Standort Deutschland im Abstiegsstrudel

Deutschlands Familienunternehmen haben im internationalen Vergleich mit immer schlechteren Rahmenbedingungen zu kämpfen. Im Ranking der führenden 21 Industrienationen reicht es nur noch für Platz 18.
Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges treffen einer Umfrage zufolge vor allem die deutsche Industrie und die Bauwirtschaft hart.
Der Auftragsbestand in der Bauwirtschaft ist gut, hohe Materialpreise und steigende Zinsen sorgen trotzdem für Pessimismus.Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa
Von 16. Januar 2023

Die Attraktivität des wirtschaftlichen Umfelds für Familienunternehmen ist in Deutschland in den vergangenen 16 Jahren extrem gesunken. Das geht aus der aktuellen, neunten Studie „Länderindex Familienunternehmen“ des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hervor.

Im Ranking der 21 wichtigsten Industrienationen sei Deutschland auf Platz 18 durchgereicht worden, was die Qualität bestimmter Standortfaktoren angehe. Vor zwei Jahren habe Deutschland noch auf Rang 14 gelegen. Noch schlechter als in Deutschland sehe es nur noch in Ungarn, Spanien und Italien aus. Die Vereinigten Staaten von Amerika bieten laut Studie das beste Umfeld für Familienunternehmen. Auf Rang zwei steht Kanada, dahinter Schweden. Die Schweiz erreichte Platz vier, Österreich Platz 13.

Nur „Finanzierung“ schneidet wirklich gut ab

Für den „Länderindex Familienunternehmen“ hatte der Ökonom Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ beim ZEW, zusammen mit seinem Mitarbeiterteam sechs Standortfaktoren unter die Lupe genommen. Lediglich in Fragen der Geldbeschaffung sei Deutschland noch Spitze. Was das Themengebiet „Infrastruktur und Institutionen“ angehe, reiche es noch zu Platz sechs. Bei keinem der übrigen vier Faktoren schaffe Deutschland es noch über Platz 18. Insgesamt ein „ernüchterndes Bild“, schrieb Heinemann.

Deutschland nach Standortfaktoren:

  • Finanzierung (72/100 Punkte, Platz 1 unter 21 Ländern)
  • Infrastruktur und Institutionen (62/100, Platz 6)
  • Energie (52/100, Platz 18)
  • Arbeitskosten, Produktivität, Humankapital (40/100, Platz 19)
  • Aufwand für staatliche Regulierung (36/100, Platz 19)
  • Steuern (33/100, Platz 20)

Quelle: https://www.familienunternehmen.de/laenderindex-familienunternehmen

Studienleiter rät zur Umkehr

Den größten Reformbedarf sieht Studienleiter Heinemann bei der Steuerlast und bei der Bürokratie. Auch eine „echte Wende in der Bildungspolitik“ sei mit „Blick auf den Fachkräftemangel“ notwendig, besonders, was die Schlüsselfächer Deutsch und Mathematik angehe. Zwar hätten mehrere europäische Länder seit Beginn des Ukraine-Krieges mit schwierigeren Bedingungen in der Energieversorgung zu kämpfen – Deutschland aber könne die Belastungen nicht durch etwaige Vorteile bei anderen Standortfaktoren ausgleichen. „Die gegenwärtige Krise sollte als Chance zur Umkehr begriffen werden, vor allem zum Abbau lähmender Regulierungslasten“, rät Heinemann der Politik. Auch Reformen im Bereich Rente und Gesundheit müssten bewerkstelligt werden.

„Im internationalen Vergleich auf den hintersten Plätzen, das ist nicht das Feld, in das wir gehören“, sagte Rainer Kirchdörfer, der Vorstand der „Stiftung Familienunternehmen“ und Auftraggeber des „Länderindex Familienunternehmen“. Das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hatte die Untersuchung bereits zum neunten Mal erstellt. Beim ersten Länderindex 2006 lag Deutschland noch im Mittelfeld. Zu einem Platz in der Spitzengruppe reichte es in den vergangenen 16 Jahren nie. Nur 2006, 2008 und 2014 wurde mit Platz neun eine vorläufige Bestplatzierung geschafft.

Nach Angaben der „Stiftung Familienunternehmen“ repräsentierten im Jahr 2020 Familienunternehmen 90 Prozent des privatwirtschaftlichen Sektors in Deutschland. 60 Prozent aller Beschäftigten hätten damals bei ihnen in Lohn und Brot gestanden.

Unternehmensinsolvenzen auf niedrigem Niveau

Der schlimmste Monat des Jahres 2022 in Sachen Unternehmerpleiten war nach Angaben des Nachrichtenportals „n-tv.de“ der Dezember. „879 Personen- und Kapitalgesellschaften“ hätten ihre Zahlungsunfähigkeit angemeldet, so „n-tv.de“ unter Berufung auf aktuelle Daten des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (Saale) (IWH). Verglichen mit dem Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 (968 Insolvenzfälle) sei dies trotzdem kein allzu schlechter Wert.

28 Prozent aller 2022 von Insolvenz betroffenen Beschäftigungsverhältnisse seien in der Industrie verzeichnet worden – und zwar „wegen Lieferengpässen, hoher Energiepreise und anderer Probleme“. Dies sei ein deutlich größerer Anteil als in den Vorjahren. Trotzdem habe „sowohl die Zahl der insolventen Personen- und Kapitalgesellschaften als auch der in diesen Unternehmen betroffenen Jobs […] im Jahr 2022 auf vergleichsweise niedrigem Niveau“ gelegen.

Das Onlineportal „Creditreform.de“ geht für das gesamte Jahr 2022 von rund 14.700 Unternehmensinsolvenzen aus. Dies bedeute einen „moderaten Anstieg“ um vier Prozent gegenüber 2021, als mit 14.130 Insolvenzen der niedrigste Wert seit der Weltfinanzkrise 2009 gemessen worden sei. Im Jahr 2012 habe es mit 28.720 Fällen noch rund doppelt so viele Fälle von Zahlungsunfähigkeit gegeben. Mit einem Plus von 25 Prozent an Insolvenzen seien 2022 Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten wie etwa GALERIA Karstadt Kaufhof oder der Schuhhändler Görtz besonders stark von Insolvenzen betroffen gewesen, schreibt „Creditreform.de“. Insgesamt aber machten Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern 85 Prozent des Insolvenzgeschehens in Deutschland aus. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sahen im Oktober 2022 noch rund 7,5 Prozent aller Unternehmen in Deutschland ihre Existenz durch die Corona-Krise bedroht.

Inflation, Zinsen, Energiekosten, Corona

Patrik Ludwig Hantzsch, der Leiter der Wirtschaftsforschungsabteilung bei „Creditreform.de“, rechnet mit einer „weitere[n] Beschleunigung“ des Insolvenzgeschehens. „Die anhaltende Inflation, die steigenden Zinsen und Energiekosten sowie eine zunehmend verschärfte Wettbewerbssituation gehen bei vielen Unternehmen an die Substanz“. Außerdem, so Hantzsch, dürfe die „Corona-Krise […] mit Ertragseinbußen zu einer verminderten Schuldentragfähigkeit vieler Unternehmen beigetragen haben“.

Schätzungsweise 175.000 Arbeitnehmer hätten 2022 deutschlandweit die Kündigung erhalten, weil ihr Betrieb die Löhne nicht mehr habe zahlen können. 2021 sei es nur 141.000 Beschäftigen so ergangen. Die Zahl der Verbraucher- und Privatinsolvenzen liege 2022 allerdings wohl deutlich niedriger als im Vorjahr: Während es 2021 noch 121.190 Neufälle überschuldeter Menschen gegeben habe, sei 2022 von 104.800 Betroffenen auszugehen.

Im traditionell starken Dienstleistungssektor geht „Creditreform.de“ für das vergangene Jahr 2022 von 8.450 Insolvenzen aus – ein Plus von „nur“ 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für den Handelsbereich habe man „nur noch“ 2.750 Insolvenzen errechnet – gegenüber 2.920 im Vorjahr. Im verarbeitenden Gewerbe schätzte „Creditreform.de“ 1.060 Insolvenzen und damit ein Plus von 15,2 Prozent. Noch schlimmer habe es das Baugewerbe getroffen: Mit geschätzten 2.440 Unternehmen der Bauwirtschaft in Deutschland hätten sich bis Ende des Jahres wohl 17,3 Prozent mehr Anbieter zahlungsunfähig gemeldet als 2021.

Bauwirtschaft unter Druck

Peter Hübner, der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), geht für das Jahr 2023 von sinkenden Umsätzen in einer Größenordnung von rund sechs Prozent aus. 2022 habe der Umsatzrückgang real bereits bei fünf Prozent gelegen, sagte Hübner laut „Handelsblatt“. Wegen des „historisch hohen Auftragsbestand[s] werde es aber keinen Personalabbau geben“. Sorgen bereiteten der Baubranche „hohe Materialpreise und steigende Hypothekenzinsen“.

Das Ziel von Bauministerin Klara Geywitz (SPD), 400.000 Wohnungen innerhalb eines Jahres fertig zu stellen, werde man nicht erreichen. Hübner geht von nur rund 250.000 neuer Wohnungen aus. Die Bauwirtschaft brauche einen „Doppelwumms“ in Höhe von 40 Milliarden Euro, meint Hübner: 15 Milliarden für mehr Wohnraum, 25 Milliarden für die Verkehrsinfrastruktur.

Preisstabilität in weiter Ferne

Der ZEW-Ökonom Prof. Dr. Friedrich Heinemann sieht die Inflation in Deutschland als andauernde Gefahr. Sie sei „schon längst nicht mehr nur eine Inflation der Energiepreise, sondern hat fast alle Güter und Dienstleistungen erfasst“, schrieb Heinemann zu seiner Analyse der Dezember-Daten. Zwar hätten die Gaspreisbremse, der niedrigere Ölpreis und die Aufwertung des Euro durch die EZB-Zinserhöhungen zu einem leichten Rückgang der Teuerungsrate geführt, doch das lindere „letztlich nur Symptome“. „Eine Rückkehr zur Preisstabilität bleibt […] für dieses Jahr unmöglich“, so Heinemanns Prognose.



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