Studie: „Vernebelter Rückblick“ auf die Pandemie trage zur gesellschaftlichen Spaltung bei

Ein Forscherteam um die Erfurter Psychologin Cornelia Betsch veröffentlicht Studien, die belegen sollen, dass Erinnerungen an die Corona-Zeit „systematisch falsch“ sein können.
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Restriktive Maßnahmen wie die Maskenpflicht bewerten Geimpfte und Ungeimpfte vollkommen unterschiedlich.Foto: Peter Kneffel/dpa
Von 3. November 2023

Mal ganz ehrlich: Sind Sie stolz darauf, dass Sie sich solidarisch und verantwortungsbewusst verhalten haben, den Impfaufrufen von Politikern oder auch Promis gefolgt sind und die diversen „Impfangebote“ angenommen haben? Oder: Sind Sie stolz darauf, dass Sie allen Kampagnen, Drohungen und Gewissensappellen zum Trotz ungeimpft geblieben sind? Wer eine der Fragen mit „Ja“ beantworten kann, dessen Erinnerungen an die Corona-Pandemie können unter Umständen „systematisch falsch sein“, berichtet der „Spiegel“.

1.600 Teilnehmer dreimal befragt

Zu dem Ergebnis kommen verschiedene Studien von Forschern der Universitäten Erfurt, Bamberg, Wien und Chicago. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift „Nature“ publiziert. „Arg vernebelt“ könne der Rückblick auf die eigene Einstellung zu den Corona-Maßnahmen oder zu der Gefährlichkeit der Infektion sein, heißt es. Das zudem entwickelte starke Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe der Geimpften – oder der der Ungeimpften – trage zur Spaltung der Gesellschaft bei, fanden die Autoren heraus.

In einer dieser Untersuchungen verglichen die Forscher unter der Leitung von Cornelia Betsch und Robert Böhm Aussagen von 1.600 Studienteilnehmern, die 2020, 2021 und 2022 zur Pandemie befragt worden waren.

Beim zweiten Interview sollten sie sich an die Antworten aus der ersten Runde erinnern. Dabei ging es unter anderem um die Einschätzung des Infektionsrisikos und der Schwere einer Coronainfektion. Oder auch um die Fragen, wie häufig die Teilnehmer Masken trugen und ob sie die Corona-Maßnahmen als angemessen oder übertrieben empfanden. Dabei zeigte sich, dass die meisten Befragten sich nicht mehr korrekt an frühere Aussagen erinnern konnte.

Vorbereitungen auf künftige Pandemien schwieriger

Es habe sich jedoch nicht um einfaches Vergessen gehandelt, sondern um das psychologisch motivierte Phänomen einer verzerrten Rückschau in die Vergangenheit. „Geimpfte und Ungeimpfte haben sich in unterschiedliche Richtungen falsch erinnert“, zitiert der „Spiegel“ Cornelia Betsch, ehemals Mitglied des Corona-Expertenrats.

„Wir haben uns in unseren Erinnerungen noch weiter voneinander wegbewegt, als wir eigentlich waren.“  So hätten Geimpfte eher gedacht, dass sie die Infektion zum ersten Befragungszeitpunkt 2020 oder 2021 für gefährlicher gehalten hatten. Auch glaubten sie, dass sie die Maßnahmen angemessener waren, als das tatsächlich der Fall war.

Genau das Gegenteil glaubten Ungeimpfte. Sie hätten das Virus also als weniger riskant und die Maßnahmen bei der ersten Befragung als übertriebener eingeschätzt. Die Studie habe sogar eine klare Korrelation ergeben: Je stärker die Identifikation mit dem eigenen Impfstatus, desto positiver wurde die Angemessenheit der politischen Maßnahmen rückwirkend bewertet. Bei den Ungeimpften waren es entsprechend negative Beurteilungen.

„Die Menschen haben viel mitgemacht in der Pandemie, und in der Erinnerung verfestigt sich dies und wird extremer“, so Betsch. „Und das erschwert heute das Sprechen über die Corona-Zeit, die Aufarbeitung“, glaubt sie.

Die Ergebnisse sollen darauf hindeuten, dass die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien beeinträchtigt werden könnten. Folglich müssten künftige Maßnahmen über die unmittelbaren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hinaus auch die längerfristigen Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen berücksichtigen. Dieses Fazit greift der „Spiegel“-Artikel allerdings nicht auf.

Weitere Studie: 29 Prozent fordern Bestrafung von Politikern

In einer weiteren, ebenfalls kürzlich in „Nature“ veröffentlichten Untersuchung befragten die Forscher rund 5.100 Personen in zehn verschiedenen Ländern nach ihrer „postpandemischen Wut“ auf Politiker, Wissenschaftler und das politische System als Ganzes.

Die Ergebnisse: In Deutschland wünschten sich 29 Prozent der Befragten, dass Politiker dafür bestraft werden sollten, wie sie mit der Corona-Pandemie umgegangen sind. 19 Prozent forderten eine Bestrafung von Wissenschaftlern. Für die Zerschlagung des politischen Systems sprachen sich sechs Prozent aus.

„Diese Zahlen fanden wir schon krass“, sagt Cornelia Betsch. Andererseits passten sie zum Erleben vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Sie bekommen immer noch Hassnachrichten. Zwar weniger als in der Pandemie, aber das hat mitnichten aufgehört.“



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