„Anti-Stau-Gebühr“ soll Individualverkehr aus Innenstädten vertreiben

Eine „Anti-Stau-Gebühr“ soll deutsche Innenstädte entlasten. Eine ifo-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in München bereits sechs bis zehn Euro Maut pro Tag mindestens 600 Millionen Euro einbringen und die Straßen um 33 Prozent leeren könnten. – Dafür ist der ÖPNV jedoch nicht gewappnet.
Titelbild
München zählt zu den staureichsten Städten Europas. Eine Städte-Maut könnte laut ifo-Institut bis zu 40 Prozent des Verkehrs innerhalb des Mittleren Ringes fernhalten.Foto: Johannes Simon/Getty Images
Von 17. September 2020

Die bayerische Landeshauptstadt gehört zu den staureichsten Städten Europas und könnte dringend Erleichterung brauchen. Laut zwei Studien des Instituts für Wirtschaftsforschung der Universität München könnte eine „Anti-Stau-Gebühr“ – eine Maut ähnlich der Londoner „Congestion Charge“ – die Verkehrsdichte um über 30 Prozent reduzieren. Die Kosten: sechs bis zehn Euro, pro Fahrzeug, pro Tag – oder mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr.

Das ifo-Institut geht davon aus, dass, wenn Autofahrer auf andere Verkehrsmittel umsteigen, der Verkehr in und um München abnimmt. „Geschäfte und Kunden wären wieder schneller und zuverlässiger erreichbar.“ Davon profitierte der Einzelhandel und der Wirtschaftsstandort München werde noch attraktiver und produktiver. Die Anti-Stau-Gebühr – man hat es absichtlich nicht Maut genannt – habe zudem den Vorteil, „dass den Menschen zumindest die Möglichkeit bleibt, mit dem Auto zu fahren“, sagte Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.

Hohe Parkgebühren zeigen keine Wirkung – ÖPNV überfordert

Eine Anti-Stau-Gebühr von 6 Euro am Tag könnte den Verkehr in München innerhalb des Mittleren Ringes um 23 Prozent verringern. Bei 10 Euro wären es sogar 30 Prozent, in Spitzenzeiten sogar 41 Prozent. „Damit könnten wir die Stauprobleme in der Innenstadt in den Griff bekommen“, sagte Falck

Wirkung einer Tagesmaut in München. Foto: ifo-Institut

Dabei beziehen die Berechnungen schon höhere Parkgebühren von 10 statt 6 Euro am Tag mit ein. Dies wird bereits in Teilen der Münchner Innenstadt ausprobiert. Die Studien kommen aber auch zu dem Ergebnis, dass „eine alleinige Erhöhung der Parkgebühren so gut wie keine Wirkung“ hätte.

Beide Probleme – verstopfte Straßen und Parkplätze – könnte der öffentliche Personennahverkehr lösen. Aber es gibt ein Problem: Der Münchner ÖPNV sei momentan nicht in der Lage, die zusätzlichen Fahrgäste „schnell und zuverlässig“ ans Ziel zu bringen.

„München Congestion Charge“

Ähnliche Mautsystem existieren in verschiedenen europäischen Städten, einschließlich Stockholm und London. In London kostet das Befahren mit dem eigenen PKW zwischen 15 und 30 Pfund (16,50 bis 33 Euro). Schwere LKW zahlen bis zu 130 Euro. Pro Tag.

„Wir haben die Anti-Stau-Gebühr gezielt nicht Maut genannt“, sagte Falck gegenüber dem „Business Insider“. Weiter erklärte er: „Eine Maut zielt immer auf Einnahmegenerierung ab. Die Gebühr hingegen soll eine Lenkungsfunktion haben.“ Sechs bis zehn Euro seien dabei hoch genug, „um Autofahrer zum Überlegen zu bringen“. Erhöhte Parkgebühren träfen hingegen „nur die, die keinen Bewohnerschein oder Privatparkplatz haben.“ Die „Anti-Stau-Gebühr“ betrifft alle.

In London ist die Stadt jedoch in Vorleistung gegangen und hat den ÖPNV zunächst auf eigene Kosten ausgebaut. Langfristig konnte so der Verkehr zwischen 15 und 44 Prozent verringert werden. Verbessert sich das Angebot des ÖPNV hinsichtlich Taktung, Sauberkeit und Preis, könnten einige Autofahrer auch ohne Zwangsgebühr auf Busse und Bahnen umsteigen.

Da der ÖPNV ein Knackpunkt in der zukünftigen Mobilität spielen werde, plädiert Falck dafür, „die Anti-Stau-Gebühr nicht von heute auf morgen, sondern erst etwas später einzuführen.“ Die Anti-Stau-Gebühr solle zudem keine „Verpflichtung sein, aufs Auto zu verzichten“. Die Entscheidung muss individuell bleiben – solange man es sich leisten kann.

Am Ende zahlt immer der Deutsche Michel … den Umzug

Gemäß ifo-Zahlen stehen die Münchner durchschnittlich 140 Stunden pro Jahr im Stau. Der Wert des Zeitverlusts belaufe sich dabei auf etwa 2.500 Euro. Wer fünf Tage die Woche in die Stadt fahren muss und jedes Mal 10 Euro bezahlt, landet am Ende bei demselben Betrag – nur dass eine Maut nicht garantiert, dass es keine Staus mehr gibt.

Als Gewinner sehen die Münchner den Handel und das Handwerk, die aufgrund freier(er) Straßen schneller von A nach B kämen und so mehr Aufträge annehmen könnten. Das mache sie unter dem Strich sogar in doppelter Hinsicht zum Mehrverdiener. Weniger Staus heißt mehr Aufträge und die steigenden Anfahrtskosten pro Auftrag zahlt der Kunde.

Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es keine Ausnahmen von der geplanten Städte-Maut geben würde. Sinnvolle Ausnahmen wären Rettungsdienste, ÖPNV – ohne Taxis, da darin meist nur ein Fahrgast sitzt – sowie städtische Fahrzeuge wie Müllentsorgung. Auch das Lieblingskind deutscher Politiker – E-Autos und Hybride – würde vermutlich eine Ausnahmeregelung bekommen, obwohl diese keineswegs weniger Verkehr bedeuten. Im Gegenteil, E-Autos, die zum Carsharing genutzt werden oder die fahrerlos einen (günstigen) Parkplatz suchen, bleiben länger auf den Straßen.

Weitere Ausnahmen könnten Anlieger und Unternehmen betreffen sowie Fahrzeuge mit H-Kennzeichen (Oldtimer). Sollten Anwohner in einer der ohnehin teuersten Städte Deutschlands für den täglichen Arbeitsweg oder Einkauf zukünftig zusätzlich Maut zahlen, bleibt im Sinne der Stadtverwaltung eine Frage offen: Entscheiden sich die Autofahrer tatsächlich nur, ob sie mit dem Auto oder den Öffentlichen in die Stadt fahren – oder ob sie nicht doch lieber umziehen sollten.



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion