Erhebliche Qualitätsprobleme bei der Deutschen Bahn: Wissing plant Generalsanierung zum „Gemeinwohl“
Die Deutsche Bahn hat seit Langem erhebliche Qualitätsprobleme. Vor allem auf der Schiene läuft es schon lange nicht mehr rund. Alleine im vergangenen Jahr meldete die Bahn 183.841 Störungen auf dem Gleisbett – das sind im Durchschnitt 500 Störungen am Tag. Dadurch entstehen immer wieder Verspätungen und die Kunden sind oft nur noch genervt, wenn es um Reisen mit dem Zug geht. Im Jahr 2022 war jeder dritte Fernverkehrszug mehr als sechs Minuten verspätet. Die hohe Zahl der Totalausfälle im Zugverkehr ist in dieser Statistik nicht hineingerechnet. Würde man die Verspätungsminuten addieren, dann käme man auf 390 Jahre. Im Güterverkehr erhielten die Kunden reihenweise Transportabsagen, weil Zug- und Gleiskapazitäten fehlten. Das „Handelsblatt“ sprach im November des letzten Jahres davon, dass alleine bei der Bahntochter DB Cargo mehr als 100 Güterzüge täglich ausfallen. Unternehmen verladen ihre Güter frustriert von der Bahn auf den Lastwagen.
Investitionen von 45 Milliarden Euro
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und die Deutsche Bahn möchte diese Probleme nun angehen. Bis 2030, so die Planung im Moment, sollen die Qualitätsmängel nur noch Geschichte sein. Ab 2024 sollen daher die 40 wichtigsten Gleisstrecken generalsaniert werden. Darüber hinaus hat der Bund bis 2027 Investitionen in Höhe von 45 Milliarden Euro zugesagt.
Dass Verkehrsminister Wissing die Bahn zur Chefsache erklärt hat, das hat Ursachen. Auch wenn das Schienennetz im Moment heruntergewirtschaftet und das Unternehmen Bahn hoch verschuldet ist, kommt der Schiene eine wichtige Rolle in den politischen Plänen der Verkehrswende zu. Von der Straße auf die Schiene, so die politische Vision in Berlin. Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen wie heute Zug fahren und die Wirtschaft ein Viertel des gesamten Warentransports mit der Bahn ans Ziel bringen. Nicht zuletzt muss der Verkehrsminister damit auch seine Klimaziele erreichen. Es muss also dringend etwas passieren.
„Gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft“ ab 2024
Schon im Koalitionsvertrag der Ampel haben SPD, Grüne und FDP die Gründung einer neuen „gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft“ ins Auge gefasst, die das Schienennetz, die Bahnhöfe und die vielen Werkstätten verwaltet. Dafür sollen nun ab Anfang nächsten Jahres die Bahntöchter DB Netz und DB Station & Service von der Deutschen Bahn ausgegliedert und in eine „gemeinwohlorientierte“ Gesellschaft mit dem Namen InfraGO eingegliedert werden.
Die neue Gesellschaft soll keinen Profit anstreben, anders als bisher unter dem Dach der Deutschen Bahn AG. Ob diese Maßnahme am Ende tatsächlich die Bahn wieder pünktlicher macht und das Streckennetz modernisiert, das wird von Experten bezweifelt. Nur „mehr Geld“ könne das Problem der Bahn nicht lösen. „Wir haben erhebliche Zweifel an der Lösungskompetenz von DB Netz“, sagte Ludolf Kerkeling, der Vorsitzende des Verbandes „Die Güterbahnen“ gegenüber der „Deutschen Verkehrszeitung“ (DVZ). Kerkeling fordert daher eine stärkere Unabhängigkeit bei der neuen Infrastrukturgesellschaft, mehr Transparenz und eine intensivere Beteiligung der Branche. „Es braucht eine Behörde, die losgelöst vom politischen Tagesgeschäft die Gesellschaft steuert“, sagte Kerkeling, der auch Mitglied des Vorstandes der Havelländische Eisenbahn ist.
Kerkeling kritisiert weiter, dass man seit 1990 immer wieder in Fünfjahresabständen aus dem Staatskonzern mit immer neuen Aktionsplänen höre, dass es in zehn Jahren besser werden würde. Bis heute sei es dazu allerdings nicht gekommen.
Viele Fragen vor Start der Gesellschaft offen
In knapp zweieinhalb Monaten möchte die InfraGo an den Start gehen. Die „gemeinwohlorientierte“ Aktiengesellschaft macht Experten allerdings Sorgen. So fand am 9. Oktober eine Anhörung im Verkehrsausschuss des Bundestages statt. Auch der Verein Allianz pro Schiene war damals als Experten geladen. Die Stellungnahme macht die Probleme deutlich. Es stelle sich die Frage, „ob die Vorgabe dieser Ziele der bei einem Wirtschaftsunternehmen typischen ‚Gewinnerzielungsabsicht‘ entgegensteht“, heißt es im Arbeitspapier des Bundestages.
Außerdem sei bis jetzt immer noch unklar, wer am Ende die „verkehrspolitische Steuerung“ der InfraGO übernehmen wird. Weiter weist die Allianz pro Schiene darauf hin, dass neben der ungeklärten Steuerung auch die Frage der Finanzierung in der Schwebe hänge.
Zuletzt berichtete das „Handelsblatt“ über eine Vereinbarung mit den Betriebsräten, die inzwischen durchgesickert ist: So sollen sämtliche Arbeitsverhältnisse für die kommenden drei Jahre in der jetzigen Form beibehalten werden. Mögliche Synergien, die man sich mit der Zusammenlegung erhofft hatte, sind damit zumindest für lange Zeit erst einmal ausgeschlossen.
Monopolist Bahn lässt kaum Wettbewerb zu
Gerade erst haben die Verbände Mofair und Die Güterbahnen den „8. Wettbewerber-Report Eisenbahnen“ veröffentlicht. Dort stellen beide Verbände noch mehr Forderungen im Zusammenhang mit der InfraGO auf. „Aus Sicht der Wettbewerber muss zum einen die finanzielle Entflechtung vervollkommnet werden“, heißt es dort. Die InfraGO brauche eine eigenständige Bilanz und dürfe anderen Konzerngesellschaften weder Kredite noch Informationsvorsprünge gewähren. „Das Cashpooling muss beendet werden“, heißt es weiter. Konkret: Die Ergebnisabführungs- und Beherrschungsverträge zwischen der Netzsparte und dem restlichen Konzern müssten gekündigt werden.
Die InfraGO spielt für den Wettbewerb auf der Schiene eine wichtige Rolle. Sie erhebt die sogenannten Netzentgelte, die alle Bahnunternehmen für die Benutzung der Schienen und der Bahnhöfe zahlen müssen. Mit den aktuell enorm hohen Preisen, so der Vorwurf der Wettbewerber, begünstigt die Deutsche Bahn im Moment ihren eigenen Zugverkehr. Der Kilometer im Schienenfernverkehr kostet auf einer üblichen Strecke durchschnittlich 13,52 Euro, ermittelte der „8. Wettbewerber-Report“. Denselben Kilometer auf einer vergleichbaren Strecke in einem vergleichbaren Zug bekommt man demnach in Spanien für 5,27 Euro, in der Schweiz für 4,22 Euro und in Österreich für 1,42 Euro.
„Die hohen Preise verhindern effektiv, dass andere Anbieter als der marktbeherrschende DB Fernverkehr sich in dieses Produktsegment vorwagen können“, kritisiert der Report. Denn die Kosten der DB Fernverkehr seien auf der anderen Seite Einnahmen der DB Netz. Hier gelte das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“.
Den Vorwurf hat in der Vergangenheit der Vorstand der Deutschen Bahn immer wieder von sich gewiesen. Trotzdem ist auffällig, dass – anders als im von den Verkehrsverbünden bestellten Nahverkehr – aktuell der Marktanteil der Bahn im Fernverkehr bei rund 96 Prozent liegt. Die Bahn hat also quasi eine Monopolstellung inne.
Die verbleibenden vier Prozent teilen sich drei Wettbewerber. Der größte von ihnen ist FlixTrain. Das Unternehmen aus München bedient das deutsche Schienennetz ab Dezember mit Linien zwischen Berlin und Aachen, von Hamburg geht es über Frankfurt nach Stuttgart und Basel, Berlin verbindet FlixTrain zudem mit Leipzig und Dresden.
Als zweiten Wettbewerber der Bahn gibt es die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Seit 2017 haben sie das Nachtzugangebot von der DB Fernverkehr AG übernommen. Für die Bahn, so die Begründung damals, rentierten sich die Nachtzüge nicht mehr.
Den Nachtzug zwischen Berlin und Stockholm betreibt außerdem das von US-amerikanischen Investoren gehaltene Privatunternehmen Railroad Development Corporation (RDC), das bis 2017 erfolglos auch eine Fernverbindung zwischen Köln und Hamburg (HKX) anbot.
Wettbewerb kann zu sinkenden Preisen führen
Der Verband Mofair, ein Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr, weist im „Handelsblatt“ darauf hin, dass mehr Wettbewerb zu sinkenden Fahrpreisen und einem verbesserten Angebot führen kann. „Das ist in Tschechien zu beobachten, wo der Konkurrent Regiojet gegen die Staatsbahn Ceske Drahy antritt“, sagt Verbandspräsident Martin Becker-Rethmann, „aber auch in Spanien auf der Strecke Madrid-Barcelona mit den hinzugekommenen Wettbewerbern SNCF und Trenitalia.“ Trenitalia trete inzwischen auch auf der Strecke Paris – Norditalien gegen den französischen Staatskonzern erfolgreich an, was auch dort zu Preissenkungen geführt habe.
Kritik an der Bahn kommt aber nicht nur im Bereich des Personenfernverkehrs. Auch die privaten Güterbahnen sehen mit Sorge auf die geplante Generalsanierung bis 2030. Sie befürchten erhebliche Betriebsstörungen.
Bei den Baumaßnahmen, die jeweils ein halbes Jahr auf den Gleisabschnitten zu einer kompletten Streckensperrung führen werden, sollen 750 Kilometer an Gleisen erneuert werden. „Das sind gerade einmal 1,3 Prozent des deutschen Schienennetzes“, so der Verbandschef von Die Güterbahnen, Kerkeling.
Bei den geplanten Vollsperrungen sind auf insgesamt drei Korridoren keine Umleitungsstrecken für den Güterverkehr vorgesehen. Betroffen sind die Verbindungen Passau – Regensburg, Hannover – Hamburg und München – Salzburg.
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