecher-Lockdown, wo man sich sagte: „Na ja, einen Monat müssen wir durchhalten und dann ist alles wieder gut.“

Was wird passieren, wenn sich die Lage verschärft und die Politik ihre Versprechen nicht halten kann?

Wenn das Terminal in Rostock voll ausgelastet ist – von Rostock bekommt die Schwedter Raffinerie jetzt über eine kleinere Leitung das Rohöl – dann fährt die PCK-Raffinerie ungefähr mit 55 bis 60 Prozent Auslastung.

Man hat in den Raum gestellt, dass der Rest, um die Gewinnzone zu erreichen, über die Druschba-Leitung aus Danzig kommt. Dann käme man auf die notwendige Auslastung von 70 bis 75 Prozent. Den Rest trägt der Bund finanziell bei, das haben sie zugesagt.

Wenn nur noch Rostock übrig bleibt und Kasachstan nicht liefert, dann arbeitet das PCK in der Verlustzone. Dann müssten ab der zweiten Hälfte des Jahres die Karten neu gemischt werden. In diesem Fall könnte es einen Eigentümerwechsel geben. Dann wird diese Raffinerie, was die herkömmliche Erdölverarbeitung betrifft, Stück für Stück runtergefahren.

Man muss auch schauen, ob technische Schwierigkeiten auftreten, ob das mit dem Wetter und der Anlieferung von Öl zum Rostocker Hafen alles klappt. Angenommen, es gibt einen strengen Winter, dann haben wir Eis auf der Ostsee. Dann kann es zu Terminproblemen mit der Anlieferung durch Tanker kommen.

Die geringere Auslastung der Raffinerie hat auch Auswirkungen auf die Einnahmesituation der Stadt. Gibt es konkrete Ansätze, wie man diesen Verlust an Wirtschaftskraft ausgleichen möchte?

Ich bin im Finanzausschuss der Stadt und sehe dadurch immer die Einnahmen- und Ausgabensituation, auch die Haushaltsplanung. Ein Totalverlust der Raffinerie würde natürlich einen deutlichen Einnahmeverlust der Stadt über die Kaufkraft der Angestellten bedeuten.

Angestellte kaufen dann weniger ein, Geschäfte führen dann weniger Umsatzsteuer ab, die Einkommenssteuer fällt weg. Bei der Gewerbesteuer wäre es nicht so gravierend, da die Raffinerie keine Gewerbesteuer an die Stadt abführt. Der Firmensitz ist nicht in Schwedt.

Wenn die Raffinerie wegfällt, wäre das für die Stadt ein jährlicher Einnahmeverlust über die Einkommenssteuer bzw. Umsatzsteuer von ungefähr sechs bis acht Millionen Euro.

Wenn die 4.000 Mitarbeiter aus dem Primär- und Sekundärbereich der Raffinerie jetzt nicht mehr über das jetzige Einkommen verfügen, dann haben die kulturellen Einrichtungen der Stadt ein Problem. Theater, Schwimmbad und Sporteinrichtungen haben dann natürlich weniger Kundschaft und bekommen Schwierigkeiten, was den Weiterbestand dieser Einrichtungen betrifft.

Macht man sich seitens der Stadt Gedanken, wie man das ausgleichen kann?

Man spricht schon in der Finanzverwaltung der Stadt über dieses Worst-Case-Szenario. Aber das ist noch nicht Gegenstand der Versammlungstätigkeit der Stadtverordneten. Man will verständlicherweise keine Panik verbreiten.

Auf welche Wirtschaftszweige könnte die Stadt setzen, wenn die Raffinerie Stück für Stück wegfällt?

Was die Stadt einzig aufgrund der dünnen Besiedlung des Umlandes machen kann, wäre mehr in die sogenannte „Green Technology“, die grüne Technologie zu investieren und diese weiterzuentwickeln. Aber da greift natürlich dann auch wieder die Agenda „Industrie 4.0“, wo alles automatisiert wird und über Datenverbindungen läuft. Produktionsketten und Produktionsabläufe werden zunehmend automatisiert, womit der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft weiter zurückgeht.

Das ist ein Problem der gesamten wirtschaftlichen Umwälzungen, nicht nur in Deutschland. Durch die vierte industrielle Revolution werden Massen von Arbeitskräften einfach nicht mehr benötigt.

Als ich in Schwedt im Zusammenhang mit der Raffinerie die Menschen interviewen wollte, war man, zumindest wenn eine Kamera oder ein Aufnahmegerät mit im Spiel war, sehr zurückhaltend. Woher kommen diese Vorsicht und diese Zurückhaltung gegenüber den Medien? 

Wenn ich was sage, kann mir das zu meinem Nachteil ausgelegt werden. Diese Problematik besteht und wir haben natürlich immer noch diese Gläubigkeit an die Medien. Es ist ja für die Bevölkerung auch ein Problem. Wir hatten in der ehemaligen DDR diese sogenannten Staatsmedien, da wussten die Menschen, dass da sehr viele Halbwahrheiten und Lügen verbreitet werden.

Viele können sich das nicht vorstellen, dass das heute in den offiziellen Medien auch so ist. Man hat natürlich auch ein bisschen Angst, dass man, sobald man eine andere Meinung hat, verschrien wird als Rechter, als Nazi oder Aluhutträger. Da haben die etablierten Kräfte hier ganze Arbeit geleistet.

Die Menschen hier haben wirklich Angst. Es wird im privaten Bereich offen diskutiert. Ich kenne kaum jemanden, der dort nicht sagt, das sind ganz böse Entwicklungen. Im privaten Bereich sagen sie ihre Meinung, offiziell schweigt man lieber.

Kann man da Parallelen zu DDR-Zeiten ziehen, wo man ja auch eine offizielle Meinung hatte und eine im privaten Raum, wo man genau überlegt hat, was man wem sagt?

Es war nicht nur in der DDR so. Es gab verschiedene Zeiten in Deutschland, wo man diese Verhältnisse schon mal hatte.

Also es wiederholt sich ja immer alles. Das ist wahrscheinlich die Mentalität der Menschen, den Kopf nicht aus der Deckung zu wagen, weil man mit möglichen Repressalien rechnet.

Viele haben Angst. Die wissen, dass was schiefläuft. Sie wissen auch, in welche Richtung das abdriftet. Sie kennen jedoch auch negative Beispiele aus der Historie. Daher richten sie sich nach dem Motto: Schweigen ist Gold, Reden ist Silber.

Halten Sie diese Haltung für konstruktiv, um positive Entwicklungen anzuschieben oder zu verstärken?

Nein, in keinem Fall, in keinem Fall. Es gibt bei solchen Bewegungen, die auf die Straße gehen und gegen etwas demonstrieren, immer eine Dreistufigkeit. Es gibt eine geringe Anzahl von Vorläufern, sehr viele Mitläufer und eine unendliche Anzahl von Nachläufern. Das ist bei jeder Bewegung so. 1989 war das auch so. Die Menschen sind erst dann massiv auf die Straße gegangen, als keine Gefahr mehr vom politischen System ausging.

Am 4. November 1989 gab es eine große Demonstration auf dem Alexanderplatz, wo eine halbe Million Menschen versammelt waren. Und ich habe aus berufenem Munde erfahren, dass niemals so viele Menschen zu dieser Veranstaltung gekommen wären, wenn nicht die SED-Organisationen in den Betrieben im Vorfeld selbst dazu aufgerufen hätten, daran teilzunehmen.

Was kann die SED für eine Motivation gehabt haben, dort die Menschen hinzubringen?

Es geht um die Sicherung von Macht, es geht um Sicherung von Einfluss. Und die haben natürlich mitbekommen, dass Unzufriedenheit auch an der Basis herrscht. Mit der Demonstration wollte man etwas Druck herausnehmen. Vorher hatte sich Druck aufgebaut, dann wurde die Mauer geöffnet und die Führung dachte dann, der Druck ist raus. Aber es war nicht mehr zu stoppen, da sich dann wieder sehr schnell neuer Druck aufbaute.

Vielen Dank für das Gespräch!

Frank Bornschein (61) arbeitet als selbständiger Unternehmensberater. Er ist Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Schwedt/Oder für die Fraktion BVB/Freie Wähler. Vorher war er SPD-Mitglied.



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