Thüringen: Steuersenkung mithilfe von AfD-Stimmen? Linke beschwört „Brandmauer“

In Thüringen will die CDU im Landtag eine Mehrheit für die Senkung der Grunderwerbsteuer mobilisieren, die dort zu den höchsten in ganz Deutschland zählt. Dabei will sie notfalls auch die Stimmen der AfD für sich gewinnen.
Bevor mit dem Bau eines Hauses angefangen werden kann, muss das Grundstück gekauft werden. Damit ist auch die Grunderwerbsteuer fällig.
Bevor mit dem Bau eines Hauses angefangen werden kann, muss das Grundstück gekauft werden. Damit ist auch die Grunderwerbsteuer fällig.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 14. September 2023

Mehr Wohneigentum für junge Familien und mehr Aufträge für die Bauwirtschaft will die CDU in Thüringen ermöglichen. Zu diesem Zweck hat sie im Landtag einen Gesetzentwurf für eine Absenkung der Grunderwerbsteuer eingebracht. Mit 6,5 Prozent schreibt der Freistaat – zusammen mit Brandenburg, NRW, dem Saarland und Schleswig-Holstein – derzeit den höchsten Satz in ganz Deutschland vor. Nach dem Willen der Union soll er künftig bei fünf Prozent liegen, wie etwa im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt.

Findet der Antrag eine Mehrheit, würde dies eine Steuersenkung zwischen 50 und 60 Millionen Euro im Jahr bewirken. Für eine einzelne Familie könnte der Erwerb eines Eigenheims bis zu 10.000 Euro günstiger werden, erläutert der MDR. Dem Freistaat selbst, der zuletzt 286 Millionen Euro über die Grunderwerbsteuer eingenommen hatte, würde dieser Betrag fehlen.

IHK unterstützt Vorstoß für niedrigere Grunderwerbsteuer

CDU-Fraktionschef Mario Voigt will mit dem Vorstoß in Zeiten der Belastungen von Bürgern ein Zeichen setzen. Mit Blick auf „elementare Lebenswünsche“ wie ein Eigenheim, den Kauf einer landwirtschaftlichen Fläche oder eine mittelständische Investitionsentscheidung wolle man signalisieren:

Jawohl, da stehen wir an eurer Seite.“

Unterstützung für das Vorhaben kommt von Verbänden wie der IHK Erfurt. Deren Hauptgeschäftsführerin Cornelia Haase-Lerch sieht in der hohen Grunderwerbsteuer einen massiven Standortnachteil. Zumindest dieser würde wegfallen. Gegenüber dem MDR äußert sie:

Die massiv wegbrechende Auftragslage im Baugewerbe durch stark sinkende Nachfragen belastet die regionale Wirtschaft sehr. Daher wäre aus unserer Sicht die Reduzierung der Grunderwerbssteuer zwar ein kleiner, aber durchaus wirksamer und vor allem schnell umsetzbarer Beitrag zur Entlastung.“

Innenminister Maier: AfD bekommt „haushälterische Gestaltungsmacht“

Das Problem für die Union: Das Minderheitskabinett aus Linkspartei, SPD und Grünen will diesen Schritt nicht mitgehen. Und um eine eigene Mehrheit für den Antrag zu bekommen, muss die Union neben der FDP auch die Stimmen der in Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften AfD mobilisieren.

Darauf weisen erwartungsgemäß die linken Regierungsparteien hin und beschwören die viel zitierte „Brandmauer“ gegen Rechtsaußen. Im Kabinett von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) ist von einem „einzigartigen Vorgang“ und einem „Pakt mit dem Teufel“ die Rede.

Auch vom Chef der Landes-SPD und Innenminister Georg Maier kommt Kritik. Die CDU, so Maier, nehme wissentlich und willentlich in Kauf, dass die Senkung der Grunderwerbsteuer nur möglich sei, wenn die AfD zustimme. SPD-Fraktionschef Matthias Hey warnt vor einer Aufwertung der AfD, indem man dieser „haushälterische Gestaltungsmacht“ zugestehe.

Voigt: Rot-Rot-Grün will der CDU „eine Falle stellen“

Die Union will dennoch an ihrem Vorhaben festhalten. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur äußert Fraktionschef Mario Voigt, er habe sich vergeblich um die Zustimmung von Rot-Tor-Grün bemüht. Nun wolle man die Lösung von Problemen nicht vom Stimmverhalten der „falschen Seite“ abhängig machen:

Die Leute draußen erwarten, dass man sich um deren Themen kümmert. Unser Vorschlag liegt seit zwei Jahren auf dem Tisch, jetzt wird abgestimmt.“

Die Koalition versuche mit ihrer Ablehnung, der CDU eine Falle zu stellen:

Es geht darum, die CDU in eine Ecke zu drängen und die Abstimmung zu skandalisieren.“

Voigt wies darauf hin, dass auch die Regierungsparteien bereits bei einigen Sach- oder Verfahrensfragen mit der AfD gestimmt hatte.

Abstimmung wird diesmal wohl nicht „rückgängig gemacht“

Selbst die als linksliberal geltende CDU-Vizevorsitzende Karin Prien wittert einen Missbrauch des Kampfs gegen Rechtsextremismus gegen die politische Mitte. Gegenüber „Bild“ nannte sie die Senkung der Grunderwerbsteuer ein „vernünftiges politisches Ziel“. Es müsse der CDU möglich sein, „ohne die ständige Unterstellung von Nähe zur AfD konstruktive Oppositionsarbeit zu machen“.

Auch ein Sprecher des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz erhob keine Einwände gegen das Vorgehen der Union im Freistaat. Ein Szenario, wonach aus der CDU-Spitze die Forderung kommen könnte, die Abstimmung „rückgängig zu machen“, wird damit wenig wahrscheinlich. Im Jahr 2020 hatte dies noch Bundeskanzlerin Angela Merkel von Südafrika aus verlangt, nachdem FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.

Seit dieser Zeit regiert Rot-Rot-Grün ohne offiziellen Tolerierungs- oder Duldungspakt. Die CDU hat bislang mit ihren Stimmen Mehrheiten beispielsweise in der Haushaltspolitik gesichert. Ursprünglich bestand ein Konsens, möglichst früh Neuwahlen anzuberaumen. Erst machte jedoch Corona diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Später waren es die Umfragen. Diese sehen derzeit die AfD mit deutlichem Vorsprung als stärkste Partei. Am 1. September 2024 steht die nächste turnusmäßige Landtagswahl an.

Rechnungshof und wissenschaftlicher Dienst äußern Bedenken in der Sache

Thüringens Landtagspräsidentin Birgit Pommer hat in einem Brief an alle sechs Fraktionen für ein Vertagen der Steuerentscheidung geworben.

Sie führte verfassungsrechtliche Bedenken zu einzelnen Passagen an, die vom wissenschaftlichen Dienst des Landtags geprüft werden sollten. „Diesen Vorschlag bitte ich als Versuch zu verstehen, die weitere innerparlamentarische Debatte zu versachlichen und der Bindung auch des Landtags an Recht und Gesetz bestmöglich Rechnung zu tragen“, heißt es in dem Brief, der der dpa vorliegt. Kritische Bemerkungen zu Steuersenkungen kamen vom Landesrechnungshof.

Durch das Jahressteuergesetz von 1997 hatte der Bund die Grunderwerbsteuer von 2,0 auf 3,5 Prozent erhöht. Dieser galt bis 2006 für alle Bundesländer. Danach sorgte die Föderalismusreform dafür, dass diese selbst über deren Höhe entscheiden. In Bayern und Sachsen gelten nach wie vor 3,5 Prozent. Alle anderen Bundesländer haben ihre Grunderwerbsteuer zum Teil deutlich erhöht.

(Mit Material der dpa)



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