Druck auf „Staatsfeinde“ wächst – AfD habe „große Schnittmenge zu Reichsbürgern“

Nach der Festnahme von 25 Verdächtigen aus dem Reichsbürgermilieu soll offenbar der Druck auf die AfD erhöht werden. In Berlin wurden etliche Sitzungen anberaumt. Innenministerin Faeser will außerdem Wege schaffen, um verdächtige Staatsdiener leichter zu entlassen und das Waffenrecht zu verschärfen.
Titelbild
Bundesinnenministerin Nancy FaeserFoto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 12. Dezember 2022

In dieser letzten Bundestagssitzungswoche des Jahres, fünf Tage nach der grenzüberschreitenden Razzia gegen die sogenannte Reichsbürgerszene, geht die Aufarbeitung weiter.

Am Nachmittag des 12. Dezember werden sich der Rechtsausschuss und der Innenausschuss des Bundestags mit dem mutmaßlichen Terrornetzwerk befassen. Das hatte die Unionsfraktion kurzfristig beantragt. Sie will klären lassen, ob Beschuldigte womöglich vorgewarnt waren, sodass sie vor der Razzia eventuell Waffen und andere Beweismittel wegschaffen konnten.

Die Ampel-Koalition sei nach Agenturangaben zunächst dagegen gewesen. Sie argumentierte, man müsse den Polizei- und Ermittlungsbehörden genügend Zeit geben, um die bisher gewonnenen Erkenntnisse aufzuarbeiten. Zudem habe Ministerin Faeser ihre Teilnahme an der nächsten regulären Sitzung des Innenausschusses am Mittwoch angekündigt. Nach Agenturinformationen soll sich auch das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium zusammensetzen. Das Gremium ist für die Nachrichtendienste des Bundes zuständig.

Strack-Zimmermann will MAD hören

Im nächsten Treffen des Verteidigungsausschusses soll die Sache ebenfalls zur Sprache kommen: Laut dpa kündigte die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) an, Einzelheiten vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) erfragen zu wollen.

Das Plenum des Bundestags wird auf Antrag der Grünen wahrscheinlich noch vor Weihnachten in einer Aktuellen Stunde zur Sache diskutieren.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) soll auf Antrag des Fraktionsgeschäftsführers der Linkspartei, Jan Korte, am Donnerstag, 15. Dezember, eine Regierungserklärung abgeben. Faeser hatte bereits für Mittwoch, 14. Dezember,  ihre Teilnahme an der nächsten regulären Sitzung des Innenausschusses angekündigt.

Pistorius bringt Verbotsverfahren gegen AfD ins Spiel

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sieht inhaltliche Schnittmengen zwischen der AfD und „Reichsbürgern“. „Reichsbürger ist nicht automatisch AfD und umgekehrt“, räumte Pistorius in einem Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ ein. „Aber es gibt große Schnittmengen – von der Ablehnung unseres Staates über die prorussische Haltung bis zur Amerikafeindlichkeit.“ Er halte die AfD „in weiten Teilen für rechtsextremistisch“ und für einen „Katalysator“ für das Denken der Reichsbürger. Um ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten, sei der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen, meinte Pistorius. „Aber wir müssen hingucken, prüfen und sammeln, damit wir den Zeitpunkt nicht verpassen.“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt denkt offenbar über die bundesweite Beobachtung der AfD nach. „Das hat natürlich seine Grenzen, wenn es um das freie Mandat geht, das ist vollkommen klar. Aber wenn es um die Partei an sich geht, dann gibt es da die Möglichkeiten“, sagte Dobrindt in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“. Zum Teil seien die Bundesländer „auch schon tätig“.

Staatsdiener unter den Verdächtigen

Zum Kreis der Beschuldigten gehört nach Agenturangaben auch ein Beamter des Staatsschutzes beim niedersächsischen Landeskriminalamt (LKA), der allerdings „wegen strafrechtlicher Ermittlungen“ schon längere Zeit vom Dienst freigestellt worden sei. Nach dpa-Informationen befindet sich unter den Festgenommenen auch ein bereits aus dem Dienst entlassener Polizist, der aber Berufung gegen ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover eingelegt habe.

Ebenfalls unter den Tatverdächtigen befindet sich nach Recherchen der „Bild am Sonntag“ der Bundeswehr-Stabsfeldwebel Andreas M. (58). Nach Jahren im Afghanistan-Einsatz soll der gelernte Koch zuletzt im Versorgungsbereich der Kaserne des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Calw (Baden-Württemberg) gearbeitet haben. Andreas M. soll spätestens 2021 vor dem Hintergrund einer Krebserkrankung „in das Lager der Corona-Leugner abgerutscht“ sein, schreibt die „Bild am Sonntag“. Nach seiner Weigerung, an der obligatorischen COVID-Impfung teilzunehmen, soll er am 2. Februar 2022 einen Brief an einen KSK-Kommandeur geschrieben haben, in dem er sich „im Jargon der ,Reichsbürger’“ gegen die Impfpflicht positioniert habe. Daraufhin habe das KSK den Militärischen Abschirmdienst (MAD) für Ermittlungen gegen den inzwischen krankgeschriebenen Soldaten eingeschaltet.

Im April soll M. seine Entlassung nach Soldatengesetz § 5, Absatz 3 beantragt haben, weil der Dienst für ihn „eine besondere Härte“ bedeute. Während KSK und Truppenarzt den Entlassungsantrag befürwortet hätten, habe das Personalamt der Bundeswehr „Nein“ gesagt. Dies sei nach Aussage eines Offiziers wegen des Personalmangels so entschieden worden. Erst vor wenigen Wochen, im Oktober 2022, soll M. daraufhin „Mitverschwörer in Kasernen geschleust“ haben, um gemeinsam herauszufinden, „ob die Gebäude für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz taugen“ würden.

Capitol-Erstürmer als Vorbild

In seiner jüngsten Titelstory „Die Putschfantasien der ,Reichsbürger‘-Truppe“ beschreibt der „Spiegel“, „wie radikal die Gruppe wohl ihr Vorgehen plante“. Neben früheren KSK-Mitgliedern, der AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann, dem Stabsfeldwebel M. und dem suspendierten Polizisten hätten auch „ein Pilot, ein promovierter Rechtsanwalt, ein Spitzenkoch, ein Tenorsänger, ein Unternehmer und eine Ärztin“ zusammen mit QAnon-Anhängern wie dem Telegrammer Alexander Q. und „Querdenkern“ ihren angeblichen Vorbildern nachgeeifert – den Stürmern des Washingtoner Capitols vom 6. Januar 2021.

Nach „Einschätzung der Fahnder“ wollten die Beschuldigten „Unruhen im ganzen Land“ provozieren und am Ende als Sieger eines Putsches dastehen. Ziel der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß an der Spitze sei es gewesen, „die Demokratie in Deutschland unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen“, habe Generalbundesanwalt Peter Frank laut „Spiegel“-Informationen zu Protokoll gegeben. Prinz Reuß, so das Nachrichtenmagazin, habe eine „neue deutsche Armee“ mit „Heimatschutzkompanien“ aufbauen wollen.

Reservistenverband will „viel konsequenteres Durchgreifen“

Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, hält einen Generalverdacht gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden und der Streitkräfte für unangebracht. Das äußerte er in der Samstagsausgabe der „Rheinischen Post“. Angebracht sei aber ein „viel konsequenteres Durchgreifen“ gegen Uniformträger wie einen Ex-Offizier, der nun zum Kreis der Festgenommenen gehöre. Obwohl gegen diesen ein Strafverfahren laufe, könne er „weiterhin in Uniform durchs Land“ laufen und seine „kruden Theorien“ „bei vollen Pensionsbezügen“ verbreiten. Sensburg forderte, „solche Menschen“ viel schneller aus dem Dienst zu entfernen und ihnen sämtliche Privilegien zu streichen. Zudem forderte Sensburg „mehr Sensibilisierungsmaßnahmen in den robusten Einheiten von Bundeswehr, Polizei und anderen Sicherheitsbehörden“.

Faeser und die Beweislastumkehr

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilt Sensburgs Einstellung, dass die Entlassung von Extremisten aus dem Beamtenverhältnis beschleunigt werden soll. Noch 2022 wolle sie nach Agenturinformationen einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung übergeben. Faeser hatte kurz nach der Reichsbürger-Razzia vor dem Bundestag gesagt, sie suche nach Wegen für eine Beweislastumkehr und wolle dafür das Disziplinarrecht verändern. Das relativierte Faeser allerdings am Sonntagabend im ARD-Talkformat Anne Will. „Nein, ich will nicht die Beweislast umkehren“, stellte die Ministerin laut „Bild“ klar: „Ich habe das etwas umgangssprachlich verkürzt im Fernsehen berichtet.“ Künftig sollten keine Verwaltungsgerichtsklagen mehr nötig sein, sondern Verwaltungsakte genügen, um Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen, präzisierte Faeser. „Das geht dann schneller.“

Schärfere Waffengesetze geplant

Nach Angaben von Faeser lebten derzeit rund 23.000 „Reichsbürger“ in Deutschland. Das sei ein Plus von 2.000 Personen gegenüber dem Vorjahr, sagte Faser der „Bild am Sonntag“. Zehn Prozent von ihnen würden als gewaltbereit eingestuft. 2021 seien 239 Gewalttaten von Reichsbürgern registriert worden. Mindestens 1.050 Reichsbürgern sei ihre Waffenerlaubnis entzogen worden. Die Regierung werde das „Waffenrecht in Kürze weiter verschärfen“, kündigte Faeser an.

Mehr Sicherheit für das Parlament

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese will das Sicherheitskonzept des Bundestages auf den Prüfstand stellen. „Dazu gehören Zugangsberechtigungen von Mitarbeitern ebenso wie von ehemaligen Abgeordneten“, sagte Wiese der „Bild am Sonntag“ mit Blick auf die im Zuge der Razzien festgenommene AfD-Politikerin und Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, sieht Nachbesserungsbedarf in Sachen Sicherheit des Parlaments. Der Ältestenrat des Parlaments solle nun nächste Woche über neue Sicherheitsvorkehrungen beraten.

Familienministerin will „Demokratiefördergesetz“

Das Bundeskabinett wird sich am Mittwoch mit dem Vorschlag für ein neues „Demokratiefördergesetz“ von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) beschäftigen. „Mit dem Gesetz wollen wir den Menschen den Rücken stärken, die sich antidemokratischen und menschenfeindlichen Strömungen entgegenstellen und sich für ein vorurteilsfreies, offenes Miteinander einsetzen“, sagte die Grünen-Politikerin nach dpa-Informationen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Vereine und Organisationen, die im Sinne der Demokratieförderung und Extremismusprävention aktiv seien, sollen demnach mehr Geld erhalten.

Hintergrund

Am Mittwoch, 7. Dezember, hatten nach Angaben der Bundesanwaltschaft rund 3.000 Kräfte der bewaffneten Sicherheitsbehörden eine grenzüberschreitende Razzia im Reichsbürgermilieu durchgeführt. Dabei seien laut Generalbundesanwaltschaft 25 Tatverdächtige festgenommen worden, unter ihnen Ex-Soldaten und frühere Polizisten und auch die AfD-Politikerin und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, die nach ihrem Ausscheiden als Abgeordnete 2021 noch im Besitz eines Bundestagsausweises war. Die Verdächtigen sollen gemeinschaftlich einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben.



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