Streit im Gepäck: Ampel-Kabinett sucht in Meseberg Harmonie

Die Stimmung ist gereizt – auch weil ein wichtiger Haushaltsbeschluss ansteht. Hinter den Kulissen will man sich mal wieder tief in die Augen sehen. Klappt es bei den Ampelpartnern mit dem Zusammenraufen?
Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geben nach dem ersten Tag der Klausurtagung eine Pressekonferenz.
Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geben nach dem ersten Tag der Klausurtagung eine Pressekonferenz.Foto: Soeren Stache/dpa
Epoch Times6. März 2023

Strittige Inhalte gibt es gerade viele, für Kanzler Olaf Scholz ist aber vor allem eines wichtig: Seine Regierung habe in den vergangenen Monaten viel geschafft  – und sie packe weiter an. „Wir haben viel vor, unser Land in die Zukunft zu führen“, betonte der SPD-Politiker gestern nach Tag eins der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Das sei mit vielen Veränderungen verbunden. „Und deshalb ist es auch völlig normal, dass über diese vielen Schritte, die dazugehören, sehr intensiv diskutiert wird.“

Diese intensiven Diskussionen gibt es zwischen SPD, Grünen und FDP gerade bei einer Reihe von Themen – vom Autobahnausbau über ein Verbot neuer Öl- und Gasheizungen bis hin zum anstehenden Etat für 2024. Ausgeruhte Gespräche hinter verschlossener Tür scheinen nötig, denn eineinhalb Wochen vor einem wichtigen Haushaltsbeschluss ist die Stimmung im Kabinett gereizt wie lange nicht. Zusammenraufen, das könnte das Motto der bis heute dauernden Kabinettsklausur werden. Wirkliche Entscheidungen werden dagegen erst bei einem Koalitionsausschuss Ende März erwartet.

Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Koalition bei Streitthemen einigen wird. „Machen Sie sich um das Koalitionsklima keine Sorgen“, sagte der FDP-Chef im ZDF-„heute journal“. Die Koalition habe viele wichtige Fragen zu beraten und brauche auch Zeit dafür. „Am Ende werden aber gute Lösungen stehen, da bin ich sicher“, betonte Lindner. Der Finanzminister sprach zugleich von schwierigen Haushaltsberatungen mit den Kabinettskollegen. Lindner sagte, er stehe in der Verantwortung, dass die Bürger nicht durch wachsende Zinszahlungen und höhere Steuern überlastet werden.

Scholz zog zum Auftakt der Klausur trotz der Streitereien ein positives Zwischenfazit der Regierungsarbeit. „Wir haben Deutschland gemeinsam […] angesichts einer ganz großen Herausforderung, die mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verbunden ist, sicher durch eine große Krise geführt“, sagte er. Die Krise habe sich vielleicht nicht für jeden bemerkbar gemacht, „weil sie ausgeblieben ist. Aber sie war vor uns“, betonte Scholz. „Alles das, was manche uns im letzten Jahr vorhergesagt haben und unserem Land, das ist nicht eingetreten. Und das ist die Leistung, auf die wir jetzt aufbauen.“

Auf der offiziellen Tagesordnung für gestern und heute war von den Problemthemen daher auch keine Spur. Mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach die Runde dann aber nicht nur über „Wirtschaftliche Perspektiven Deutschlands und Europas in der Zeitenwende“, sondern auch über ein Thema, mit dem sich Deutschland auf EU-Ebene zuletzt keine Freunde gemacht hat.

Verbrenner-Aus

Deutschland und die EU seien in einem „konstruktiven Dialog“ zum umstrittenen Verbrenner-Aus, sagte von der Leyen. Es gebe volle Unterstützung für das Prinzip der Technologieoffenheit. „Aber das muss auch immer in Balance mit unseren klimapolitischen Zielen stehen.“ Genau daran werde noch gearbeitet. Die EU-Abstimmung über das geplante Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 war am Freitag wegen Nachforderungen Deutschlands verschoben worden. Die FDP will, dass die EU-Kommission einen Vorschlag unterbreitet, wie klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe – sogenannte E-Fuels – nach 2035 in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden können.

Haushaltssparrunde

Ein anderer Grund für das gereizte Klima ist, dass FDP-Chef Christian Lindner am 15. März die Eckpunkte für den Etat des kommenden Jahres vorlegt. Wie üblich wollen seine Kabinettskollegen mehr Geld als der Finanzminister ihnen zugestehen will. Die Zusatzwünsche sollen sich auf 70 Milliarden Euro summieren. Steigende Zinsen, die Schuldenbremse und die Weigerung der FDP, die Einnahmen durch Steuererhöhungen aufzupolstern, schränken den Spielraum ein. Zugleich soll der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mehr Geld bekommen. Die Grünen sorgen sich, dass für ihre Projekte vor diesem Hintergrund nicht genügend übrig bleibt.

Kindergrundsicherung

Beim Disput um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung geht es um Mittel für 2025. Vereinbart haben SPD, Grüne und FDP, dass Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten gebündelt werden und besser bei den Berechtigten ankommen sollen. Ob das auch eine milliardenschwere finanzielle Aufstockung bedeuten soll, ist umstritten.

Heizungen

Eigentlich hatte die Koalition bereits im vergangenen Jahr vereinbart, dass möglichst ab 2024 nur noch Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Details der Pläne machte das Wirtschaftsministerium jetzt öffentlich – und zog heftige Proteste der FDP auf sich. Die Liberalen fürchten, die Regelung für mehr Klimaschutz werde viele Hausbesitzer finanziell überfordern und Baukosten hochtreiben.

Autobahnen

Ob Autobahnen schneller gebaut werden sollen, ist ein Dauerstreit in der Koalition. Die FDP fordert das und verweist auf die Prognose, dass der Güterverkehr auf der Straße langfristig stark wächst. Die Grünen lehnen eine Beschleunigung ab und fordern mehr Engagement für die Klimaziele.

Scholz und Baerbock

Zwischen Scholz und seiner Außenministerin Annalena Baerbock ruckelt es in Sachen Diplomatie. Vielen in der SPD gefällt nicht, dass die Grünen-Politikerin international oft Klartext spricht – während Scholz vieles lieber in Hinterzimmern regelt. Als Baerbock beim Europarat zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten aufrief, sagte sie: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“ Scholz stellte klar: „Das ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine.“ Auch die deutsche Strategie zum Umgang mit China kommt kaum voran.

Im vergangenen Jahr – das kann man der Ampel zugestehen – war ihre Politik getrieben von akuter Krisenbewältigung. Wenige Tage vor der Klausurtagung aber gab Scholz eine Regierungserklärung im Bundestag ab, die nicht mehr hauptsächlich von Waffenlieferungen, Rettungspaketen und Inflationssorgen geprägt war. Für die Ampel-Regierung könnte eine neue Phase beginnen, in der es wieder mehr um die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag geht. Manche ihrer Mitglieder wünschen sich, dass damit auch eine Rückbesinnung auf den Anfang der Zusammenarbeit einhergehen möge, als strittige Themen in erster Linie hinter den Kulissen ausgefochten wurden. (dpa/red)



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