Traum von einer neuen Hanse
Stellen Sie sich bitte einmal gedanklich Folgendes vor: Der intelligenteste Mensch, der je gelebt hat, wäre derjenige, der ihr Land führt und Entscheidungen für ihre Zukunftsgestaltung trifft. Viele Menschen würden möglicherweise Vertrauen zu dieser Person haben und würden sich gut aufgehoben fühlen. Denn die Menschen gehen davon aus, dass andere Menschen die Probleme für sie auf Basis der erlebten Methoden lösen.
Ludwig von Mises formulierte einst den folgenden Satz: „Das Volk klagt über Inflation, aber es unterstützt begeistert politische Maßnahmen, die nur mit Inflation verwirklicht werden können.“ Mit Inflation ist die Ausweitung der Geldmenge durch neue Kredite gemeint. Seien es Energiepreisdeckel, „Corona-Hilfspakete“, „Entlastungspakete“ oder das sogenannte Sondervermögen für die Bundeswehr: Alle diese politischen Aktionen werden zu großen Teilen mit neuen Staatsschulden bezahlt und inflationieren den Euro – alles Maßnahmen, für die es offensichtlich Mehrheiten in der Bevölkerung gab.
Wenn ich in Gesprächen meine Sicht der Dinge zum Geldsystem darlege und die Menschen mir auch zustimmen, dann folgt sehr oft eine Art Schutzbehauptung. Es wird gesagt, dass die Politiker nicht alle Hintergründe verstehen könnten und es sich um Spezialwissen handeln würde.
Genau an dem Punkt kommen wir sehr schnell zu der Lösung. Es ist überhaupt nicht möglich, das komplette vorhandene Wissen bei einer Person (oder Personengruppe) anzusammeln. Der Ökonom Friedrich August von Hayek prägt in Bezug auf die Politik den Begriff der „Wissensanmaßung“. Wissen ist über die komplette Menschheit verteilt und erweitert sich permanent, und zwar recht dynamisch.
Keiner hat den kompletten Überblick
Es handelt sich zudem um Lernprozesse. Niemandem – auch keine kleine weise Machtelite – ist es möglich, sämtliche technologischen Fortschritte zu überblicken und diese im Hinblick auf die politischen Entscheidungen (mit Auswirkungen auf Unternehmer und Privatpersonen) zu berücksichtigen. Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen sind vorprogrammiert.
Wissen ist dezentral, und selbst der weiseste altruistischste Führer kann unmöglich alles wissen, um auf dieser Basis vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Darüber hinaus ist die Zukunft höchst ungewiss. Keine Einzelperson oder kleine Personengruppe ist in der Lage, sich dynamisch entwickelnde zukünftige Prozesse oder die Handlungen von Millionen oder gar Milliarden von Menschen zu antizipieren beziehungsweise einzuschätzen.
Der Handlungsdruck der Menschen steigt im Zuge der Krise, wodurch sich viele Einzelne schließlich zu Gemeinschaften zusammenschließen. Jede einzelne Person bringt seine Talente, Fähigkeiten und Erfahrungen ein. So kann es als kleine, dezentrale Gemeinschaft gelingen, die Krise besser zu meistern.
Die Bürgergenossenschaft Mittelsachsen ist eines von vielen Beispielen für eine solche Gemeinschaft. Man möchte sich nicht mehr auf die staatlichen Institutionen verlassen, sondern strebt das Ziel an, unabhängig zu sein.
Diese Gemeinschaften entstehen in vielen Regionen der Welt. Und sie entstehen durch freiwilliges Handeln und durch freiwillige Kooperation, nicht durch Zwang. Je größer die Krise ist, desto mehr Menschen werden ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen wollen. Es ist naheliegend, dass diese Menschengruppen aus den unterschiedlichen Regionen dieser Welt miteinander kooperieren und sich sinnvoll ergänzen.
In diesem Zusammenhang denke ich an das mögliche Entstehen einer neuen Hanse.
Warum war die frühere Hanse so erfolgreich?
Was machte die Hanse so besonders und was zeichnete sie aus? Weshalb sollte eine zeitgemäße Rückbesinnung ratsam sein?
An erster Stelle ist das Wertegerüst der Hanse zu nennen. Ehre und Glaubwürdigkeit waren die zentralen Werte der Hanse. Die hanseatische Kaufmannsehre ist vielen Menschen ein Begriff. Eigentlich sind das Selbstverständlichkeiten. Ehre und Glaubwürdigkeit implizieren auch die Haftung für das eigene Tun und Handeln.
Haftung ist im heutigen politischen Alltag kaum ein Thema. Auch im Bereich der großen multinationalen Konzerne dominiert der kurzfristige Profit den Entscheidungsprozess. Haftung spielt hauptsächlich im Bereich der dezentralen mittelständischen Unternehmen eine Rolle und weniger in zentralistisch organisierten Konzernen.
Der Begründer des Wiener Scholariums und Ökonom der österreichischen Schule der Nationalökonomie, Rahim Taghizadegan, veröffentlichte in „eigentümlich frei“ 226 einen ausgezeichneten und prägnanten Artikel zur Hanse. Er identifizierte zwei Elemente, die den über mehrere Jahrhunderte andauernden Erfolg der Hanse begründeten: dezentrale Strukturen und gutes, wertstabiles, konstantes Geld.
Zu Hochzeiten gehörten der Hanse 200 Städte an. Sie hatte keinen Herrscher, keinen Präsidenten und kein festes Budget. Es soll nicht einmal eine offizielle Mitgliederliste gegeben haben. Eine Verfassung gab sich die Hanse ebenfalls nicht. Der Zusammenschluss basierte rein auf vertraglicher und freiwilliger Basis. Man könnte sagen, dass die Anreizsysteme jener Zeit der Natur des Menschen zugewandt waren.
Die Städte standen untereinander im Wettbewerb und warben um die Kaufleute. Je mehr Freiheit und Privilegien die Städte den Händlern zugestehen vermochten, desto attraktiver war eben diese Stadt und desto mehr Zulauf hatte sie. Davon profitierte auch die jeweilige Stadt. Von oben verordnete Gesetze suchte man auf dem Gebiet der Hanse vergebens.
Kreditgeschäfte gab es nicht
Es galt das autonome Händlerrecht, genannt „Köre“ (Kür). Die Händler kombinierten ihre Verträge, indem sie auf Standards der jeweiligen Städte (Hamburg, Bremen, Einbeck und so weiter) aufsattelten. Mehrheitsentscheidungen oder Dekrete gab es im Bereich der Entscheidungsfindung nicht. Die Händler der Hanse fällten ihre Entscheidungen subsidiär nach einem Konsensverfahren. Mehrheitsentscheidungen waren ihnen offenbar nicht freiheitlich genug.
Im Gegensatz zu Mehrheitsentscheidungen gilt eine Entscheidung im Konsensverfahren erst dann als gebilligt, wenn keine Einwände mehr vorgetragen werden. Die Einwände einer Minderheit können im Zweifel sehr wertvoll sein und die Gesellschaft/Menschheit vor teuren und folgenreichen Fehlentscheidungen bewahren.
Hartes und wertstabiles Geld war für die hanseatischen Kaufleute unerlässlich. Im Fokus stand die für eine arbeitsteilige Welt so wichtige Kalkulationssicherheit, da alles andere auf Dauer die wirtschaftliche Existenz gefährdet. Interessanterweise trauten die Händler der Hanse den geprägten Münzen der Münzherren nicht. Sie wogen nach und beurteilten die Güte nach einem festen Silberstandard. Geldverschlechterung durch Münzverwässerung gab es im Einflussbereich der Hanse nicht. Eine Mark verfügte über ein fixes Feingewicht von acht Unzen Silber.
Die Händler der Hanse mieden zudem das Risiko. Kreditgeschäfte wurden nicht getätigt. Fehlspekulationen und Fehlinvestitionen konnten so, anders als heutzutage, keine exorbitanten Schäden anrichten. Kredite implizieren immer auch Konflikte. Derartigen Streitigkeiten ging man durch die eigenkapitalbasierten Geschäfte sehr weise und intelligent aus dem Weg – eine Herangehensweise, die heute eine Seltenheit ist.
Die Hanse hat sich nicht aufgelöst – was führte zu ihrem Ende?
Die Hanse wurde ein Opfer der schleichenden Zentralisierung und des kreditbasierten Wachstums, und zwar, ohne dass sich die Hanse jemals formal aufgelöst hätte.
Das Machtstreben Preußens bedeutete schrittweise das Ende der freien Städte und folglich auch das Ende der freien Hansestädte. Sukzessive verloren die Städte ihre Privilegien, ihre Freiheit und auch ihre Autonomie.
Rahim Taghizadegan führt das Ende der Hanse auf zwei wesentliche Punkte zurück. Erstens das Aufstreben der „Bankster“ und zweitens, wie schon herausgestellt, die Entwicklung der Nationalstaaten. Beide Punkte sind auch integral miteinander verbunden. Die Banken finanzierten die Kriege der emporkommenden Adelshäuser. Die Kriege beschleunigten den Machterweiterungsprozess und ermöglichten Zugriff auf Rohstoffe und Wirtschaftskraft.
Taghezadegan äußerte sich dazu folgendermaßen: Der destruktive Handel wurde wieder sehr profitabel. Die Rede ist von dem Handel und der Produktion von Rüstungsgütern. Wir sehen auch heute in der Ukraine, dass die Interessen der Waffenlobby natürlich ebenfalls eine Rolle spielen. Die Interessensvertreter der Rüstungsindustrie haben aufgrund des Fehlanreizes wenig Interesse an Frieden und diplomatischem Geschick. Damals wie heute werden die Waffen vornehmlich mit der Ausweitung der Staatsverschuldung bezahlt.
Bankhäuser finanzierten zu Zeiten der Hanse zudem die Zentralisierung der Wirtschaft und machten den eigenkapitalbasierten Kaufleuten der Hanse, analog zum heutigen Mittelstand, das Leben schwer. Mit den durch die Skaleneffekte entstandenen Kostenvorteilen der sich entwickelnden Industrieunternehmen konnten die Hansekaufleute ebenso wenig Schritt halten wie heutzutage weite Teile des unternehmerischen Mittelstandes.
Der Zentralisierung der Nationalstaaten ging sehr oft, wie auch in Deutschland 1871, die Zentralisierung des Geldes voraus. Von da an gab es die Deutsche Reichsbank. Auch der Euro ist als vorgeschaltetes geldpolitisches Element der Zentralisierung anzusehen. Historisch betrachtet, scheiterten sämtliche zentralplanerisch aufgesetzten Projekte.
Die lateinische Münzunion, die Kronenzone, die Rubelzone und auch die skandinavische Münzunion lösten sich jeweils nach einer überschaubaren Lebenszeit auf. Die Hamburger Mark Banco, eine Verrechnungseinheit aus der Zeit der Hanse, überdauerte einige Generationen und kann auf eine über 250-jährige Erfolgsgeschichte mit 100 Prozent Kaufkraftstabilität zurückblicken.
Der Euro existiert nun seit 1999 und startete mit einer Geldmenge von 4.666 Milliarden Euro. 24 Jahre später hat der Euro die Marke von 16.000 Milliarden Euro (Faktor 3,4) hinter sich gelassen. Die Mark Banco wurde um null Prozent verschlechtert. Kein Halter dieser Einheit wurde betrogen.
Der Euro des Jahres 2023 hat im Vergleich zum Euro 1999 rein quantitativ nur noch den Tauschwert von nicht einmal 30 Cent, was einer Geldverschlechterung von über 70 Prozent entspricht – eine verheerende Bilanz. Vermutlich ist es ein „Wunder der Täuschung“, dass die Menschen sich diesen Betrug, sprich Diebstahl gefallen lassen.
Renaissance der Hanse
Viele Menschen und auch kleine, mittelständische Unternehmen spüren die Auswirkungen der zentralistischen Politik. Die Geldverschlechterung ist im Tagesalltag angekommen. Sie erschwert die Wirtschaftsrechnung. Dieser Aspekt fällt besonders in der heutigen Zeit der filigranen Arbeitsteilung schwer ins Gewicht.
Darüber hinaus wird in allen Staaten Europas eine ähnliche Politik durchgeführt. EU-Recht ist mittlerweile höherrangig als das nationale Recht. Die Währungssouveränität wurde 1999 abgegeben. Der Wettbewerb der europäischen Staaten im Rahmen einer fragmentierten Struktur findet nicht mehr statt. Laborieren und vom Besten lernen, um im Rahmen eines wettbewerblichen Prozesses gemeinsam Fortschritt, Evolution und qualitatives Wachstum zu erzeugen, gehören der Vergangenheit an.
Im Zuge der Corona-Krise lief sogar nahezu die gesamte Welt im Gleichschritt: eine Niederlage für Wettbewerb, Fortschritt, Freiheit und Marktwirtschaft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist mittlerweile für die Zukunft und weitere Ereignisse dieser Art mit unglaublichen Machtbefugnissen ausgestattet. Die persönliche Souveränität ist auf dem Rückzug. Auch in Bezug auf die Klimapolitik ist ein „gemeinsames Handeln“ mit möglichst vielen Staaten das klar definierte Ziel der sogenannten Sonderinteressengruppen.
Die Menschheitsgeschichte ist von sich abwechselnden Zyklen geprägt. Nach der nun extrem zentralistischen Phase werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nonzentralistische Entwicklungen folgen. Die zentralistischen Konzepte sind stets geprägt von Zwang, Geboten, Verboten, Planwirtschaft, Androhung von Strafen und Gewalt. Die nonzentralen Strukturen sind, analog zur Hanse, zumeist von freiwilliger Kooperation und von ablehnbaren Angeboten gekennzeichnet.
Zentralisierung und Dezentralisierung
Zentralismus erscheint stets wie ein Kartell oder eine Oligarchie mit klaren monopolistischen Tendenzen, wenn er von einer Interessengruppe erzwungen wird. Daher benötigt Zentralismus physische Grenzen (Berliner Mauer) oder subtile Grenzen wie die Wegzugbesteuerung oder kartellartige Instrumente wie eine globale Mindeststeuer.
Non-Zentralismus ist kleinteilig, scheut den Wettbewerb nicht und wirbt mit positiven Anreizen (und nicht mit Druck, Gewalt oder Zwang) um Kunden und Bürger. Die Städte der Hansezeit dienen wunderbar als veranschaulichendes Beispiel.
Im Kleinen gehen freiheitlich gesinnte Menschen nun erste nonzentrale Schritte. Wichtig ist, dass die thematisierten Werte wieder auf die Agenda gehoben werden. Werte spielen auch eine größere Rolle, wenn man dezentral agiert, sich kennt und oft sieht. All das spricht für dezentrale Strukturen. Nicht zuletzt natürlich auch die 500-jährige Erfolgsgeschichte der Deutschen Hanse.
Die aktuelle Krise offenbart diese Erneuerungschance und würde die Menschheit weiterentwickeln. Das kritische Hinterfragen der Nationalstaaten hat bereits begonnen. Die Tatsache, dass Staatskritik von der Obrigkeit unter Strafe (siehe Artikel: „Renaissance eines DDR-Strafrechtsbegriffs“) gestellt werden kann, ist ein Indiz für zunehmende totalitäre Entwicklungen.
„Hanseatisches Konsensverfahren“
Zusammenfassend betrachtet, würde sich wohl jeder kleine und mittelständische Unternehmer die Freiheit der hanseatischen Kaufleute wünschen: tragfähiges haftungsbasiertes Wertegerüst, wenig bis gar keine Bürokratie, viel Autonomie, Freiheit durch freie Wahl der Standorte, Kalkulationssicherheit durch fixiertes und gedecktes Geld, keine Lobbyarbeit durch große Unternehmen, nonzentralistische Organisationsstruktur, keine durch Mehrheitsverhältnisse herbeigeführte Verträge zulasten Dritter (Konsensverfahren) und maximaler Wettbewerb.
Für mich stellt gerade aus handlungslogischer Sicht das „hanseatische Konsensverfahren“ eine erstrebenswerte Herangehensweise zur Entscheidungsfindung dar. Die Mehrheit kann brachial danebenliegen. Die Folgen für die Minderheit können extrem negativ ausfallen und viel menschliches Leid bringen. Gerade in Deutschland gibt es geschichtliche Beispiele (wie etwa die Zeit des Nationalsozialismus), die zu nennen wären.
Einige gedankliche Fragestellungen zum Schluss: Ergibt es Sinn, wenn viele Länder in Bezug auf die Vorgehensweise zur Lösung eines Problems die identische Strategie fahren? Wie kann man dann noch voneinander lernen? Wird bei einer Fehlentscheidung nicht der Schaden maximiert? Ziehen Sie freiwilliges Handeln, ablehnbare Angebote („Win-win-Situationen“) dem Zwang vor?
Über den Autor
Benjamin Mudlack ist gelernter Bankkaufmann und Diplom-Wirtschaftsinformatiker. Er ist Vorstandsmitglied der Atlas Initiative, Mitglied der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft und begleitet aktiv einige andere freiheitliche Projekte, wie zum Beispiel das Free Economic Forum und den YouTube-Kanal „Der ökonomische IQ“. Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite Freiheitsfunken.
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