„Zahnloses trojanisches Pferd“: Kritiker beklagen Schlupflöcher im Migrationspaket der GroKo

Die Bundesregierung sieht in ihrem jüngsten Migrationspaket einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Alexander Wallasch fragt: "Interessanterweise nennt man es Asylpaket, weil Migrationspaket im Wortlaut wohl zu nah an Migrationspakt läge und also die Lesart nähren würde, die neuen Gesetze wären Umsetzungen dieses Paktes. Sind sie es nicht?“
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Grenzkontrolle zwischen Österreich und Deutschland, 11. Juli 2018.Foto: Andreas Gebert/Getty Images
Von 12. Juni 2019

„Frauen und Kinder aushungern“ würde Deutschland künftig, wenn das Gesetz Wirksamkeit entfalte, empören sich Abgeordnete der Linken und Grünen, im Visier der Antifa sieht sich Helge Lindh von der SPD und meint, es sei „etwas nicht richtig“, wenn die Extremisten auf diese Weise gewählte Parlamentarier einschüchtern.

Zufrieden hingegen ist man in den Regierungsparteien über das Migrationspaket, das Union und SPD in der Vorwoche durch den Bundestag gebracht hatten. Dieses soll dafür sorgen, dass mehr ausreisepflichtige Migranten das Land verlassen müssen, Fachkräfte leichter in Deutschland Fuß fassen können oder mehr Sach- als Geldleistungen für Asylbewerber den Anreiz mindern, der großzügigen Sozialleistungen wegen nach Deutschland zu kommen.

Das Paket setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll Nicht-EU-Ausländern die Einwanderung nach Deutschland erleichtern, die bereits über eine Berufsausbildung oder ein akademisches Studium verfügen. Die Beschränkung auf Berufe, in denen es Engpässe gibt, entfällt bis auf Weiteres, ebenso die Vorrangprüfung zu Gunsten von Deutschen und EU-Bürgern. Wer ausreichend qualifiziert ist und einen Arbeitsvertrag hat, kann damit grundsätzlich nach Deutschland.

Änderungen bei Asylbewerberleistungen, leichterer „Spurwechsel“

Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ wiederum soll dafür sorgen, dass mehr ausreisepflichtige Migranten auch tatsächlich das Land verlassen. Ausreisegewahrsam und Sicherungshaft zu verhängen soll erleichtert werden, ebenso die Unterbringung in Justizvollzugsanstalten – allerdings räumlich von Straftätern getrennt. Es soll zudem Sanktionen für die Weigerung geben, an der Identitätsfeststellung mitzuwirken. Außerdem soll es Polizeibeamten künftig auch erlaubt sein, im Zusammenhang mit Abschiebungen Wohnungen zu betreten und zu durchsuchen.

Während ihrer Unterbringung sollen Asylbewerber künftig Kosten für Strom und Wohnungsinstandhaltung als Sachleistungen erhalten, ein geringerer Satz fällt zudem bei Unterbringung in Sammelunterkünften an. Geduldeten Ausreisepflichtigen, die seit mindestens 18 Monaten sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, soll ein „Spurwechsel“ erleichtert und damit eine legale Bleibeperspektive eröffnet werden.

Die Behörden haben zudem erweiterte Möglichkeiten, Asylbewerbern bestimmte Wohnsitzauflagen zu erteilen, Wohnsitze zuzuweisen oder den Zuzug in bestimmte Kommunen zu untersagen. Ein Element des Pakets steht noch aus: Zum Ende des Monats soll über eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts abgestimmt werden. Damit soll Terrorkämpfern mit Doppelpass die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden können. Die Rücknahmefrist für erschlichene Einbürgerungen soll von fünf auf zehn Jahre verlängert werden. Auch sollen Personen, die in polygamer Ehe leben, von einer Einbürgerung ausgeschlossen werden können.

Auch Union und SPD unter die „Nazis“ gegangen?

In Summe sendet die Bundesregierung mit diesem Paket vor allem eine Botschaft an jene Wähler aus, die Union und SPD den Rücken gekehrt hatten, weil sie die Politik der Bundesregierung in der Zeit der Flüchtlingskrise 2015 für einen Akt der gezielten Inkaufnahme von Chaos und Kontrollverlust hielten.

Künftig werde man Sorge tragen, dass es wieder mehr legale Einwanderung gibt, dass Menschen, die einwandern wollen, bestimmte qualitative Merkmale mitbringen müssen, und dass Personen, die nicht hierher passen, schneller und ohne größere Umschweife das Land wieder verlassen müssen. Im Grunde also Punkte, die zuvor der AfD über Jahre hinweg den sicheren Vorwurf eingebracht haben, „Nazis“ zu sein und als solche unweigerlich bereits einen neuen Massenmord an wem auch immer zu planen.

Ist jetzt also auch die Koalition unter die „Nazis“ gegangen oder gibt es einen anderen Pferdefuß an dem Gesetzespaket, der erklären würde, dass, wenn zwei das Gleiche fordern, es nicht dasselbe ist.

Dieser Frage ist unter anderem auch Alexander Wallasch auf „Tichys Einblick“ nachgegangen. Er argwöhnt, dass das Asylpaket ein „zahnloses trojanisches Pferd“ gewesen sein könnte,

in dessen Inneren ein viel bissigeres neues Einwanderungsgesetz durchgewunken wurde, über das ein Abgeordneter der Großen Koalition in etwa sagte, damit würde sich die GroKo in die Geschichtsbücher eintragen“.

Ausreichend Schlupflöcher übrig

Er deutet an, dass die Verwerfungen der Jahre seit der Grenzöffnung 2015 nicht dadurch bedingt waren, dass es an gesetzlichen Grundlagen zur Eindämmung und Kontrolle der Wanderungsbewegungen gefehlt hätte – sondern dass der Wille der Kanzlerin, unschöne Bilder zu vermeiden, die ihr schlechte Presse hätten einbringen können, bewirkt hatte, dass geltendes Recht einfach nicht behauptet wurde. Gleiches könnte im Fall des Falles auch künftig verhindern, dass auf der Basis des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ tatsächlich die geordnete Rückkehr Ausreisepflichtiger konsequent durchgesetzt werde.

Auch eröffneten die Bestimmungen über den leichteren Zuzug und die Anwerbung von Fachkräften ebenso wie der damit verbundene Familiennachzug, großzügige Jobsuchefristen nach Vertragsende oder „Spurwechsel“-Optionen neue Räume für die vielleicht sogar noch vermehrt Erzwingung von Bleiberechten.

Das Gesetzespaket strebe eine Einwanderung an, die eher imstande sei, Wohlstand zu schaffen. Wohlstand allein schaffe zwar noch keine Identität, aber trage möglicherweise dazu bei, eine zu entwickeln, die der Identifikation mit dem heimischen Gemeinwesen dienlich sei.

„Nun aber zu glauben oder gar zu bejubeln, dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz wäre ein Wohlstandsmotor, dazu gehört schon eine ganze Menge Blauäugigkeit“, meint Wallasch.

Und auch die Hoffnung darauf dürfte spätestens nach 2015 als grotesk gelten. Interessanterweise nennt man es Asylpaket, weil Migrationspaket im Wortlaut wohl zu nah an Migrationspakt läge und also die Lesart nähren würde, die neuen Gesetze wären Umsetzungen dieses Paktes. Sind sie es nicht?“



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