„Tag der deutschen Vielfalt“: Dubioser Text erhitzt die Gemüter
Fragen wie jene, ob die deutsche Wiedervereinigung tatsächlich in der bestmöglichen Form auf den Weg gebracht worden ist oder wie es um die innere Einheit steht, kennzeichnen alljährlich den Tag der Deutschen Einheit. Wie es aussieht, könnte dem ohnehin nicht von restloser Harmonie gekennzeichneten Feiertag künftig noch zusätzliche Komplexität zuwachsen.
„Welt“ und „Spiegel“ berichten, offenbar basierend auf einer Meldung von DPA, mehrere Einwandererverbände hätten anlässlich des diesjährigen Tages der Deutschen Einheit künftig auch einen „Tag der deutschen Vielfalt“ gefordert. Bislang, so die Begründung, werde am 3. Oktober die Einheit nur aus einer „deutschdeutschen“ und „weißen“ Perspektive gefeiert.
Der Appell sei, so diese Medien, von mehreren Migrantenverbänden gemeinsam mit den „Neuen Deutschen Organisationen“ veröffentlicht worden, einem Netzwerk von Vereinen, die „für Teilhabe und gegen Rassismus“ einträten.
Neben dem Tag der deutschen Einheit sollte es, so heißt es in der Meldung, nach Ansicht von Migrantenverbänden auch einen „Tag der deutschen Vielfalt“ geben, der die positiven Aspekte der Einwanderungsgesellschaft würdigt. „Es ist wichtig, dass die Wiedervereinigung jedes Jahr symbolisch gefeiert wird“, heiße es in einem Appell, den die Verbände am Mittwoch gemeinsam mit den „Neuen Deutschen Organisationen“ veröffentlicht haben sollen.
„Nichtweiße“ Selbstausgrenzung und eigener Narrativ für „Bindestrichdeutsche“?
Auch die Einwanderungsgesellschaft brauche einen symbolischen Akt – als Anerkennung der gesellschaftlichen Vielfalt in Deutschland. Die deutsche Einheit werde, so heiße es in dem Papier, üblicherweise „aus einer rein ,weißen‘ Sicht betrachtet – deutschdeutsche Ostdeutsche wiedervereint mit deutschdeutschen Westdeutschen.“
Unterzeichnet haben den Appell, so heißt es weiter, unter anderen die Türkische Gemeinde in Deutschland, der Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, der Verband Deutsch-Syrischer Hilfsvereine und die Iranische Gemeinde.
Die „Bindestrichdeutschen“ auf beiden Seiten würden dabei oft vergessen. Dabei sei die deutsche Einheit für sie zum Teil mit „rassistischen Erfahrungen“ verbunden gewesen. Ein großer Teil der ostdeutschen Bevölkerung habe in den Jahren nach der Vereinigung Entfremdung und Stigmatisierung erlebt. Die Einheit bleibe unvollendet, wenn diese Geschichten nicht erzählt würden.
Inwieweit das Dokument authentisch ist und wie die Willensbildung im Vorfeld der Veröffentlichung ausgesehen hat, wirft bei genauerer Betrachtung Fragen auf. Unter den aktuellen Pressemitteilungen auf der Webseite der „Neuen Deutschen Organisationen“ ist jedenfalls kein aktueller Text publiziert, der sich mit der zitierten Erklärung in Verbindung bringen ließe. Der letzte Eintrag ist vom 15.9. und kritisiert Bundesinnenminister Horst Seehofer für dessen Agieren in der Chemnitz-Debatte. Auf dem Facebook-Account, der gerade einmal knapp 2700 Follower zählt, findet sich ebenfalls nur eine knappe Grußadresse zum Tag der Deutschen Einheit – zusammen mit dem Hinweis, heute gehe es „um Einigkeit statt um Spaltung“.
Aktuellste Texte befassen sich mit komplett anderen Themen
Auf der Seite der TGD, einer Dachorganisation für türkische Einwanderer, die der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) nahestehen, ist von dem Appell bis dato ebenfalls nichts zu lesen. Der letzte Eintrag dort stammt vom 26. September und befasst sich mit dem Erdoğan-Besuch in Deutschland. Auch auf den Webseiten der anderen genannten Vereinigung ist unter aktuellen Meldungen kein Originaltext zu finden, ebenso wenig auf Facebook.
Die Meldung, die bereits durch eine Vielzahl an Medien ging, hat in den sozialen Medien zum Teil heftige Reaktionen ausgelöst. Einige Nutzer meinten, die Migrantenverbände wollten auf diese Weise den deutschen Nationalfeiertag „umdeuten“. Die der dpa-Meldung zu entnehmenden Inhalte legen die Annahme nahe, die Verbände treten für einen solchen Gedenktag ein, der die positiven Aspekte der Einwanderungsgesellschaft würdige – zusätzlich zum Tag der deutschen Einheit, nicht an dessen Stelle.
Dennoch empfindet eine Vielzahl an Kommentatoren in sozialen Medien die Diktion in dem Text, die selbst „deutsch“ und „weiß“ als synonym setzt, als problematisch. Außerdem werden Zweifel dahingehend artikuliert, ob der Tag der Deutschen Einheit tatsächlich der richtige Anlass ist, um intersektional aufgeladene Identitätspolitik zu betreiben.
Integrationsthematik bleibt komplex
Dass Deutschland, wie andere Länder auch, nicht unbedingt in jeder Hinsicht dem Idealbild jener „farbenblinden Gesellschaft“ entspricht, das Martin Luther King Jr. einst während der Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den USA entworfen hatte – und die kulturmarxistische Scharfmacher mittlerweile selbst als „rassistisch“ brandmarken -, wird nur von wenigen bestritten.
Auch lässt sich mit einigen stichhaltigen Argumenten behaupten, die Leistungen legal eingewanderter Arbeitsmigranten, vor allem aus dem früheren Jugoslawien und der Türkei, hätten nicht immer die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung erfahren, die sie sich verdient hätten. Dies gilt selbst dann, wenn man der von türkischen Einwandererverbänden gerne bemühten These nicht beipflichtet, die ab 1964 verpflichteten „Gastarbeiter“ hätten bereits den Wiederaufbau nach 1945 bewerkstelligt.
Das Zusammenleben mehrerer Kulturen und die Integration sind zudem keine Einbahnstraße. Die aufnehmende Gesellschaft hat es Einwanderern zweifellos nicht immer und überall leicht gemacht. Viele vermissen auf der anderen Seite jedoch auch die Bereitschaft zur Selbstreflexion bei stark ideologisierten identitätspolitischen Verbänden wie den „Neuen Deutschen Organisationen“, wenn es um Defizite in den Einwanderercommunitys selbst geht – etwa Parallelgesellschaften oder problematische Erscheinungsformen des Islam.
Mediengemachte Popularität?
Es bleiben Zweifel, ob die Schaffung eines „Tages der deutschen Vielfalt“ tatsächlich das Anliegen ist, das Einwanderer in Deutschland am meisten bewegt – und ob diese ausgerechnet den 3. Oktober für den passenden Zeitpunkt erachten, um eine solche Forderung zu publizieren. Die Tatsache, dass die dpa und darauf gestützt Dutzende von Medien einen Text wiederverbreiten, dessen Original nirgendwo auf den eigenen Seiten der benannten Urheber zu finden ist, trägt möglicherweise auch nicht zu mehr Miteinander bei.
Sollte der Text tatsächlich authentisch sein, hätte die Vereinigung „Neue Deutsche Organisationen“ jedoch eine Aufmerksamkeit und damit einen PR-Effekt erzielt, die deutlich über ihre reale Bedeutung mit 2700 Facebook-Followern hinausgeht. Sie wäre nicht die erste Advocacy-Organisation, der dies gelänge.
So soll beispielsweise auch der „Zentralrat der Muslime“ ursprünglich einer der mitgliederschwächsten islamischen Verbände in Deutschland gewesen sein und auch heute mit etwas über 20 000 Mitgliedern nur einen kleinen Teil hier lebender Muslime vertreten. Dennoch gehört dessen Sprecher Aiman Mazyek zu den mit Abstand bekanntesten und einflussreichsreichsten Islamfunktionären.
Dass Personen und Vereine aus Communitys ethnischer und religiöser Minderheiten es in Deutschland immer wieder schaffen, sich allein durch offensive PR und provokative Medienarbeit einen Namen zu machen, ohne tatsächlich über viel Rückhalt zu verfügen, zeigt jedoch tatsächlich, dass Mehrheitsgesellschaft und Medien relativ wenig mit diesen vertraut sind.
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