„Erschüttertes Vertrauen“: AfD-Vorstand Chrupalla kündigt interne Gespräche an

Die AfD hat für die nächsten Tage interne Beratungsgespräche angekündigt. Man wolle dem durch unbelegte Lebensläufe von EU-Wahlkandidaten entstandenen „erschütterten Vertrauen innerparteilich angemessen begegnen“.
AfD-Co-Parteisprecher Tino Chrupalla kündigte am 19. September auf einer Pressekonferenz interne Gespräche an, um nach der Lebenslauf-Affäre um zwei EU-Wahlkandidaten Vertrauen wiederzugewinnen. Foto: Bildschirmfoto/AfD-Fraktion im Bundestag
AfD-Co-Parteisprecher Tino Chrupalla kündigte am 19. September auf einer Pressekonferenz interne Gespräche an, um nach der Lebenslaufaffäre um zwei EU-Wahlkandidaten Vertrauen wiederzugewinnen.Foto: Bildschirmfoto/AfD-Fraktion im Bundestag
Von 19. September 2023

Tino Chrupalla, der Co-Bundesvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), wirkte ziemlich ungehalten, als er sich am 19. September gegen 15:00 Uhr den Fragen von Journalisten zur Liste der EU-Kandidaten stellen musste. Nach kaum zwei Minuten Fragerunde brach er die Pressekonferenz ab.

Die letzte Frage, ob es „für die AfD okay“ sei, wenn „man bei Aufstellungsversammlungen“ lüge, wies Chrupalla kurzerhand zurück: „Wenn Sie das Statement gelesen haben, Herr Schmidt, dann erschließt sich eigentlich Ihre Frage. Und da ist die Antwort enthalten. Vielen Dank.“ (Video auf „YouTube“.)

Stellungnahme veröffentlicht

Chrupalla bezog sich auf eine „Stellungnahme der Bundessprecher zur Prüfung der Abschlüsse der Listenkandidaten“, die erst kurz zuvor veröffentlicht worden war. Darin heißt es zu den beiden umstrittenen EU-Wahllistenkandidaten Arno Bausemer (Platz 10) und Mary Khan-Hohloch (Platz 14), die ihre Lebenslaufangaben nach ihrer Wahl in Magdeburg nicht mit Belegen untermauern konnten:

Die bereits bekannten mutmaßlichen Sachverhalte um die Kandidaten Bausemer und Khan-Hohloch wurden bestätigt. Zur Zeit der Bewerbungsreden lagen keine berufs- oder studienqualifizierenden Abschlüsse vor.“

Anders als bisher in der Presse verlautbart, habe Mary Khan-Hohloch aber mittlerweile einen „Nachweis über ihr abgeschlossenes Studium“ gegenüber den „Vertrauensleuten“ erbracht, hieß es in der Stellungnahme. Dieser Beleg hatte nach Berichten von ZDF, ARD („Tagesschau“) und anderen Medien bislang nicht vorgelegen. Auch die Epoch Times hatte darüber berichtet.

Parteivorstand will über „geeignete Maßnahmen beraten“

Der Stellungnahme zufolge werde der AfD-Bundesvorstand „in den nächsten Tagen […] über angemessene und geeignete Maßnahmen beraten, um dem erschütterten Vertrauen innerparteilich angemessen zu begegnen“. „Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Transparenz“ seien „maßgeblich für unsere Arbeit.“

Somit dürfte das letzte Wort über den Umgang der Partei mit Khan-Hohloch und insbesondere mit Bausemer noch nicht gesprochen sein, selbst wenn beide im Frühjahr 2024 für die AfD in den EU-Wahlkampf ziehen dürfen.

Vorstand wollte Neuwahlen für EU-Kandidatur vermeiden – trotz fehlender Belege

Die beiden von den Plätzen 10 (Bausemer) beziehungsweise 14 (Khan-Hohloch) der bereits abgesegneten Kandidatenliste zu streichen, hätte höchstwahrscheinlich eine komplette Neuwahl der AfD-Europawahlliste notwendig gemacht. Und diesem kostspieligen Aufwand wolle der Parteivorstand aus dem Weg gehen, wie das ZDF unter Verweis auf „Vorstandskreise“ berichtet hatte.

Bausemer hatte nach Angaben von Chrupalla keinerlei Papiere vorlegen können, die eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein bestandenes Studium oder ein geglücktes Volontariat dokumentieren würden. Auch seine angebliche Geschäftsführertätigkeit bei einem mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieb habe Bausemer nicht nachweisen können, wie das ZDF schon vor der Chrupalla-Pressekonferenz unter Berufung auf „Vorstandskreise“ gemeldet hatte.

Ähnlich hatte es bis zur Veröffentlichung der AfD-Stellungnahme bei Mary Khan-Hohloch ausgesehen: Auch sie hatte nach ZDF-Informationen keinen Beweis über ein abgeschlossenes „Studium der Religionswissenschaft und des öffentlichen Rechts“ erbracht, obwohl sie diese Qualifikation bei ihrer Listenbewerbung angegeben hatte. Sie habe lediglich „Bescheinigungen über einzelne absolvierte Hochschulveranstaltungen“ nachgereicht, berichtete das ZDF. Laut AfD-Stellungnahme wurde der Nachweis nun also doch noch erbracht, wenn auch nicht in der gesetzten Frist.

Der AfD-Bundesvorstand hatte am späten Abend des 18. September entschieden, an ihrer umstrittenen EU-Kandidatenliste festhalten zu wollen – trotz des Verdachts auf Hochstapelei bei den beiden umstrittenen Kandidaten. Dieser Verdacht schwebt nun weiter über dem sachsen-anhaltischen Kandidaten Arno Bausemer.

Jura-Professor: Kandidatenaufstellungsverfahren müsste erneut erfolgen

Wie der mdr im Vorfeld berichtet hatte, müsste die komplette Wahl der AfD-Kandidaten zur EU-Wahl eigentlich wiederholt werden, falls sich herausstellen sollte, dass auch „nur einer der AfD-Politiker bei seiner Bewerbung in Magdeburg falsche Angaben gemacht“ habe. So habe Prof. Michael Brenner, Jurist an der Universität Jena, argumentiert:

Stellt sich der Mangel im Vorfeld der Einreichung der Liste – also vor Einreichung beim Wahlleiter – heraus, so kann eine Bewerberauswechslung nur über ein neues Kandidatenaufstellungsverfahren herbeigeführt werden.“

Dieser Grundsatz gelte auch für die „Streichung einzelner Bewerber“. Falls ein Kandidat ausscheide, müsse den wahlberechtigten „Mitgliedern Gelegenheit gegeben werden, über die neue Reihenfolge der Liste zu befinden“, so Brenner. Das entspreche den „demokratischen Grundsätzen“. Ein „Sprecher der Bundesgeschäftsstelle“ der AfD habe diese Einschätzung geteilt, so der mdr.

Hintergrund: Nominierungsparteitag in Magdeburg

Die AfD hatte an zwei Wochenenden Ende Juli und Anfang August in Magdeburg einen Nominierungsparteitag abgehalten. Dabei wurden jene 35 Parteimitglieder gewählt, die bei der EU-Parlamentswahl im Juni 2024 für die Partei antreten sollen. Die komplette Liste der Kandidaten findet sich auf der AfD-Website.

Vor der Abstimmung hatte die blaue Partei stets betont, Bewerber „mit praktischer Berufserfahrung“ ins Rennen schicken zu wollen, um sich damit vom Berufspolitikertum anderer Parteien abzugrenzen.

Verdacht auf Hochstapelei ließ AfD handeln

Kurz nach der Wahl hatten Medien, allen voran „t-online“, Nachforschungen über die Kandidaten angestellt – und einige Ungereimtheiten speziell bei den biografischen Angaben der siegreichen Bewerber Bausemer und Khan-Hohloch zutage gefördert.

Am 21. August kündigte der AfD-Parteivorstand deshalb an, die Lebensläufe sämtlicher 35 Kandidaten überprüfen zu lassen. Die Listenkandidaten mussten bis zum 11. September Belege über speziell jene „Angaben, die sie in ihren Reden während der Europawahlversammlung getätigt haben“, einreichen. Gemeint waren die entsprechenden Aussagen zu Berufs- oder Studienabschlüssen. Auf Belege für sämtliche Daten in den eingereichten Lebensläufen hatte die Partei aber verzichtet.

Die Überprüfung wurde vom Bundesvorstand in die Hände zweier „Vertrauenspersonen der Wahlleitung“ und des AfD-Bundesgeschäftsführers gelegt. Der hatte nun eine Woche Zeit, den Vorstand über das Ergebnis der Prüfung zu unterrichten.



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