Forsche Leipziger rütteln am Bayern-Sockel
Die Sache ist klar: Bayern muss, Leipzig will. Die ganze Fußball-Nation blickt gebannt nach München, wo am Mittwoch (20.00 Uhr) im großen Jahres-Endspiel die Machtverhältnisse in der Bundesliga aus den Angeln geraten könnten.
„Es geht um mehr als drei Punkte“, sagte Thomas Müller zur brisanten Kraftprobe um Platz eins an Weihnachten. „Klein gegen Groß, Aufsteiger gegen Bayern München“ – nicht nur für Müller kommt das Allerbeste zum Schluss.
Es ist kein Fußball-Klassenkampf. Dafür ist der vom österreichischen Getränkekonzern Red Bull gesponserte Liga-Neuling aus Sachsen viel zu gut aufgestellt und in Rekordzeit zu einem deutschen Spitzenclub mit internationaler Perspektive gereift. Trotzdem ist es ein Duell der Gegensätze: Rekordmeister gegen Rekordaufsteiger, Erster gegen Zweiter, erfahrene Weltstars gegen hungrige Talente sowie ein Trainer mit Weltruhm gegen einen landesweit bestaunten Projektentwickler.
Und natürlich gefällt Ralph Hasenhüttl die komfortable Rolle als Herausforderer des dreimaligen Champions-League-Gewinners Carlo Ancelotti. „Der Gegner würde im eigenen Stadion alles andere als einen Sieg wahrscheinlich schon als Majestätsbeleidigung werten“, sagte der Österreicher kess und versprach: „Wir werden mutig, mit einem klaren Plan und viel Selbstvertrauen auftreten.“
Carlo Ancelotti weiß, dass der Druck bei ihm und seinem Team liegt. Es geht in diesen 90 Minuten auch um sein erstes Zwischenzeugnis in München. Der Italiener sieht sich im Soll: „Die Resultate in der ersten Halbserie waren okay.“ Schon ein Unentschieden würde in der Kraftprobe des punktgleichen Spitzenduos zur Verteidigung der Tabellenführung reichen, aber kaum für Weihnachtsfreude unterm Münchner Weihnachtsbaum. Die Bayern-Bosse erwarten einen Abend, der ihrem Mia-san-mia-Anspruch entspricht. „Wir wollen mit unserem Stil gewinnen“, sagte Ancelotti. Dominant und mit Persönlichkeit.
Es ist das 25. Pflichtspiel von Ancelotti mit dem FC Bayern – und immer noch ist das Erscheinungsbild des Münchner Starensembles unter seiner Anleitung diffus. Das 1:0 in Darmstadt war mal wieder nicht Bayern-like. Gegen die auswärtsstärkste und zugleich jüngste Mannschaft der Liga werde „eine ordentliche Leistung“ nicht reichen, ahnt Nationalspieler Mats Hummels. „Nach dem bisherigen Saisonverlauf traue ich uns vieles zu“, sagte Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick selbstbewusst, auch wenn er weiß: „Um in München etwas zu holen, müssen wir am absoluten Leistungslimit spielen.“ Die Bayern sind das beste Heimteam, zu Hause seit 13 Liga-Partien ungeschlagen.
Hasenhüttl will in seinem 50. Bundesligaspiel als Trainer das Kollektiv als Trumpfkarte ausspielen. „Wir spielen nicht elfmal eins gegen eins, sondern einmal elf gegen elf“, sagte er mit Blick auf die größere individuelle Klasse des Gegners. Manuel Neuer ist natürlich ein besserer Torwart als Peter Gulacsi. Der Däne Yussuf Poulsen (22) ist noch kein Weltklassestürmer wie Robert Lewandowski. Und welche Vita können die Oldies Arjen Robben und Franck Ribéry im Vergleich zu den RB-Shootingstars Timo Werner oder Emil Forsberg vorweisen. Na und, erklärte Rangnick, der unerschrockene Bayern-Jäger: „Je mehr jeder Bayern-Spieler das Gefühl hat, gegen elf Leipziger gleichzeitig zu spielen, umso größer ist unsere Chance, etwas mitzunehmen.“
Personell hat Leipzig ein kapitales Problem, wenn Naby Keita (Oberschenkel) im Mittelfeld ausfallen sollte. Dieses Handicap wöge ungleich schwerer als das Fehlen des am Brustmuskel operierten Weltmeisters Jérôme Boateng in der Münchner Abwehr. Die zuletzt pausierenden Philipp Lahm und Robben sind einsatzbereit.
Erwartet wird, dass Ancelotti gegen die schnellen, konterstarken Leipziger mit seinen „Großen Vier“ zum Angriff bläst, also im offensiven 4-2-3-1-System mit Lewandowski, Müller, Robben und Ribéry. „Der Schlüssel ist die Balance zwischen Offensive und Defensive“, betonte Ancelotti: „Es gibt keine Revolution in der Aufstellung.“
Die andere Kernfrage lautet: Wie cool sind Leipzigs Himmelsstürmer wirklich? Das Topspiel vor 75 000 Zuschauern genießt den äußeren Rahmen eines Champions-League-Abends. Alltag für die Gastgeber, Neuland für die Gäste. Von einem „Bonusspiel“ sprach der gewiefte Hasenhüttl. „Wir müssen nicht, wir wollen, wir können“, verkündete der Defensiv-Allrounder Stefan Ilsanker. Einfach locker bleiben.
Das passende Schlusswort zum „fantastischen Spiel“ (Ancelotti) sprach mal wieder Thomas Müller: „Das Spiel ist als Jahresabschluss für ganz Fußball-Deutschland wunderbar. Für uns ist es auch wunderbar – falls wir gewinnen sollten.“ Bayern muss, Leipzig will. Schöne Bescherung. (dpa)
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