Unzufrieden mit Politik: Bürgermeister und Gemeinderat legen geschlossen ihre Ämter nieder
Bundesweit schlug der geschlossene Rücktritt in Freisbach (Rheinland-Pfalz) von Ortsbürgermeister und Gemeinderat hohe Wellen – prophezeit doch der Städte- und Gemeindebund dieses Bundeslandes, dass weitere Gemeinden mit ähnlichen Aktionen folgen könnten, wenn sich die Finanzsituation der Gemeinden nicht deutlich verbessere.
Ausschlaggebend im Fall der 1.200-Seelen-Gemeinde Freisbach war der Frust über die angespannte Finanzsituation. Das Land versagte der Gemeinde die Genehmigung des Finanzhaushaltes 2023/2024, weil die Ausgaben des Ortes die Einnahmen deutlich übersteigen.
Das Land forderte daher Freisbach auf, die Steuern anzuheben – was die Gemeindevertreter und der ehrenamtliche Ortsbürgermeister ablehnten.
„Ich kann den Bürgern, die dann doppelt zahlen, nicht erklären, warum ich die Kosten erhöhe, wenn sie keinerlei Vorteil davon haben“, meinte der 66-jährige Ortsbürgermeister Peter Gauweiler (parteilos).
Ein Großteil der Mehreinnahmen würden wieder an die Kreis- und Verbandsgemeinde wandern, erklärt er dem SWR. Er bedauere, dass die Kritik auf taube Ohren stoße, zitiert ihn „Welt“. Die Gemeinde müsse immer mehr Aufgaben erfüllen, bekomme aber keine Mittel, um sie zu bewältigen. „Wir werden ausgeblutet“, heißt es weiter.
Zu viel Geld werde für Aufgaben wie Wärmeplanung und Unterbringung von Migranten benötigt. Für klassische Lokalpolitik bleibe wenig übrig. Er hofft auf eine Signalwirkung. Denn so wie Freisbach gehe es vielen Orten im Land. „Wenn wir alleine bleiben, wird nichts passieren. Wenn aber andere diesen Schritt mitgehen, muss das Land reagieren“, so Gauweiler, der mehr als 20 Jahre Bürgermeister in Freisbach war, zum SWR.
Innenminister: Gemeinden müssen eigene Anstrengungen unternehmen
In dem Beitrag des SWR zeigt Gauweiler exemplarisch an zwei Beispielen, wie sich die fehlenden Finanzmittel in Freisbach auswirken: So würde durch die Duschen der örtlichen Sporthalle aufgrund des Befalls mit Legionellen seit anderthalb Jahren kein Wasser mehr fließen, da kein Geld für die Reparatur da sei. Auch an neuen Möbeln und einem Container für die Kita fehlt es. Bürgermeister und Gemeinderat sehen aufgrund der jetzigen Situation keine Perspektive mehr, irgendetwas mitzugestalten.
Konfrontiert mit dem Vorwurf aus Freisbach erklärt Landesinnenminister Ebling gegenüber dem SWR: Rheinland-Pfalz gebe in diesem Jahr bereits über 350 Millionen Euro mehr an die Gemeinden. Auch die müssten ihren Beitrag leisten. „Das Land muss mehr tun, aber auch die Gemeinden müssen eigene Anstrengungen unternehmen.“ Das könne auch bedeuten, dass man Realsteuersätze oder die Grundsteuer B anheben müsse, so der Innenminister im SWR-Interview.
Laut dem ehemaligen Bürgermeister Freisbachs Gauweiler würde man als Gemeinde jedoch, selbst wenn man die Grundsteuer bis zur Obergrenze anheben würde, die Finanzlücke bei Weitem nicht gefüllt bekommen. „Selbst, wenn wir alles zusperren würden und kein Licht mehr anknipsen, würden wir noch Schulden machen“, so Gauweiler.
Kostendruck mit Massenmigrationswelle 2015 gestiegen
Bereits seit Jahren – angefangen mit Beginn der Massenmigrationswelle 2015 – sehen sich aufgrund der Bundespolitik Länder, Städte und Gemeinden in Deutschland einem stetigen finanziellen Druck ausgesetzt, die Infrastruktur samt den öffentlichen Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Während der Corona-Krise flaute der Migrationsdruck ab, jedoch spitzte sich wegen der Corona-Maßnahmen samt den Lockdowns die Einnahmesituation aufgrund von geringeren Steuereinnahmen oder ausbleibenden Touristen weiter zu.
Schließlich verschärfte der Bund mit seiner Energie- und Klimapolitik die Situation weiter, wodurch die Energie- und Baukosten weiter steigen. Und mit der anstehenden Wärmeplanung steht schon die nächste finanzielle Herausforderung für die Gemeinden vor der Tür.
Aus Protest gegen die Landes- und Bundespolitik ziehen frustriert daher immer mehr Ehrenamtliche als auch Berufspolitiker die Reißleine und legen ihr Amt oder Parteibuch nieder. Denn die jetzigen finanziellen Herausforderungen kommen zu den in vielen Städten und Gemeinden bereits bestehenden Altschulden hinzu.
So trat aus Protest gegen die Landes- und Bundespolitik die Ludwigshafener (Rheinland-Pfalz) Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (60) nach über 25-jähriger SPD-Mitgliedschaft aus der Partei aus.
Besonders in der Bildungspolitik fühlt sich die ehemalige Landtagsabgeordnete und EU-Parlamentarierin durch die Landes- und Bundespolitik alleine gelassen. In Ludwigshafen wäre jüngst eine komplette Grundschulklasse mit 40 Kindern sitzen geblieben, viele konnten kaum ein Wort Deutsch, weiß die „Welt“ dazu zu berichten.
„Bei uns in den Kommunen wird harte Realität, was in Mainz und Berlin erdacht und beschlossen wird“, so die 60-Jährige zur „Rheinpfalz“. Man stelle sich in den Städten dieser Realität. „Aber wir müssen dafür endlich ausgestattet sein.“ Ihren Parteiaustritt will sie als „Weckruf an die SPD in Bund und Land“ verstehen, so die Bürgermeisterin der hoch verschuldeten Stadt Ludwigshafen.
Aktionsbündnis: Altschulden durch „nicht ausreichend gegenfinanzierte Gesetze“ entstanden
Laut dem Aktionsbündnis namens „Für die Würde unserer Städte“, dem mehr als fünf Dutzend Gemeinden angehören und das sich für eine angemessene Finanzlage der Gemeinden einsetzt, seien die hohen Altschulden durch „nicht ausreichend gegenfinanzierte Gesetze beim Aufbau des Sozialstaates verursacht“ und nicht durch die Gemeinden selbst. Eine Entschuldung durch Land und Bund sei daher in ihren Augen „überfällig“.
Immer mehr Ortsbürgermeister hätten die Rückmeldung gegeben, dass sie aufgrund dieser Umstände nicht mehr bereit seien, bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr für das Amt zur Verfügung zu stehen. Das meldete der Städte- und Gemeindebund Rheinland-Pfalz. Immer weniger Ehrenamtliche wollen offenkundig Freizeit und Energie opfern, um Ausführende und Handlanger einer Politik zu sein, die sie falsch finden oder an der sie nichts mitgestalten können.
Carsten Kühl vom Deutschen Institut für Urbanistik (DifU) spricht davon, dass fast alle deutschen Gemeinden seit Jahrzehnten ihre Haushalte nur konsolidieren können, indem sie auf eigentlich notwendige Investitionen verzichteten, berichtet die „Welt“.
Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Schwächen bei Infrastruktur und Leistung einer Gemeinde minderten ihre Attraktivität als Lebens- und Wirtschaftsstandort. Das wiederum drücke die kommunalen Steuereinnahmen.
Dadurch müssen die von Schulden Betroffenen Tilgung und Zinsen zahlen und fallen weiter zurück, während unverschuldete Städte und Gemeinden in die sogenannten Zukunftsthemen investieren können.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion