Verletzen Hartz-IV-Sanktionen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum?

Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob oder wann Sanktionen bei Hartz IV verfassungsmäßig sind oder wann sie das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimumm verletzten.
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Hartz IV.Foto: iStock
Epoch Times1. November 2019

Hartz-IV-Empfängern drohen unter bestimmten Voraussetzungen empfindliche Leistungskürzungen. Ob oder wann solche Sanktionen verfassungsgemäß sind, entscheidet am Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Im Kern geht es darum, ob die Regeln das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzen. Ein Überblick über die Hartz-IV-Sanktionen und damit verbundene rechtlichen Fragen:

WELCHE SANKTIONEN SIND BEI HARTZ-IV-LEISTUNGEN MÖGLICH?

Das Arbeitslosengeld II kann gekürzt werden, wenn Hartz-IV-Empfänger gegen bestimmte Pflichten verstoßen. Eine Kürzung von zehn Prozent des Regelsatzes droht etwa, wenn ein Termin beim Jobcenter nicht eingehalten wird. Wer eine als zumutbar eingestufte Arbeit ablehnt, muss mit 30 Prozent weniger Geld rechnen. Bei Wiederholung sind es schon 60 Prozent. Bei weiteren Verstößen kann das Arbeitslosengeld II sogar komplett wegfallen.

Die Kürzungen gelten in allen Fällen für jeweils drei Monate. Der Regelsatz beim Arbeitslosengeld II liegt momentan für Alleinstehende bei 424 Euro im Monat. Ein Paar bekommt 764 Euro. Bei Kindern erhöhen sich die Hartz-IV-Leistungen.

WIE OFT KOMMT ES ZU SANKTIONEN?

Im vergangenen Jahr sprachen die Jobcenter nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 904.000 Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger aus. Mehr als drei Viertel davon entfielen allerdings auf die niedrigste Sanktionsstufe von zehn Prozent Abzug, weil Termine ohne wichtigen Grund nicht eingehalten wurden. Im Jahr 2018 wurden insgesamt 441.000 Menschen Leistungen gekürzt, zum Teil mehrfach. Das waren weniger als zehn Prozent aller Hartz-IV-Empfänger.

Besonders häufig sind junge Menschen unter 25 Jahre von Sanktionen betroffen. Bei ihnen sieht das Gesetz zudem schon beim ersten Verstoß, der über einen versäumten Termin hinausgeht, eine komplette Streichung der Leistungen vor.

WIESO MUSS SICH DAS VERFASSUNGSGERICHT MIT DEN SANKTIONEN BEFASSEN?

Das Sozialgericht Gotha rief das höchste deutsche Gericht an, weil es die Regeln für verfassungswidrig hält. Hintergrund ist der Fall eines Arbeitslosen, dessen Leistungen unter anderem wegen der Ablehnung einer Stelle gekürzt wurden. Nach Ansicht der Thüringer Richter wurde das vom Grundgesetz garantierte Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vom Gesetzgeber durch die Höhe des Regelbedarfs festgelegt, was damit nicht unterschritten werde dürfe.

BESCHÄFTIGT SICH DAS VERFASSUNGSGERICHT ERSTMALS MIT HARTZ IV?

Nein, bereits 2010 erklärte das Gericht die damaligen Hartz-IV-Leistungen für verfassungswidrig. Die Vorschriften erfüllten nicht den „verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimus“, entschieden die Richter vor fast zehn Jahren. Sie gaben dem Gesetzgeber auf, die Sätze neu zu berechnen. Im Jahr 2014 stufte das Gericht die neuen Regelleistungen als „derzeit noch“ verfassungsgemäß ein.

WORÜBER ENTSCHEIDET KARLSRUHE JETZT?

Im Zentrum steht die Frage, ob das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum durch die Sanktionsregeln verletzt wird. „Erstmals stellt sich die Frage, was der Staat und damit auch die Gemeinschaft von Menschen fordern darf, bevor sie Sozialleistungen erhalten, und was er dann eventuell auch durch Sanktionen erzwingen darf“, fasste Gerichtsvizepräsident Stephan Harbarth die Kernfrage bei der mündlichen Verhandlung im Januar zusammen.

Das Verfahren findet seine Grenzen allerdings in dem Ausgangsfall aus Gotha. Laut Harbarth geht es deshalb auch nicht um das Versäumen von Meldepflichten, die Sanktionen gegen unter 25-Jährige und auch nicht um die Höhe der derzeit geltenden Regelsätze.

Dass ungeachtet dieser Einschränkungen das Hartz-IV-System mit seinem prägenden Slogan „Fördern und Fordern“ auf dem Prüfstand steht, zeigte die mündliche Verhandlung ebenfalls. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verteidigte damals in Karlsruhe die Grundprinzipien der Reformen: Er halte die Grundsatzentscheidung für eine „aktivierende Arbeitsmarktpolitik“ nach wie vor für richtig. Am Dienstag wird sich zeigen, ob die Sanktionsregeln in diesem System auch verfassungsgemäß sind. (afp)



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