Wie lange bleibt Kemmerich? Linke tobt, bürgerliche AfD-Gegner fordern bundespolitische Schritte

Die überraschende Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen hat zu heftigen Reaktionen auf der Linken geführt. Kemmerich war mit den Stimmen der AfD gewählt worden. Auch CDU-Bundespolitiker fordern nun Konsequenzen.
Von 5. Februar 2020

Die im dritten Wahlgang getroffene Entscheidung der Abgeordneten des Thüringischen Landtags, den Kandidaten der FDP, Thomas Kemmerich, mit der erforderlichen Mehrheit zum neuen Ministerpräsidenten im Freistaat zu wählen, hat weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus die Gemüter erhitzt.

Mit 45 zu 44 Stimmen bei einer Enthaltung wurde Kemmerich gewählt, nachdem am Wahlabend im Oktober die Frage noch gar nicht als geklärt galt, ob die Liberalen überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten würden. Erst Tage später stand das amtliche Endergebnis fest, dem zufolge 73 Stimmen den Ausschlag dafür gaben, dass die FDP den Einzug in den Landtag schaffte. Da der von der AfD nominierte parteilose Kandidat Christoph Kindervater im dritten Wahlgang keine Stimme erhielt, ist davon auszugehen, dass die Fraktion unter Landeschef Björn Höcke geschlossen für Kemmerich gestimmt hat.

Linke als schlechter Verlierer

Bereits jetzt zeigt sich die Linkspartei als schlechter Verlierer. Ihre Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow warf Kemmerich ihren für den neu gewählten Ministerpräsidenten gedachten Blumenstrauß vor die Füße. Landesverbände der Linken warfen der FDP in den sozialen Medien jetzt schon das Paktieren mit „Faschisten“ vor. Bloggerin Jana Schneider hält gewalttätige Übergriffe der extremen Linken als Reaktion auf die heutige Abstimmung für möglich. Auf Facebook kommentiert sie die Aktion Hennig-Wellsows mit den Worten:

„Wenigstens wirft sie nur einen Blumenstrauß und keine Steine. Das überlässt man lieber den Fußtruppen.“

Ex-SPD-Vize Ralf Stegner schreibt, „dieser Herr Kemmerich“ erweise sich als „Quisling der deutschen Politik, wenn er sein Amt als Ministerpräsident von Thüringen antritt“. Es sei eine „Schande für die deutsche Demokratie, wenn CDU und FDP diese Farce mit der Höcke AFD wirklich durchziehen. #NieWiederRechts“.

Der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), meint:

„Der FDP-MP Kemmerich kann nur mit Stimmen von FDP, CDU und der völkisch-nationalistischen AfD gewählt worden sein. In eine von der AfD tolerierte FDP-Regierung darf die CDU nicht eintreten. Es sollte so schnell wie möglich Neuwahlen geben.“

ARD-Journalist Georg Restle packte gar die ganz große Keule aus und schrieb:

„Nichts gelernt: 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, 75 Jahre nach dem Ende von Faschismus und nationalsozialistischer Schreckensherrschaft: „Bürgerliche“ Parteien paktieren in #Thüringen wieder offen mit Rechtsextremisten. Das ist mehr als nur ein Tabubruch.“

Mohring fordert nun „Abgrenzung gegen rechts“

Alexander Mitsch von der WerteUnion hingegen äußert Genugtuung. Auf Twitter schreibt er:

„Gratuliere #Thüringen und Deutschland, die Vernunft und das bürgerliche Lager haben gesiegt.“

Hugo Müller-Vogg fordert nun im „Cicero“ gar, die Bundesparteien müssten diesen „Thüringer Weg“ versperren – „mit allen Konsequenzen bis hin zur Abspaltung“.

Unterdessen verteidigt der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring die Entscheidung seiner Partei, Kemmerich zu wählen. In einem Interview mit Reuters sagt er: „Wir sind nicht verantwortlich für das Stimmverhalten anderer Fraktionen. Wir sind auch nicht verantwortlich, wie andere Fraktionen ihre Kandidaten aufgestellt haben.“

Stünden zwei Kandidaten zur Auswahl von der AfD und von der Linkspartei, und es gebe ein Angebot aus der Mitte, dann „ist es doch wohl folgerichtig, dass die CDU, die sich als Partei der Mitte sieht, auch diesen Mitte-Kandidaten unterstützt“. Es sei nun „ganz entscheidend, dass Thomas Kemmerich klarmacht, dass es keine Koalition mit der AfD gibt, und dass er ganz deutlich macht, dass es eine klare Abgrenzung nach rechts gibt“.

AfD-Landeschef Björn Höcke, der als Architekt des Manövers der Fraktion gilt, im dritten Wahlgang zwar formal den eigenen Kandidaten im Rennen zu lassen, aber mit den eigenen Stimmen den bürgerlichen Kandidaten zu wählen, zeigt sich zufrieden. Gegenüber Reuters äußert er:

„Wir hatten ein vordringliches Wahlziel: Wir wollten Rot-Rot-Grün beenden, wir wollten Bodo Ramelow in den unverdienten politischen Ruhestand schicken. Unter Bodo Ramelow ist Thüringen in einen Linksstaat deformiert worden. Dieser Prozess ist heute gestoppt worden.“

AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen erklärte zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen:

 „Diese Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ist der erste wichtige Mosaikstein einer grundlegenden politischen Wende in Deutschland. In Thüringen wurde heute ein neuer Ministerpräsident mit der bürgerlichen Mehrheit, die den Wählerwillen abbildet, ins Amt gewählt. Der sozialistische Spuk und die Amtszeit des Postkommunisten Ramelow hat damit ein Ende gefunden. Mein großer Glückwunsch geht heute nach Thüringen!“ 

Nicht der erste FDP-Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes

Mit seiner Annahme der Wahl ist der in Erfurt lebende Unternehmensberater, der verheiratet ist und sechs Kinder hat, nicht der erste Ministerpräsident, den die FDP in einem deutschen Bundesland stellt. Die bisherigen Regierungschefs der FDP auf Landesebene blieben jedoch meist nur kurz im Amt oder waren kommissarische Ministerpräsidenten.

In Baden-Württemberg regierten mit Reinhold Maier und Wolfgang Haußmann bislang zwei liberale Ministerpräsidenten. Maier war als Politiker der später mit der FDP im Land vereinten „Demokratischen Volkspartei“ (DVP) 1945 von den Amerikanern als Ministerpräsident von Baden-Württemberg eingesetzt worden, ehe er 1946 in demokratischer Wahl bestätigt und 1950 wiedergewählt wurde. Er amtierte bis 1953. Wolfgang Haußmann war vom 1. Dezember 1966 an 15 Tage lang kommissarischer Ministerpräsident, nachdem Kurt Georg Kiesinger seiner anstehenden Wahl zum Bundeskanzler wegen zurückgetreten war.

Vom Mai 1945 bis 23. November 1946 war zudem Theodor Tantzen noch Ministerpräsident des später dem Land Hannover zugeschlagenen und im Bundesland Niedersachsen aufgegangenen Freistaats Oldenburg. In Niedersachsen war dann später Jörg Bode vom 30. Juni bis 1. Juli 2010 kommissarischer Ministerpräsident, nachdem Christian Wulff zurückgetreten war, um seine Wahl zum Bundespräsidenten zu ermöglichen. Im Saarland war Werner Klumpp nach dem Ableben des amtierenden Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder in der Zeit vom 26. Juni bis zum 4. Juli 1979 kommissarischer Ministerpräsident.

Mit wem will Kemmerich Mehrheiten bilden?

In der Sowjetzone ernannte die Sowjetische Militäradministration am 16. Juli 1945 Erhard Hübener von der „Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands“ (LDPD) zum Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Die LDPD vereinigte sich nach der Wende 1989 mit der FDP. Er blieb bis 13. August 1949 im Amt. Als FDP-Ministerpräsident lässt sich Hübener nicht nur des zeitlichen Abstandes und der zwischenzeitlichen Auflösung des Landes wegen aber ebenso wenig einordnen wie Rudolf Paul, der vor 1933 der linksliberalen DDP angehört hatte und später der SED beitrat. Er regierte als von der Sowjetunion eingesetzter Ministerpräsident von Thüringen vom Juli 1945 bis zum 1. September 1947.

Wie lange Thomas Kemmerich im Amt bleiben wird, ist noch ungewiss. Er steht nun vor der Aufgabe, ein Kabinett zu bilden und ein Konzept zu erarbeiten, wie es diesem gelingen soll, für seine sachpolitischen Vorhaben Mehrheiten zu erzielen. Die CDU hatte bereits nach den Landtagswahlen das Angebot Höckes zurückgewiesen, eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung von der AfD tolerieren zu lassen.

Kemmerich könnte nun jedoch versuchen, eine Mehrparteienkoalition ohne Einschluss von AfD und Linkspartei zu bilden – oder nach dem Prinzip der freien Mehrheitsfindung im Landtag zu agieren.



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