„Welt“: Allein der Verdacht hat „verheerende Wirkung“ – Rückschlag für die Corona-Politik

Die Vorwürfe gegen CSU-MdB Georg Nüßlein, er habe Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen zur Bestellung von Masken durch Ministerien genommen und nicht versteuert, beschäftigt auch Kommentatoren. Sie sehen das Vertrauen in die Corona-Politik gefährdet.
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Eine Mitarbeiterin stapelt Gesichtsmasken der Kategorie FFP2 vor der Verpackung im Werk von Moldex-Metric, einem deutschen Hersteller von Arbeitsschutzkleidung, in Walddorfhäslach, Süddeutschland, am 20. Januar 2021. Symbolbild.Foto: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images
Von 26. Februar 2021

Hat ein Bundestagsabgeordneter der CSU den massiven Engpass bei Schutzkleidung gegen Corona in der Anfangsphase der Pandemie ausgenutzt, um gegen Provision lukrative öffentliche Aufträge für Masken zu vermitteln?

Für die Generalstaatsanwaltschaft München reichten die Verdachtsmomente aus, um am Donnerstagmorgen (25.2.) insgesamt 13 Objekte in Deutschland und Liechtenstein durchsuchen zu lassen – unter anderem auch die Privatwohnung von MdB Georg Nüßlein nahe Günzburg.

Hersteller von Masken an mehrere Ministerien empfohlen?

Gleich bei drei Ministerien soll sich der Wahlkreisabgeordnete von Neu-Ulm, der auch CDU/CSU-Fraktionsvize ist, für Aufträge an ein Textilunternehmen aus der Nähe von Offenbach verwendet und dafür insgesamt 660.000 Euro an Beraterhonorar über die „Tectum Holding“ eingenommen haben, an der er eigenen Angaben zufolge beteiligt ist.

Dieses soll er, so der „Spiegel“, anschließend jedoch nicht in der Umsatzvoranmeldung vermerkt haben. Nicht der Maskenhersteller selbst, sondern ein Zwischenhändler solle das Geld bezahlt haben.

Bei seinen Empfehlungshandlungen soll er explizit und wiederholt seine Autorität als Bundestagsabgeordneter ins Treffen geführt haben. Nun wird gegen ihn wegen des Verdachts der Abgeordnetenbestechlichkeit und Steuerhinterziehung ermittelt. Gegenüber der „Tagesschau“ bezeichnete Nüßlein die Vorwürfe als „haltlos“.

„Verheerende Wirkung“

Für MdB Nüßlein gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch haben sich mehrere Medien kritisch mit der Optik auseinandergesetzt, die der Sachverhalt vermittelt. Lucas Wiegelmann befürchtet in der „Welt“ eine „verheerende Wirkung“, die von dem Verdacht ausgehen könnte – und die in einer Zeit bröckelnder Unterstützung für die Corona-Politik der Bundesregierung zusätzlichen Schaden anrichten könnte.

Unabhängig davon, ob die Vorwürfe sich bewahrheiteten, sei die Nachricht, dass ein führender deutscher Politiker Vorteile aus der Corona-Pandemie ziehe, seine Büros durchsucht wurden und der Bundestag seine Immunität aufgehoben habe, ein „schwerer Rückschlag im gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die Pandemie, dessen Wucht noch gar nicht absehbar ist“.

Nüßlein und die CSU müssen „Vorwürfe zeitnah entkräften“

Die wichtigste Ressource im Kampf gegen ein unsichtbares Virus sei das Vertrauen der Bürger, dass diese von der Wirksamkeit angeordneter Maßnahmen überzeugt sind – und ebenso von der Integrität der handelnden Personen wie Wissenschaftlern, aber auch politischen Entscheidungsträgern.

„Dieses Vertrauen beginnt seit Längerem zu bröckeln“, diagnostiziert Wiegelmann. „Managementfehler bei der Impfkampagne und die verwirrende Kommunikation der Regierung über immer neue Zielmarken bei der Inzidenz haben Zweifel gesät. Erste Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zu den seit Monaten andauernden Alltagsbeschränkungen zurückgeht. Die Stimmung, sie kippt.“

Allein schon der Verdacht persönlichen Eigennutzes, der nun gegen Nüßlein bestehe, eigne sich, um die Autorität der gesamten deutschen Corona-Politik zu unterminieren. Für den Abgeordneten selbst und die CSU könne es jetzt nur noch um ein möglichst zeitnahes und glaubwürdiges Entkräften der Vorwürfe gehen.

Paragraf über Abgeordnetenbestechung weit gefasst

Ähnlich äußert sich Gregor Peter Schmitz in der „Augsburger Allgemeinen“. Er schreibt, es dürfe „nicht der Eindruck entstehen, dass die einen unter der Corona-Pandemie leiden und die anderen sich bereichern“.

Zwar betont auch er die Unschuldsvermutung und wies darauf hin, dass die Bestimmung über Abgeordnetenbestechung so vage gefasst sei, dass der Ausgang der Ermittlungen noch nicht abzusehen sei.

Dennoch müsse sich Nüßlein bewusst sein, das Vertrauen in der Corona-Krise zu erhalten, da diese „für viele Bürger existenzbedrohlich ist und ihnen die Einhaltung vieler Regeln abverlangt“.

Der Politiker müsse die Vorwürfe so umfassend aufklären, dass „nicht einmal der Hauch eines Verdachts hängen“ bleibe, dass „ein Volksvertreter bei der Beschaffung von lebensrettenden Masken zuerst an seine eigene Geldbörse denkt (und gleichzeitig offenbar gar nicht an die Steuer)“.

Geht es auch um persönliche Vorteile?

Der Publizist Boris Reitschuster sieht in der Affäre Nüßlein auch ein Problem für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dessen Ministerium habe von dem hessischen Unternehmen, für das Nüßlein geworben habe, „Atemschutzmasken in nicht unerheblicher Menge“ bestellt.

Das ohnehin bröckelnde Vertrauen in die Corona-Politik der Regierung werde unter den Vorwürfen zusätzlich leiden:

Wenn sich ein führender Politiker einer Regierungspartei schamlos bereichert, während die Politik seiner Regierung Millionen Menschen in größte Schwierigkeiten bringt und Hunderttausende in Existenzsorgen, ist das ein fatales Signal. Allein schon der Verdacht, dass es bei der Corona-Politik auch um persönliche Vorteile geht, ist ungeheuerlich.“

Nüßlein kein Lockdown-Hardliner

Nüßlein gehört nicht unbedingt zu den Hardlinern in der Lockdown-Politik. In einem Interview mit der „Welt“ mahnte der CSU-Politiker jüngst eine Lockerungsstrategie an. Ein Lockdown bis Ostern müsse verhindert werden – durch gezieltere Maßnahmen und alternative Strategien statt pauschaler Schließungen.

Darüber hinaus begrüßte Nüßlein eine künftige Befristung der Feststellung einer epidemischen Lage durch den Bundestag auf höchstens drei Monate als ein „klares Signal, dass die epidemische Lage kein Dauerzustand ist“.



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