Nach Kabinettsklausur: Wirtschaft fürchtet Wohlstandsverluste in „unvorstellbarem Ausmaß“

Stimmung: bestens. Ergebnisse: kaum. Fragen: viele. So lässt sich die Bilanz der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg zusammenfassen. Die deutsche Wirtschaft reagiert alles andere als erfreut auf die Ergebnis-Flaute der Regierung in dieser krisengeprägten Zeit.
Finanzminister Christian Lindner (l-r), Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck vor Schloss Meseberg.
Finanzminister Christian Lindner (l-r), Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck vor Schloss Meseberg.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 1. September 2022


Am Mittwochvormittag gegen 11:15 Uhr marschierte Bundeskanzler Olaf Scholz Seite an Seite mit dem Minister für Wirtschaft und Energie, Robert Habeck (Grüne), und Finanzminister Christian Lindner (FDP) den langen Weg vom Meseberger Schlossportal zur Toreinfahrt. Dort teilt er den wartenden Journalisten vor allem eins mit: Das mit der Stimmung, das hat geklappt.

Doch schöne Worte reichten nicht, es müsse Substanz her, ermahnte bereits Vizekanzler Habeck. Einer seiner grünen Parteifreunde kritisierte im Gegenzug die „schlechte Performance des Bundeskanzlers“.

Wirtschaft reagiert alarmiert

Besonders die deutsche Wirtschaft reagierte ernüchtert und alarmiert auf die Ergebnisse der Klausur der Bundesregierung in Meseberg. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ warnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, vor „Wohlstandsverlusten in bislang unvorstellbarem Ausmaß“. Er fügte hinzu: „Die Krise ist da und verschärft sich mit enormem Tempo.“

So hätten sich die Strompreise am Terminmarkt verzwanzigfacht. „Das ist für viele Unternehmen geradezu dramatisch“, so Adrian. Um schlimmste Folgen zu verhindern, benötige die Wirtschaft umgehend konkrete Antworten und Taten seitens der Politik, sagte der DIHK-Präsident. „Wir brauchen jetzt schnell Klarheit über wirksame Entlastungen bei den Strom- und Gaskosten.

Viele der aktuellen Diskussionen gehen an den realen Problemen der meisten Industriebetriebe, aber auch vieler Betroffener aus Handel, Tourismus, Logistik und Dienstleistungen vorbei.“ Adrian warnte zugleich vor einer falschen Interpretation vermeintlicher Erfolgsmeldungen.

Sinkender Gasverbrauch hat bittere Gründe

Wenn der Gasverbrauch der Industrie derzeit sinke, liege dies weniger an sinnvollen Sparmaßnahmen. Vielmehr seien „sehr stark“ Betriebsstilllegungen und Produktionseinschränkungen der Grund dafür, dass weniger Rohstoffe verbraucht würden. „Auch Geschäftsaufgaben im Bereich Handel und Dienstleistungen wegen unbezahlbarer Energiepreise sind bereits bittere Realität“, sagte der Wirtschaftspräsident.

Adrian fügte hinzu: „Jeden Monat, den die Preise hoch bleiben, werden mehr Betriebe schließen.“ Neben konkreten Entlastungsschritten regte Adrian dringend die Verschlankung von Planungs- und Genehmigungsverfahren an. „Das, was für LNG-Terminals und Windräder möglich ist, muss auch für die anderen vielen sinnvollen Investitionen von Unternehmen gelten. Wer jetzt in der Krise investieren will, kann nicht noch Monate oder gar Jahre auf amtliche Stempel warten.“

Schon um am Ziel der Klimaneutralität festzuhalten, müssten Unternehmen schnell und rechtssicher in Deutschland investieren können. „Wir brauchen jetzt mutige Entscheidungen in Wirtschaft, Politik und Behörden“, so Adrian.

Drittes Entlastungspaket: Quo vadis?

Das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt sind seit dem heutigen Donnerstag Geschichte. Nun wartet das ganze Land gespannt, wie das nächste Entlastungspaket aussehen wird. Wahrscheinlich am ersten September-Wochenende soll die Entscheidung fallen, wie die Bundesregierung die explodierenden Preise für die Bürger weiter abfedern wird. Aus der Koalition werden seit Wochen Vorschläge zur Schau gestellt – in der Regel gern zugunsten des eigenen Wählerklientels.

Kommt der von Lindner und seiner FDP angestrebte Inflationsausgleich bei den Steuern? Kommen Einmalzahlungen für Rentner und Studenten, wie sich etwa die SPD das vorstellt? Und was ist mit einem 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr, das unter anderem die Grünen vorschlagen?

Zumindest ist man sich inzwischen einig, dass es ein weiteres Entlastungspaket geben soll. Das klang vor wenigen Wochen noch ganz anders: Da betonte Lindner, in diesem Jahr gebe es für so etwas kein Geld mehr. Inzwischen aber hat er Spielräume im einstelligen Milliardenbereich entdeckt. Wie er sagt, unter anderem durch höhere Steuereinnahmen.

Die Summe zeigt: Das neue Entlastungspaket kann nicht ganz so umfangreich werden wie die bisherigen. 9-Euro-Ticket, Tankrabatt, 300 Euro Energiepreispauschale und mehrere Steuervergünstigungen haben den Bund bereits viele Milliarden gekostet. Scholz kündigte „ein sehr präzises, ein sehr maßgeschneidertes Entlastungspaket“ an. Das könnte heißen: Hilfen für einzelne, besonders bedürftige Gruppen anstatt eines Rundumschlags und Gießkannenprinzips.

Hinter den Kulissen scheint man sich über die meisten Maßnahmen schon so gut wie einig zu sein. Dass der Bund Rentner und Studenten etwas entlasten soll, sagen inzwischen alle drei der Ampelparteien. Auch die FDP spricht von Einmalzahlungen für besonders Bedürftige. Und der Kanzler hat seine diebische Freude ob des öffentlichen Rätselratens: Dass bisher niemand etwas von den Gesprächen mitbekommen habe, das mache ihn „professionell stolz“, sagte er in Meseberg.

(Mit Material von dts und dpa)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion