Wagenknecht will AfD-Wählern „seriöses Angebot“ machen
Die Politikerin Sahra Wagenknecht zielt mit ihrer geplanten neuen Partei auch auf bisherige Wähler der AfD. „Natürlich gibt es ganz viele Menschen, die wählen die AfD, nicht weil sie rechts sind, sondern weil sie wütend sind, weil sie verzweifelt sind“, sagte die bisherige Linken-Politikerin gestern Abend im ZDF-„heute journal“.
Auch das sei ein Grund, warum sie und ihre Mitstreiter mit dem neuen Projekt an den Start gehen. Viele Menschen seien wütend über die Regierungspolitik und wüssten nicht, was sie wählen sollen. „Viele haben daraus den Schluss gezogen, okay, wenn jetzt erstmal nichts anderes da ist, wählen wir AfD. Wir wollen diesen Menschen ein seriöses Angebot geben“, sagte Wagenknecht.
Die scheidende Linksfraktionschefin und Vorsitzende des Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht“, Amira Mohamed Ali, schloss jedoch eine Aufnahme von AfD-Politikern in die geplante Partei aus. Auf die Frage, ob Politiker, die aktuell bei der AfD sind, eine Möglichkeit wären, das nötige Personal zu gewinnen, sagte sie im Sender Welt: „Nein, um Gottes Willen, also das ist unvorstellbar, ein Wechsel von der AfD jetzt in unsere Partei, das wird es nicht geben, das werden wir auch nicht erlauben.“
„Seriöse Adresse“ mit Konzepten und Antworten
Wagenknecht räumte in den ARD-„Tagesthemen“ ein, dass die AfD es geschafft habe, die Adresse der Unzufriedenheit zu sein. Deren Wähler sollten eine „seriöse Adresse“ bekommen, die nicht nur Protest artikuliere, sondern auch Konzepte und Antworten habe sowie die soziale Gerechtigkeit auf die Agenda setze. „Das tut die AfD ja tatsächlich nicht“, betonte Wagenknecht.
Die 54-Jährige hatte gestern mit mehreren Mitstreitern das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ vorgestellt. Der Verein soll 2024 in die Gründung einer neuen Partei münden. Wagenknecht war zuvor mit neun weiteren bisherigen Abgeordneten der Linken aus der Partei ausgetreten. Die 38-köpfige Linksfraktion im Bundestag steht damit vor ihrer Auflösung, sie könnte nur als Gruppe mit weniger Rechten weitermachen. Die Forderung der Parteispitze, die Mandate zurückzugeben und Nachrücker zum Zuge kommen zu lassen, lehnte Wagenknecht mit dem Hinweis ab, dass sie ihr Mandat über die Linke auch aufgrund ihrer Person errungen habe.
Mohamed Ali wies die Forderung der Linken-Spitze zurück. „Unser Grundgesetz sieht vor, dass das Mandat frei ist“, sagte die bisherige Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Deutschlandfunk. „Die Abgeordneten sind ihrem Gewissen verpflichtet. Man ist nicht der Partei verpflichtet.“
Wagenknecht setzt auf Trennung mit Anstand
Fraktionsvize Gesine Lötzsch wertete den Parteiaustritt der zehn Abgeordneten als „schweren Schlag für die Linke“. „Aber die Linke ist schon häufiger totgesagt worden. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, die Linke wieder zu stärken“, sagte Lötzsch dem TV-Sender Phoenix. Lötzsch, die eines von drei Direktmandaten der Linken neben Gregor Gysi und Sören Pellmann errungen hatte, zeigte sich zuversichtlich, dass es parlamentarisch zu Übereinstimmungen mit der neuen Gruppierung um Wagenknecht kommt. „Ich gehe davon aus, dass es Punkte geben wird, wo man, was soziale Gerechtigkeit betrifft, ähnliche Vorstellungen hat – und dann muss man auch zusammenarbeiten.“
Wagenknecht warb ihrerseits für einen geordneten Übergang. „Wir sollten jetzt diese Trennung auch mit Anstand machen und uns da nicht mit Dreck bewerfen“, sagte sie im ZDF. In der ARD machte sie noch einmal die Beweggründe für ihr Projekt deutlich. „Es gibt eine unglaubliche Repräsentationslücke“, sagte sie. „Wir dürfen einfach so wie bisher nicht weitermachen. Sonst steigt unser Land ab. Sonst wird es in vielleicht zehn Jahren nicht wiederzuerkennen sein“, warnte sie. Deshalb brauche es in Deutschland einen politischen Neuanfang.
„Es gab weniger Ungleichheit, mehr Sicherheit“
Im Magazin „Stern“ erklärte Wagenknecht ferner, dass aus ihrer Sicht „in der alten Bundesrepublik bestimmte Dinge besser geregelt waren“. „Die Jagd nach Profit war sozial gebändigt. Wer sich anstrengte, konnte zu Wohlstand kommen. Kindern ging es in der Regel besser als ihren Eltern. Kein Kassenpatient musste monatelang auf einen Facharzttermin warten. Den Wohnungsmarkt dominierten gemeinnützige Anbieter. Es gab weniger Ungleichheit, mehr Sicherheit“, bilanzierte Wagenknecht. Auch habe es Menschen mit niedrigen Einkommen gegeben, „aber nicht dieses extreme Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich“.
Zugleich betonte sie: „Natürlich will ich nicht zurück in eine Zeit, in der Homosexuelle sich verstecken mussten.“ Auch die Emanzipation der Frau, die Ehe für alle, eine Sensibilisierung für Rassismus seien „Fortschritte“. (dpa/dl)
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