Stimmen zum Tag der „Deutschen Einheit“

Titelbild
Bremens Bürgermeister und Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD, vorn, v.l.), Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Bundespräsident Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, vor dem Rathaus in Bremen zu Beginn der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. Bremen richtet die offiziellen Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Wiederveinigung aus.Foto: David Hecker/dapd
Epoch Times3. Oktober 2010

Dass Einheit nicht Einigkeit in allen Ansichten heißt, davon lässt sich ein demokratisch verfasstes Land nicht erschüttern. Das hält den Diskurs lebendig und wenn es gut geht, führt die Auseinandersetzung auch zu besseren Lösungen. Eine Lektion, die zurzeit in Stuttgart mühsam ist, die vor über 21 Jahren selbst die Bürgerrechtler der DDR untereinander bewältigen mussten. Und eine Lektion, die täglich ansteht.

Zum Tag der deutschen Einheit haben sich viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geäußert. So stellte Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in der Radio Bremen-Talkshow „3nach9“ am Freitagabend fest: „Ich glaube, dass es besser gewesen wäre, wenn man das ein paar Tage später getan hätte.“ Genscher denkt dabei an den 9. Oktober. „Die große Freiheitsdemonstration, bei der sich alles entschied, war in Leipzig, das war am 9. Oktober.“ Diese Demonstration sei „ein Lichtblick in der deutschen Geschichte“ gewesen.

Wulff würdigt Veränderungsmut der Ostdeutschen als Vorbild für alle

Bundespräsident Christian Wulff hat die Veränderungsbereitschaft der Ostdeutschen als Vorbild für alle Bürger des Landes gewürdigt. Wulff sagte am Sonntag auf dem Festakt zum 20. Jahrestag der Wiedervereinigung in Bremen, die Menschen im Osten hätten mit ihrem Mut zur Veränderung „aus ganz Deutschland ein anderes Deutschland gemacht“. Sie hätten vorgelebt, wie Umbrüche zu meistern seien. Das sei bis heute nicht ausreichend hervorgehoben worden. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung brauche das ganze Land solchen Mut in einer sich rasant verändernden Welt.

Nach Ansicht Wulffs driften Lebenswelten in Deutschland auseinander: die von Alten und Jungen, Spitzenverdienern und denen, die vom Existenzminimum leben, Menschen mit und ohne Arbeit, Volk und Volksvertretern sowie Menschen unterschiedlicher Kulturen und Glaubensbekenntnisse. Einige Unterschiede lösten bei manchen Ängste aus, die man nicht leugnen dürfe. Das Land müsse Verschiedenheit wollen und aushalten. Zu große Unterschiede gefährdeten aber den Zusammenhalt. Vielfalt müsse geschätzt, Risse in der Gesellschaft müssen aber geschlossen werden. Das sei die Aufgabe der „Deutschen Einheit“ heute.

Kritischer hatte sich zuvor in einem ökumenischen Gottesdienst im Bremer St. Petri Dom am Sonntag bei den offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode äußerte sich in seiner „Erntedank“-Predigt vor 1.100 geladenen Gästen durchaus kritisch zu Begleiterscheinungen der Einheit. Es sei „nicht nur positives Wachstum hervorgebracht“ worden, sagte Bode. „Die Saat ist – wie im Evangelium – teils auf den Weg gefallen und sozusagen auf der Strecke geblieben“, sagte der Bischof.

Manches sei auch „unter Dornen geraten, wurde überwuchert von Profitgier, von der Herrschaft des Marktes, von alten und neuen Verstrickungen der Macht, vom Gestrüpp undurchsichtiger Machenschaften“. Vieles sei aber auch auf „guten und fruchtbaren Boden“ gefallen. Auch wenn die Einheit „vom gesamten inneren und äußeren Aufwand her eine Menge gekostet“ habe, sollte die Dankbarkeit für das Geschenk der Wende überwiegen. Es sollte deshalb alles dafür getan werden, aus den „echten, tiefen Wendekräften“ weiterhin Schwungkraft zu beziehen.

DGB fordert einheitlichen Mindestlohn in Ost und West

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat aus Anlass des 20. Jahrestags der Wiedervereinigung die Herstellung gleicher Arbeitsbedingungen in Ost und West angemahnt. „20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es höchste Zeit, endlich die soziale Einheit zu vollenden“, erklärte DGB-Chef Michael Sommer am Sonntag in Berlin. Nach wie vor hätten die Ostdeutschen auf dem Arbeitsmarkt das Nachsehen. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Leiharbeit und unfreiwillige Teilzeit seien hier besonders verbreitet.

„Ostdeutschland darf nicht länger abgehängt bleiben, wir brauchen ein ‚1:1’ in allen Lebensbereichen“, forderte Sommer. Um das zu erreichen, sei unter anderem ein einheitlicher, allgemeiner, gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde für Ost und West unabdingbar.

Merkel: In 20 Jahren keine Einteilung mehr in Ossis und Wessis

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet in den nächsten Jahren eine Überwindung der Einteilung der Deutschen in Ossis und Wessis. Zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit an diesem Sonntag sagte Merkel der Zeitung „Bild am Sonntag“: „Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren so weit sind, dass sich ein junger Mensch nicht mehr nach Ost oder West definiert, sondern dass wir einfach sagen: wir sind Thüringer oder Sachsen, so wie Westfalen oder Bayern. Und so wird es auch sein.“

Thierse fordert mehr Ausdauer, Kraft und Zeit für innere Einheit

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch viele Anstrengungen für nötig. „Wir wissen heute, dass die vom Grundgesetz vorgeschriebene ‚Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse’ mehr Ausdauer, Kraft und Zeit erfordert, als wir es uns 1990 erhofft oder manchmal auch eingeredet haben oder manche leichtsinnig und vollmundig versprochen haben“, schrieb Thierse im „Berliner Kurier am Sonntag“. Der bis 2019 geltende Solidarpakt II sei daher ein wichtiger Eckpfeiler für den weiteren wirtschaftlichen Aufholprozess in den neuen Bundesländern.

Als Erfolg wertete Thierse die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts. Noch 1991 habe es pro Einwohner in den ostdeutschen Ländern außer Berlin bei einem Drittel des westdeutschen Niveaus gelegen. Bis 2009 sei dieser Wert auf 73 Prozent gestiegen. Große Fortschritte seien auch erzielt worden bei der Sanierung der ostdeutschen Städte, bei der Modernisierung des Kommunikationsnetzes und der Verkehrsinfrastruktur, im Gesundheitswesen und bei der Beseitigung der ökologischen Altlasten.

Als größtes Problem bezeichnete Thierse die Arbeitslosigkeit im Osten, die fast doppelt so hoch sei wie im Westen. Hinzu komme, dass die Zahl geringfügiger beziehungsweise schlecht bezahlter Arbeitsplätze im Osten überproportional hoch sei.

Alles in allem aber sei der rasche Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 politisch gewollt, wirtschaftlich notwendig und außenpolitisch klug gewesen, urteilte Thierse.

Passanten stehen vor dem für das Fest zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit geschmückten Brandenburger Tor in Berlin. An diesem Wochenende wird mit zahlreichen Veranstaltungen der 20 Jahrestag der Wiedervereinigung begangen.Passanten stehen vor dem für das Fest zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit geschmückten Brandenburger Tor in Berlin. An diesem Wochenende wird mit zahlreichen Veranstaltungen der 20 Jahrestag der Wiedervereinigung begangen.Foto: Maya Hitij/dapd

Gauck in Berlin: „Deutsche können Freiheit“

Der frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, hat anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung Berlins an die Rolle der Menschen im friedlichen Herbst 1989 erinnert. Mit den damaligen Ereignissen habe sich gezeigt, „Deutsche können Freiheit“, sagte der Bürgerrechtler und ehemalige Kandidat für das Bundespräsidentenamt am Samstag auf dem Festakt „20 Jahre Wiedervereinigung Berlins“.

Nach Gaucks Worten darf diese Leistung der Menschen von 1989 niemals vergessen werden. Mit ihrem Ruf „Wir sind das Volk“ hätten sie nicht nur den „stärksten und schönsten Satz“ der deutschen Politik formuliert, sie hätten mit der Wiederentdeckung der eigenen Kräfte die Freiheit in den so lange eingemauerten Teil Europas geholt, fügte der Gauck hinzu. Anders als „Kaiser- und Führergeburtstage“ anderer Epochen, die eine Einladung zur Selbstüberhöhung und Selbstüberschätzung gewesen seien, gründe sich der 3. Oktober darin, „dass Menschen zu ihrem Menschenmaß zurückfanden“.

„Berlin symbolisiert einzigartig deutsche Geschichte“

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit lobte jene, die vor 20 Jahren die Einheit der Stadt organisiert hatten, insbesondere den sogenannten Magi-Senat aus Magistrat (Ost) und Senat (West). Es sei eine „gigantische Aufbauleistung gewesen“, eine getrennte Infrastruktur, Verwaltung und medizinische Versorgung zusammen zu führen. Es stimme aber auch: „Am 3. Oktober 1990 war schon längst spürbar, dass der Vereinigungsprozess für viele Berliner mit großen Enttäuschungen begann.“ Viele hätten ihre Arbeit verloren. „Aber die meisten haben das Beste aus der Situation gemacht und sich teilweise völlig neu erfunden“, sagte Wowereit. Diese „großartige biografische Leistung“ verdiene Respekt.

Wichtiger Anteil Gorbatschows am Wandel

Der Berliner Regierungschef dankte ausdrücklich den ostdeutschen Bürgerrechtlern des Herbstes 1989. „Der Tag der Einheit markiert das Ende eines Prozesses, der mit der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer begann.“ Dank gebühre auch jenen, die Berlin und der deutschen Demokratie damals das Vertrauen entgegengebracht und dem Land die volle Souveränität übergeben hätten. „Das waren die alliierten Schutzmächte, aber es war auch die Sowjetunion unter der Führung von Michael Gorbatschow, dem wir in besonderer Weise verdanken, dass der Wandel friedlich verlief.“

Am 2. Oktober 1990 war um Mitternacht der seit Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 in Berlin geltende Vier-Mächte-Status zu Ende gegangen. Bis zu diesem Tag unterstand die Stadt den Besatzungsmächten USA, Großbritannien und Frankreich im Westteil und der Sowjetunion im Osten. (dapd/rls)

 

 



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