Streckbetrieb oder Laufzeitverlängerung? Hitzige KKW-Debatte im Bundestag

Die 19. Änderung des Atomgesetzes steht zur Debatte. Bei Zustimmung könnte die Politik damit das Ende einer Ära in der deutschen Stromversorgung besiegeln.
AKW Isar
Das KKW Isar 2 in der Nähe von Essenbach im Juli 2022.Foto: Lukas Barth/Getty Images
Von 11. November 2022

Am Freitag (11.11.) wird der Bundestag über den Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes abstimmen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die deutschen Kernkraftwerke in den Streckbetrieb übergehen. Neue Brennelemente sollen nicht mehr bestellt werden. Die Kraftwerke würden den Plänen zufolge bis zum 15. April 2023 nicht ununterbrochen und auch nicht mit voller Leistung laufen.

Atomausstieg wegen russischer Angriffe in der Ukraine

Über den Entwurf diskutierte am 9. November erstmals der Bundestag. Als erste äußerte sich Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz  (Grüne). Sie wies auf die russischen Angriffe auf Kraftwerke in Osteuropa in der Ukraine hin. In Anbetracht des damit verbundenen Sicherheitsrisikos bezeichnete Lemke die Entscheidung der Bundesregierung als absolut richtig.

Die drei Kernkraftwerke würden noch einige Wochen länger laufen gelassen, um möglichst sicher durch den Winter zu kommen. Jedoch soll es mit dieser Gesetzesnovelle beim Atomausstieg bleiben. Den Ausstieg rechtfertigte sie mit der Frage der Sicherheit, die „kaum zu beantworten“ seien. Mehrere Betreiber hätten demnach „ihre Skepsis mehrfach zu Protokoll gegeben“. Ihrer Ansicht nach ist Atomkraft „nicht die Zukunft, sondern die Vergangenheit.“

Auch Jakob Blankenburg, Abgeordneter der SPD, unterstützte die Gesetzesänderung. Er unterstrich Lemkes Argument der russischen Angriffe auf europäische Kraftwerke in der Ukraine. Ebenso berief sich Blankenburg auf die Entscheidung von 2011, als die Bundesregierung den Atomausstieg für 2022 beschlossen hatte. „Denn das, was 2011 galt, gilt auch heute“, begründete der SPD-Politiker.

Neben den Fragen zur Sicherheit und Endlagerung erwähnte Blankenburg die Finanzierung. Er bezeichnete die Atomenergie als teuer. Insgesamt würde diese Form der Energieerzeugung im gesamten Prozess sogar teurer sein als die erneuerbaren Energien. Blankenburg plädierte dafür, mit der Gesetzesänderung endlich einen Schlussstrich unter diese Debatte zu ziehen. Stattdessen soll die Regierung nun unter Hochdruck am Umbau der Energieversorgung arbeiten, „hin zu Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit“ – und das ohne Atomstrom, sagte Blankenburg.

Union: Strompreis mit Atomenergie bis zu 13 Prozent niedriger

Dr. Anja Weisgerber (CDU) forderte hingegen einen Weiterbetrieb der deutschen Kernkraftwerke bis mindestens Ende 2024 und den Einsatz frischer Brennelemente. Weisgerber betonte, dass diese Energieform günstige Energie liefere. Gerade jetzt würde Verbraucherschutzministerin Lemke das Vertrauen der Verbraucher verspielen, indem sie mit der Gesetzesänderung den Bürgern höhere Energiekosten aufbürdet.

Die Grünen, allen voran Habeck und Lemke, hätten nie vorgehabt, „das Potenzial unserer Kernkraftwerke in einer Gesamtstrategie jetzt in der Krise für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung unseres Landes miteinzubeziehen“, sagte Weisgerber. Die Aspekte, was am besten für die Strompreisentwicklung und für das Klima ist, seien gar nicht Teil der Prüfung der Grünen-Politiker gewesen.

Weisgerber bezog in ihrer Rede den Standpunkt vieler Ökonomen ein. Demnach ließe sich der Strompreis durch die Nutzung der KKW um bis zu 13 Prozent senken. Ein breiteres Energieangebot sei notwendig, „um die Preissteigerungen beim Strom zu dämpfen.“

Sie bemängelte, dass mit dieser Gesetzesnovelle die Debatte im April definitiv beendet sein werde, selbst wenn Deutschland im Frühjahr einen Engpass haben sollte. Denn die Novelle verbiete die Bestellung neuer Brennelemente. Somit würde es technisch gar nicht mehr möglich sein, die Kraftwerke im Ernstfall weiterlaufen zu lassen, selbst wenn man es wollte.

Die von der FDP angekündigte weitere Debatte über dieses Thema im kommenden Frühjahr sei laut Weisgerber somit eine „Irreführung der Bürger“. Deutschland benötige weniger Ideologie und mehr Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein, sagte die CDU-Politikerin.

AfD: Ampel hofft auf gutes Wetter

Entschieden gegen die Gesetzesnovelle ist auch Rainer Kraft, Abgeordneter der AfD. Er betonte, dass Deutschland wirklich ein Energieproblem habe. Das betreffe sowohl Strom als auch Gas. Es seien kurzfristig wirkende Maßnahmen gefragt: „Ankündigungen unzuverlässiger Wind- und Solarenergie sowie die Absicht, irgendwann irgendwas mit Wasserstoff zu machen, sind bestenfalls Nebelkerzen in der entscheidenden Frage, wie wir durch diesen und nächsten Winter kommen werden.“

Kraft betonte zudem, dass Deutschland seine Ressourcen zur Energiesicherheit nutzen müsse. Das Abschalten der verbliebenen drei KKW bezeichnete der AfD-Politiker hingegen als Verschwendung der Ressource. Kraft befürwortet die Gesetzesentwürfe von Union und AfD, wonach mindestens zwei Jahre Vollast für die drei verbliebenen KKW vorgesehen sind.

Kraft warf der Ampel-Koalition vor, dass sie mit dem Entwurf die 4 GW zuverlässiger Leistung der KKW „in die Reserve verbannen“ will und „gleichzeitig auf gutes Wetter und einen warmen Winter“ hofft. Laut Kraft seien die Verlierer dieses Entwurfs die Stromkunden und Steuerzahler.

Dass die Ampel-Koalition mit ihrem Vorhaben falschliege, zeige ein Blick in die Nachbarländer. Dabei spielte der Abgeordnete auf den entgegengesetzten Trend anderer EU-Länder an, die an neuen Großkraftwerken interessiert seien und neue Kernkraftwerke planen.

Die Linke: Kein Erzeugungsproblem, dafür ein politisches

Auch Ralph Lenkert (Die Linke) verwies auf die Gefahren der Atomkraft und dass derzeit in Frankreich wegen Materialproblemen etwa die Hälfte der 56 Reaktoren heruntergefahren wurden. Deutsche KKW seien ähnlich alt.

Lenkert wies darauf hin, dass die Energieversorgung in Deutschland durch die Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken im Herbst technisch sichergestellt sei. Deutschland hätte „kein Erzeugungsproblem in der Stromversorgung, sondern ein politisches Problem. Künstlicher Wettbewerb mit starren Regularien und Börsenspekulationen drängen uns den Atomstrom auf“, so Lenkert.

Somit würde Deutschland auch ganz ohne Atomstrom über den Winter kommen. Lenkert sprach sich hingegen für ein Konzept der Stromhandelszonentrennung aus, wonach Deutschland in zwei Stromhandelspreiszonen aufgeteilt würde.

CSU: Hochrisikopolitik statt Hochrisikotechnologie

Der CSU-Politiker Dr. Klaus Wiener kritisierte in seinem Redebeitrag die „gebetsmühlenartige“ Bezeichnung der Hochrisikotechnologie für Kernkraftwerke, die die Ampel-Politiker häufig verwenden. Im Ausland würde dieser Begriff niemand verwenden, auch sei er nicht in der wissenschaftlichen Literatur zu finden. Mit Blick auf das Klima würde die Koalition jedoch eine „Hochrisikopolitik betreiben“. Dabei kritisierte Wiener, dass durch die Favorisierung von Kohlestrom Deutschland die Klimaziele deutlich verfehlen würde. Atomstrom sei hier die viel sauberere Energiequelle.

Wiener sei ebenso wie die Regierung für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien, jedoch benötige dieser Wandel viel mehr Zeit und auch ein Scheitern sei möglich. Er appellierte deshalb, alle Energieformen so lange zu nutzen, bis die Energiewende tatsächlich geschafft ist „und nicht vorher ab[zu]schalten.“ Somit sprach sich Wiener gegen den Gesetzesentwurf aus und forderte einen Weiterbetrieb der KKW über den 15. April hinaus.

Auswirkungen des Entwurfs

Was bedeutet der neue Gesetzentwurf für die drei noch laufenden deutschen Kernkraftwerke? Wenn keine neuen Brennstäbe bestellt werden können? Ein Überblick:

Isar 2:

Im September war eine Ventil-Leckage in dem bayerischen Kernkraftwerk bekannt geworden. Für die Wartung musste das Kraftwerk für knapp eine Woche heruntergefahren werden – seit Ende Oktober ist es wieder am Netz. Laut dem Betreiber PreussenElektra kann Isar 2 noch bis Mitte Dezember die volle Leistung bringen.

Laut der Bundesregierung kann der Meiler mit den vorhandenen Brennstäben noch „bis voraussichtlich Anfang März 2023“ laufen. „Dabei können zwischen anfänglich etwa 95 Prozent der elektrischen Nennleistung bis etwa 50 Prozent der elektrischen Nennleistung zum Ende bereitgestellt werden“, heißt es im Gesetzentwurf. Insgesamt würden im neuen Jahr rund zwei Terawattstunden (TWh) Strom erzeugt. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 wurden laut Bundesnetzagentur in Deutschland rund 504 TWh Strom verbraucht.

Neckarwestheim 2

Das Kraftwerk in Baden-Württemberg kann laut dem Gesetzentwurf zum Jahresende heruntergefahren werden, „um im Anschluss den Reaktorkern zu rekonfigurieren“. Das Prozedere dauert demnach etwa zwei bis drei Wochen.

„Im Anschluss an diesen Stillstand kann das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 wieder hochgefahren und bis zum 15. April 2023 betrieben werden.“ Dabei könnten anfänglich etwa 70 Prozent der elektrischen Nennleistung geliefert werden. Der Wert sinkt anschließend auf „etwa 55 Prozent“. Insgesamt werde Neckarwestheim 2 im nächsten Jahr damit rund 1,7 TWh Strom erzeugen.

Emsland

Auch in der Anlage in Niedersachsen sind Arbeiten nötig, um eine längere Laufzeit als bisher geplant zu ermöglichen. Das Kraftwerk „muss voraussichtlich Ende Januar 2023 für etwa zwei Wochen heruntergefahren werden, um die Brennelemente im Kern zu rekonfigurieren“, heißt es im Gesetzentwurf.

„Anschließend kann die Anlage bis zum 15. April ihren Leistungsbetrieb fortsetzen.“ Dabei nehme die Leistung „sukzessive ab“. Insgesamt könnten 2023 noch etwa 1,7 TWh Strom erzeugt werden.

(Mit Material von AFP)



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