Steingart: „Big-Tech-Kartelle wollen nicht Demokratie, sondern Geschäftsmodell retten“

Der Publizist Gabor Steingart hat in seinem „Morning Briefing“ bezweifelt, dass die Zensur-Politik der Big-Tech-Konzerne gegen Donald Trump oder Parler der Rettung der Demokratie dient. Ihm zufolge wollten sie vielmehr ihren Einfluss als digitale Kartelle ausbauen.
Von 12. Januar 2021

In zeitlich kurzem Abstand ergingen die Entscheidungen von Big-Tech-Konzernen, die Accounts des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump – temporär oder vollständig – zu sperren, die Plattform „Parler“ aus dem App-Angebot zu nehmen und auch weitere nicht den Linken zuordenbare Seiten zu sanktionieren.

Dies beunruhigt nicht nur konservative Befürworter der Betroffenen. Neben der Redefreiheit ist auch der Missbrauch der Marktmacht durch marktbeherrschende Unternehmen dabei zum Thema geworden.

Bereits am Montag (11.1.) mahnte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel unter dem Eindruck der dauerhaften Twitter-Sperre Trumps das Grundrecht auf Meinungsfreiheit an. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire erklärte: „Die digitale Oligarchie ist eine Bedrohung für Staaten und Demokratien.“

Der oppositionelle russische Blogger Alexej Nawalny sieht die digitale Zensur von Trump als möglichen Präzedenzfall, der autoritäre Regime weltweit zur Beschneidung der Redefreiheit ermuntern werde. Und auch das „Wall Street Journal“ geht davon aus, dass die „progressive Säuberung“ durch die Tech-Konzerne noch mehr an „populistischer Wut“ anstacheln werde.

Steingart: „Es geht nicht um Demokratie, sondern Festigung der Monopole“

Während die Tech-Konzerne ihr Vorgehen mit dem Auftritt Trumps kurz vor den Ereignissen vom Kapitol in Washington in der Vorwoche und mit Gewaltaufrufen auf Parler begründen, sieht Publizist Gabor Steingart eine deutlich profanere Zielsetzung hinter den Schritten:

Die Digitalkonzerne wollen mit der Verstummung von Trump nicht die Demokratie retten, sondern ihre Geschäftsmodelle. Diese zielen auf die Errichtung technologisch basierter Monopole ab.“

In diesem Zusammenhang gebe es in der Öffentlichkeit ein gutes Bild ab, sich als vermeintliche Verteidiger der Demokratie zu inszenieren. Außerdem argwöhnt der Publizist, die Tech-Konzerne wollten auf diese Weise den künftigen Präsidenten Joe Biden milde stimmen, der in der Vergangenheit mehrfach deren Marktmacht zum Problem erklärt hatte.

Google mit größerem Datenbestand als Regime in Peking

Ein solches sei diese auch tatsächlich, meint Gabor Steingart in seinem „Morning Briefing“, und er nennt in diesem Zusammenhang fünf Gründe.

Erstens werde die von der Verfassung garantierte Redefreiheit zur Farce, wenn Plattformen wie Facebook und Twitter mit mehr als zwei Milliarden täglichen Nutzern und einem Vielfachen der Reichweite von Zeitungen und Fernsehsendern entscheiden, wer sie ausüben darf.

Zweitens verfüge Google, das monatlich mehr als 100 Milliarden Anfragen verzeichne, über einen Datenbestand, der größer sei als jener des chinesischen KP-Regimes. Diese Daten würden mit Profilen verknüpft und für politische und kommerzielle Zwecke genutzt.

Innenstädte veröden durch Rückzug in virtuelle Welten

Drittens ziehe sich laut Steingart die Gesellschaft in die virtuellen Welten zurück. Der stationäre Einzelhandel sei Bonus- und Rabattprogrammen der digitalen Handelsplattformen nicht gewachsen und verschwinde aus den Innenstädten, die auf diese Weise verödeten.

Auch Handelsverbände hatten mehrfach vor dieser Entwicklung gewarnt und davor, dass diese durch die Corona-Maßnahmen noch zusätzlich befeuert werde.

Viertens sei die geballte Finanzmacht der Konzerne, deren Börsenkapitalisierung ganze Volkswirtschaften in den Schatten stelle, ein Risikofaktor bezüglich einer „Welt der zwei Geschwindigkeiten“. Diese könne entstehen, weil die Größe der Konzerne ihnen auch Privilegien bezüglich der Geldbeschaffung verschaffe.

Progressive Überzeugung endet bei der eigenen Steuererklärung

Zuletzt nehmen es die Big-Tech-Konzerne dort mit ihrer progressiven Überzeugung nicht ganz so genau, wo es um die Besteuerung ihrer eigenen Einkünfte gehe. So würden Gewinne aus Europa über Irland und die Niederlande auf die Steueroase der Bermudas transferiert, die keine Einkommenssteuer kennen.

Steingarts Fazit: Die Tech-Konzerne wüssten, wie erpressbar die Nationalstaaten geworden seien und setzten deren verfasste Demokratien unter Legitimationsdruck. Es sei vonnöten, dass der Rechtsstaat sich dagegen zur Wehr setze. Auch die weit verbreitete Bewunderung der Akteure sei vor dem Hintergrund von „Datenklau und Meinungsmonopoly“ nicht angebracht.

Kritik von prominenten US-Politikern

Am Wochenende hatten auch prominente US-Politiker das Gebaren von Big-Tech-Konzernen wie Twitter gegenüber dem scheidenden Präsidenten Donald Trump und anderen konservativen Akteuren scharf kritisiert. Außenminister Mike Pompeo schrieb auf dem Kurznachrichtendienst zu dessen jüngster Entscheidung, den Account von Präsident Trump dauerhaft zu löschen:

„Jemanden zum Schweigen zu bringen ist gefährlich. Es ist unamerikanisch. Leider ist das keine neue Taktik der Linken. Sie haben schon lange versucht, andersdenkende Stimmen zum Schweigen zu bringen.“

Auch die frühere UN-Botschafterin und Gouverneurin von South Carolina, Nikki Haley, die als mögliche Präsidentschaftskandidatin für 2024 gilt, sieht sich an Praktiken der chinesischen Kommunisten erinnert. Sie schrieb:

„Menschen zum Schweigen zu bringen, insbesondere den Präsidenten der USA, das ist, was in China geschieht, nicht in unserem Land.“



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