Kiels umstrittene Partnerschaft mit Qingdao: Was hat Peking diesmal vor?

Mit Kiel verbinden die meisten die "Kieler Woche". Dass in der Stadt Militär-U-Boote gebaut werden, daran denkt man erst im zweiten Schritt.
Titelbild
Bau eines Militär-U-Boots von ThyssenKrupp im Jahr 2016 in Kiel, Deutschland.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 15. Mai 2023


Pekings Machtstreben in Deutschland zieht weite Kreise. Kiels Pläne, ihre Partnerschaft mit der chinesischen Hafenstadt Qingdao auszubauen, hat bundesweit Sicherheitsexperten und Politiker alarmiert. Die beiden Städte arbeiten bereits seit mehr als zehn Jahren freundschaftlich im Bereich des Segelsports zusammen. Die norddeutsche Hafenstadt half Qingdao im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 beim Aufbau einer Segelszene und einer jährlichen „Segelwoche“ nach Kieler Vorbild. Die ehemalige deutsche Kolonie ist stolz darauf.

Doch nun scheint es um mehr zu gehen. Bedenken hinsichtlich der Zusammenarbeit sind nicht unbegründet. Denn Kiel beherbergt einen Großteil der deutschen Ostseeflotte. Dazu gehören Forschungseinrichtungen und große Schiffswerften, die aktuell sechs brandneue, hochmoderne U-Boote bauen. Qingdao ist quasi Kiels chinesisches Pendant. Die Millionenmetropole beherbergt Chinas Nordseeflotte, eine Meeresforschungsakademie und Chinas wichtigste U-Boot-Schule, die sich auf die U-Boot-Jagd spezialisiert hat. Nur ein Zufall?

Warnungen vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik

Professor Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel warnte erst kürzlich vor den Plänen. „Wir schätzen die Gefahr hier am Institut sehr groß ein, weil China eine lange Tradition des Missbrauchs von Städtepartnerschaften und auch wissenschaftlichen Kontakten hat, um Informationen abzufischen“, sagte er gegenüber „NDR“. Er ist sicher, Chinas Führung gehe es vor allem um Wissen aus dem Bereich U-Boot-Technik und Unterwasserkriegsführung.

Deshalb forderte das Institut für Sicherheitspolitik die Stadt auf, die Anfrage aus Qingdao neu zu bewerten. Die Förderung des Segelsports hält Institutsleiter Krause für ein vorgeschobenes Argument. „In der Hauptsache geht es den Chinesen um die wissenschaftlichen Kontakte. Da steht insbesondere das Forschungsinstitut GEOMAR im Mittelpunkt.“ Viele Inhalte aus der zivilen Forschung des GEOMAR ließen sich militärisch verwenden.

Die Ratsversammlung der Stadt Kiel stimmte einer engeren Zusammenarbeit im März bereits zu. Der Wunsch nach einer offiziellen Städtepartnerschaft sei aus China an die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt herangetragen worden. Der Wunsch war es, die Freundschaft „auf eine höhere Ebene zu bringen“, teilte die Stadt Kiel im März mit. Nach dem vermehrten Gegenwind will die Ratsversammlung an diesem Donnerstag darüber beraten, ein Gremium einzusetzen, das die Zusammenarbeit neu bewertet oder vielleicht sogar ganz stoppt.

Sinologe hält Deutschland für zu „naiv“

Sinologe Finn Mayer-Kuckuk riet ebenfalls zur Vorsicht. „China arbeitet unglaublich zweckorientiert.“ Aus seiner Sicht sollten Militärstandorte nicht Teil einer Städtepartnerschaft sein. „Wenn das Hauptinteresse der chinesischen Seite auf der U-Boot-Basis und dem Wissenschaftsinstitut Geomar liegt, dann müssten die Alarmglocken schrillen und entsprechend die Notbremse gezogen werden“, sagte er gegenüber „NDR“. Vor allem sei das angesichts des Taiwan-Konflikts nicht auszuschließen. Gegen Schüleraustausch und Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Theater oder Sport habe er hingegen nichts einzuwenden.

Allerdings warnte er vor „Naivität“ im Umgang mit der Kommunistischen Partei Chinas. „In China ist alles dem Parteistaat untergeordnet, auch die Stadt Qingdao etwa ist letztlich ein Organ der Kommunistischen Partei in Peking. Das Sagen hat nicht der Bürgermeister, sondern der Parteisekretär von Qingdao. Dieses Bewusstsein dafür, wer eigentlich meine Gesprächspartner auf der anderen Seite sind und was sie wollen, das fehlt häufig“. Den Deutschen sei in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht auch ein wenig das Gespür dafür verloren gegangen, dass es Geheimdienstaktivitäten und Spionage gebe.

Kiels Stadtpräsident befürwortet Partnerschaft trotz Risiken

Kiels Stadtpräsident Hans-Werner Tovar (SPD) räumte zwar offiziell die Gefahr einer Werksspionage ein, will sich aber von seinem Vorhaben nicht abbringen lassen. „Ich weiß auch, dass sich im militärischen Bereich die Experten darüber unterhalten, dass solche Städtepartnerschaften auch ein militärisches Gefahrenpotenzial mit sich bringen könnten.“ Dennoch glaube er nicht, dass dies bei einer Städtepartnerschaft tatsächlich im Vordergrund stehe.

Stattdessen verweist der 74-Jährige, der Anfang nächsten Monats in den Ruhestand geht, auf Partnerschaften mit Gdynia in Polen und Stralsund in der ehemaligen DDR, die in den späten 1980er-Jahren vor dem Fall des Kommunismus aufgebaut wurden. „Kommunale Außenpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass man versucht, Barrieren abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen“, sagte er. „Wenn die Chinesen spionieren wollen, brauchen sie dafür definitiv keine Städtepartnerschaft.“

Der Hafen in Kiel „brummt“

Das sieht das Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel anders. „Der Zugang zu sensiblen Einrichtungen hängt oft von lokalen Kontakten ab“, sagte Sicherheitsexpertin Dr. Sarah Kirchberger, die den Alarm mit ausgelöst hatte. „Nicht alles kann über Cyberspionage in Erfahrung gebracht werden.“ Kiel sei jetzt ein besonders reifes Ziel, warnen sie und ihre Kollegen. Seit der Zusage von Bundeskanzler Scholz, 100 Milliarden Euro in den deutschen Verteidigungshaushalt zu stecken, würde der Hafen „brummen“.

ThyssenKrupp Marine Systems, einer der größten deutschen U-Boot-Bauer, leite zurzeit ein Joint Venture mit Norwegen zum Bau von sechs neuen U-Booten. Hinter verschlossenen Türen geben Manager des Schiffbauunternehmens, das 3.500 Mitarbeiter in Kiel beschäftigt, zu, dass sie angesichts der aktuellen Entwicklungen besorgt seien, wie „New York Times“ berichtet.

Kurswandel

Der jüngste Fall in Kiel deutet einen beginnenden Kurswandel im Umgang mit China an, insbesondere seit Russlands Einmarsch in der Ukraine und Pekings Unterstützung für Moskau. Während unter Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel die wirtschaftliche Zusammenarbeit in China immer im Vordergrund stand, geriet Bundeskanzler Olaf Scholz bereits wegen Sicherheitsbedenken anlässlich des Hamburger Hafendeals mit China in die Kritik. Bei dem Deal erwarb das chinesische Regime Anteile an dem modernsten Hafenterminal in Europa – sogenannter systemkritischer Infrastruktur. Neben wirtschaftlichen Interessen rücken nun auch Sicherheitsinteressen in den Fokus.

Beim Treffen mit Chinas Außenminister Qin Gang in Berlin gab sich Annalena Baerbock letzten Dienstag, 9. Mai, hingegen kämpferisch. Sie sagte, dass China mehr tun könne, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. „China kann als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle bei der Beendigung des Krieges spielen, wenn es sich dafür entscheidet“, so die Außenministerin. Bei ihrem Besuch in Peking im vergangenen Monat hatte sie China bereits vor einer militärischen Eskalation in Taiwan gewarnt.

CDU als einzige Partei gegen die Städtepartnerschaft

Wie es jetzt mit der Städtepartnerschaft weitergeht, wird sich zeigen. Die SPD, Grünen und Linken in der Ratsversammlung sind jedenfalls dafür. Nur die CDU stellt sich gegen die Pläne. Junge-Union-Politikerin Antonia Grage, 30, die für die kommenden Wahlen als Stadträtin kandidiert, sprach sich gegen die Partnerschaft aus. Die Liste kritischer Punkte sei lang. „Städtepartnerschaften wie mit Brest in Frankreich und San Francisco in den USA bauen auf einem gemeinsamen Wertefundament auf“, sagte Grage laut den „Kieler Nachrichten“. Beim kommunistischen China sei das mitnichten der Fall. „Es ist ein Unterschied, ob die Stadt wirtschaftliche Beziehungen aufrechterhält und im Gespräch bleibt oder das totalitäre System Chinas mit einer Städtepartnerschaft belohnt.“



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