Wem gehören die menschlichen DNA-Daten?

Aus der Strafverfolgung kommen beunruhigende Nachrichten. Eine neue Kriminaltechnik nutzt in den USA die DNA-Daten aus Datenbanken der Ahnenforschung, um Verbrechern auf die Spur zu kommen.
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Eine DNA-Analyse bei US-amerikanischen Ahnenforschern kostete Anfang Juli 2021 bei dem Konzern Ancestry 69 US-Dollar.Foto: iStock
Von 25. Juli 2021

Es ist einfach und verlockend: Man schickt eine Spuckprobe oder einen Wangenabstrich an einen Konzern in den USA. Nach einigen Wochen erfährt man, ob man aus Norwegen stammt oder ein uneheliches Kind eines Popstars ist. Oder das Geschwisterkind eines Schwerverbrechers.

Über 26 Millionen Menschen haben bis Anfang 2019 ihre Daten in die vier größten kommerziellen Abstammungsdatenbanken eingegeben, schätzt Antonio Regalado vom „MIT Technology Review“. Diese privat geführten Unternehmen verfügen über einige der weltweit größten Sammlungen menschlicher DNA.

Spuckproben können als „moderner Fingerabdruck“ nicht nur verraten, ob man COVID-19 oder eine andere Krankheit hat. Wer seine DNA zur Verfügung stellt, wird potenziell zu einem „genetischen Informanten für den Rest seiner Familie“, warnte Rechtsprofessorin Elizabeth Joh bereits im Jahr 2018. Ahnenforschung, auch Genealogie genannt, wird durch Konzerne wie Ancestry (Utah) und 23andMe (Kalifornien) in Deutschland aktiv beworben und boomt.

Auch wenn man seine eigene DNA nicht eingereicht hat: Mittlerweile sind mehr als 60 Prozent der Amerikaner (inklusive ihrer europäischen Vorfahren) mit Hilfe von DNA-Datenbanken identifizierbar. Das ergaben Untersuchungen, die in der Zeitschrift „Science“ und später bei „NBCNews“ veröffentlicht wurden. Ein einziges Genealogie-Profil könne dabei bis zu 300 anderen Personen führen, so die Juristin Natalie Ram.

Wie hoch die Anzahl der Datensätze in der staatlichen China National GeneBank ist, ist unbekannt, wobei die Genom-Daten explizit zu forensischen Zwecken erhoben werden. „Sie sollen gemeinsam mit der Überwachung von Bewegungsdaten und Gesichtserkennung im öffentlichen Raum angeblich der Verbrechensbekämpfung dienen. Besonders im Fokus stehen genetische Besonderheiten von Tibetern oder muslimischen Minderheiten wie Uiguren, Kasachen und Hui“, schreibt die „Süddeutsche“ im August 2020.

Zwei Stunden für ein DNA-Profil

Die Debatte über die genetische Privatsphäre steht in Deutschland erst am Anfang. Dabei können DNA-Profile mittlerweile mit Rapid-DNA-Maschinen, die etwa so groß wie ein Drucker sind, in weniger als zwei Stunden erstellt werden.

Unternehmen, Versicherungen, Hacker, Polizei – die Möglichkeiten, aus den biologischen Daten eines Menschen Profit zu schlagen, sind endlos: Von optimierter Ernährung und individuellen Medikamenten, maßgeschneiderten Versicherungspolicen bis hin zu einem Familiendiagramm, das auch aussagen kann, ob man dazu neigt, Befehle zu befolgen oder einen eigenen Weg zu gehen.

Zudem sind DNA-Beweise nicht unfehlbar, denn Tatorte können bei genügend krimineller Energie mit fremder DNA manipuliert werden. Darauf weist John W. Whitehead, Verfassungsrechtler und Gründer des Rutherford-Instituts hin.

Das deutsche Gendiagnostikgesetz

Die Rechtslage hinsichtlich DNA-Tests ist von Land zu Land unterschiedlich. In Deutschland ist der Umgang durch das Gendiagnostikgesetz geregelt. Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2009 – lange bevor es frei verfügbare DNA-Tests gab.

Ein deutscher Experte auf diesem Gebiet ist Dr. Thilo Weichert. Wir fragten den mit der Materie gut vertrauten Datenschutz-Experten und früheren Datenschutzbeauftragten von Schleswig-Holstein nach der aktuellen Lage.

ET: Wem gehören die menschlichen DNA-Daten? Wem gehört das Genom? Der jeweiligen Person? Der Gesellschaft? Forschern? Der Polizei? Dem Staat?

Dr. Thilo Weichert: Bei DNA-Daten kann nicht von ‚Eigentum‘ gesprochen werden. Rechtlich wird von Erhebungs-, Verarbeitungs- und Nutzungsbefugnis beziehungsweise -verbot gesprochen. Grundsätzlich liegt das Bestimmungsrecht hierüber bei der betroffenen Person, also dem Probengeber. Da damit aber zugleich auch Aussagen über biologische Verwandte möglich sind, ist selbst dieses Recht eingeschränkt.

Es gibt ein ‚Recht auf Nichtwissen‘, das sich insbesondere auf genetische Dispositionen zu nicht heilbaren Krankheiten bezieht, aber auch darüber hinausgehen kann.

Dann gibt es für Ärzte und forschende Einrichtungen eigene Nutzungsbefugnisse, die aber (derzeit) regelmäßig von einer wirksamen Einwilligung des Probengebers abhängig sind.

Erfolgt eine DNA-Analyse im Rahmen einer Untersuchung beziehungsweise Behandlung, so geht mit der Zustimmung zur Behandlung die zweckgebundene Nutzungsbefugnis einher.

PCR-Tests, DNA-Test und Datensammlungen

ET: Mit den PCR-Tests erfolgen ja in gewissem Sinne massenhaft DNA-Tests. Manche Menschen befürchten, dass die Daten in DNA-Datenbanken einfließen. Wie groß ist denn die Gefahr einer derartigen Sammlung?

Weichert: Der PCR-Test analysiert die DNA des Virus, nicht die DNA des eventuell infizierten Menschen. Natürlich lässt sich aus dem Speichel des PCR-Tests auch eine DNA-Probe des Menschen extrahieren und analysieren. Das wäre aber ohne eine explizite Einwilligung nicht zulässig.

ET: Wer hat Zugriff auf die DNA-Daten aus den PCR-Tests? Kann ausgeschlossen werden, dass diese für einen anderen Zweck als die SARS-CoV-2-Analyse benutzt werden (beispielsweise für die Ahnenforschung)?

Weichert: Die DNA-Daten des PCR-Tests sind personenbezogene Gesundheitsdaten des Betroffenen mit einer Aussagekraft über Infektion und Infektionstypus (und nicht mehr). Diese Angaben dürfen von den Gesundheitsämtern gemäß dem Infektionsschutzgesetz zur Bekämpfung der Pandemie genutzt werden. Dabei geht es um die Kontaktverfolgung, natürlich die Behandlung und Betreuung und letztlich (aggregiert) um die Erforschung des Infektionsgeschehens, was alles durch das Infektionsschutzgesetz abgedeckt ist.

ET: Wenn man mit dem deutschen genomDE-Projekt ohnehin über medizinische Gendatenbanken verfügt, wäre es dann nicht nützlich, diese Datenbank auch für forensische Zwecke zu nutzen? Was steht dem entgegen?

Weichert: Nicht alles, was kurzfristig nützlich für eine konkrete Strafverfolgung ist, ist langfristig nützlich für alle: Gendaten werden von Betroffenen oft nur bereitgestellt, wenn sie Vertrauen in eine zweckgebundene Nutzung haben.

Würden Daten, die für Forschungszwecke erhoben wurden, für Strafverfolgungszwecke oder weitere Zwecke genutzt werden, dann würden sich sicher viele Menschen nicht mehr bereit erklären, ihr Material zur Verfügung zu stellen – weil sie mit guten Gründen befürchten müssten, auch wenn sie selbst unschuldig sind, eventuell über solche DNA-Analysen in strafrechtliche Ermittlungen oder Ähnliches hineingezogen zu werden.

Greift die deutsche Polizei auf diese Datenbanken zu?

ET: Die DNA-Ahnenforschung nimmt auch in Deutschland zu. Greift die hiesige Polizei auf diese Datenbanken ebenfalls zu, wie die amerikanischen Behörden das tun?

Weichert: Mir ist derzeit nicht bekannt, dass die Polizei – so wie in den USA – auf genealogische Datenbanken zugegriffen hätte. Ein Grund dürfte auch darin liegen, dass die von Deutschen initiierten Genealogietest vor allem bei US-Firmen durchgeführt werden, zu denen deutsche Strafverfolgungsbehörden keinen direkten Zugang haben.

Die Strafprozessordnung erlaubt bestimmte genetische Analysemöglichkeiten im Strafverfahren, etwa auch zur Feststellung von Verwandtschaftsbeziehungen. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass Forensiker zum Beispiel bei Tatortspuren Analysen durchführen, die Rückschlüsse auf Merkmale des Probengebers erlauben.

Da die Analysemethoden sich weiterentwickeln und die Gesetze in vielerlei Hinsicht nicht ganz eindeutig sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass mit biotechnischen Methoden auch im Graubereich ermittelt wird.

Das Forschungsprivileg gilt nicht für DNA-Genealogie

Thilo Weichert (Jurist und Politologe) ist Datenschutz-Experte und war über zehn Jahre Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein. Er leitete das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz in Kiel und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.

In einem ausführlichen Gutachten kam er zu dem Ergebnis, dass das Forschungsprivileg für DNA-Genealogie nicht gilt. Dieses beziehe sich nur auf unabhängige Forschungen und kann Unternehmen wie Ancestry, 23andme, MyHeritage, FTDNA oder LivingDNA nicht zugestanden werden. Ancestry – die Ahnenforscher erhielten 2019 den „Big Brother Awards“ – nennt beispielsweise als Zweck der Erhebung von DNA-Daten die Weitergabe an die medizinische Forschung, ohne diese aber klar zu benennen.

Der Deutsche Ethikrat hat sich mit Fragen der „genetischen Privatsphäre“ noch nicht befasst, wie die Pressesprecherin Epoch Times auf Anfrage mitteilte.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29



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