Wirbel um Musterantrag zur Kindeswohlgefährdung – Ex-Familienrichter soll Gerichtskosten zahlen
Gesichtsmasken, Abstand und Testpflicht für Kinder – das ist für viele Eltern eine große Belastung. Deshalb kam für einen Vater aus der Region Garmisch-Partenkirchen ein im Internet verfügbarer Download gelegen. Er nutzte den Mustertext des ehemaligen Familienrichters Hans-Christian Prestien und leitete beim Familiengericht ein sogenanntes „Kinderschutzverfahren“ nach Paragraf 1666 BGB ein. Mit derartigen Verfahren gehen Eltern momentan gegen die in den Schulen geltenden Corona-Maßnahmen vor.
Ziel ist es, dass ihre Kinder nicht mehr der Masken-, Test- und/oder Abstandspflicht unterliegen. Im konkreten Fall äußerte der betroffene Vater gegenüber dem zuständigen Familienrichter aus Garmisch-Partenkirchen, Dr. Kirsch, dass er aufgrund der Maskenpflicht Dauerschäden, insbesondere psychischer Art, für seinen Sohn befürchtet. Er nutzte den von Prestien kostenlos veröffentlichten Mustertext, ergänzte ihn mit personenbezogenen Angaben und reichte ihn an das Gericht.
Später hat der antragstellende Vater nach Angaben des zuständigen Richters seinen Antrag zurückgenommen. Die Kosten des Verfahrens gingen zu Lasten des seit zehn Jahren im Ruhestand befindlichen Prestien, der den Mustertext bereitgestellt hatte. Gegen die Kostenentscheidung hat Prestien Rechtsmittel eingelegt. Das geht aus einer Antwort von Dr. Benjamin Lenhart, Pressesprecher des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen, hervor. Die Akte wird nun dem Oberlandesgericht München zur weiteren Entscheidung übersandt.
Richter Kirsch hatte seine Kostenentscheidung vom 3. Mai auf den Umstand gestützt, dass Prestien „ein bis ins Detail ausgearbeitetes Muster im Internet zum Download angeboten hat, das nur durch wenige personalisierende Ergänzungen ausgestalten werden muss. Ohne seinen Beitrag wäre es nicht zu dem hier zu entscheidenden konkreten Verfahren gekommen“.
Der Richter aus Garmisch-Partenkirchen wirft Prestien vor, dass er den Nutzern des Downloads den Eindruck vermittelt habe, dass Familiengerichte befugt seien, konkrete Maßnahmen gegenüber Schulen, Lehrern und Schulbehörden anzuordnen.
Der Vorwurf grob schuldhafter Verursachung liegt darin, Laien gegenüber zu suggerieren, dass Familiengerichte die Kompetenz hätten, unter dem Stichwort der Kindeswohlgefährdung infektionsschutzrechtlich relevante Anordnungen gegenüber Schulen und Lehrern zu treffen“, argumentiert Kirsch.
Entscheidungen in ähnlichen Fällen
Dass Familiengerichte durchaus über derartige Anträge entscheiden können, hatten zuvor Beschlüsse aus Weimar und Weilheim in ähnlich gelagerten Fällen gezeigt. Die Familienrichter hatten entschieden, dass von den schulischen Corona-Maßnahmen eine Kindeswohlgefährdung ausgeht und diese daher in den konkreten Fällen aufzuheben sind.
So hatte der 58-jährige Weimarer Familienrichter Christian Dettmar mit seiner 178 Seiten umfassenden Entscheidung vom 8. April 2021 vielen verzweifelten Eltern Hoffnung gegeben.
Im Wege der einstweiligen Anordnung hatte er beschlossen, dass es zwei Schulen sowie Vorgesetzten der Schulleitungen untersagt wird, Kindern auf dem Schulgelände vorzuschreiben, Gesichtsmasken zu tragen, Mindestabstände einzuhalten und an Corona-Schnelltests teilzunehmen.
Das „Sensations-Urteil mit wahrlich politischer Sprengkraft“ – wie der „Deutschlandkurier“ den Weimarer Beschluss bezeichnete – sorgte im Nachgang für Brisanz. Gegen den Richter aus Weimar wurden Strafanzeigen wegen „Rechtsbeugung“ eingereicht.
Kritisiert wurde, dass der Familienrichter seine Kompetenzen überschritten habe, da für Entscheidungen zu Regelungen nach dem Infektionsschutzgesetz beziehungsweise Corona-Verordnungen das Verwaltungsgericht zuständig sei. Am 26. April fand bei dem Richter sogar eine Hausdurchsuchung statt.
Dass das Familiengericht durchaus für Anträge bei Verfahren betreffend das Kindeswohl gemäß Paragraf 1666 BGB zu einer Prüfung verpflichtet ist, entschied vor kurzem auch das Oberlandesgericht Karlsruhe.
Das Familiengericht Pforzheim hatte sich für einen Antrag einer Mutter zur Prüfung der Kindeswohlgefährdung durch die schulischen Maßnahmen für unzuständig erklärt und den Fall an das Verwaltungsgericht verwiesen. Die Mutter legte Beschwerde ein, das Oberlandesgericht gab ihr recht.
Antragswelle bei Familiengerichten rollt
Inzwischen regt die Plattform „2020News“, die durch die Anwältin Viviane Fischer betrieben wird, die Prüfung von Kinderschutzverfahren nach Paragraf 1666 BGB bei den Familiengerichten massenhaft an. Auf der Seite heißt es:
Bitte gefährdete Kinder melden!“
Die Familienrichterinnen und Familienrichter aller 688 Amtsgerichte Deutschlands werden von „2020News“ auf die Kindeswohlgefährdungen durch die Masken-, Abstands- und Testpflicht an Schulen, in Kitas, in Vereinen und so weiter hingewiesen. Jeder könne ihm nahestehende, betroffene Kinder melden.
Damit in möglichst vielen Fällen durch möglichst viele Familienrichterinnen und Familienrichter eine professionelle Prüfung auf Kindeswohlgefährdungen durchgeführt werden kann, übernimmt „2020News“ bundesweit die Meldung der möglichen Kindeswohlgefährdungen bei den Familiengerichten.
Das Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte (KRiStA) hat am 27. April einen Aufsatz mit der Überschrift „Corona-Maßnahmen vor dem Familiengericht – eine ungewöhnliche Entwicklung“ veröffentlicht.
Dabei stellen sich die Juristen hinter die Familienrichter aus Weimar und Weilheim, die ihre Entscheidungen zur Vermeidung einer Gefährdung der Kinder getroffen haben. Dazu seien sie, die Familienrichter laut Gesetz in Ausübung ihres staatlichen Wächteramts auch befugt.
KRiStA äußert die Hoffnung, dass es den Gerichten gelingen wird, sich trotz der Schwierigkeiten „mit der angemessenen Gelassenheit, Unvoreingenommenheit, Unaufgeregtheit aber auch Intensität der individuellen Sachverhalte anzunehmen, mit denen sie befasst werden“.
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