Marokko erreicht Viertelfinale der FIFA-WM – Ausschreitungen überschatten Feiern
Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat die Fußball-Nationalmannschaft Marokkos das Viertelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft erreicht. Am Dienstag, dem 6. Dezember, gelang dem Team bei der FIFA-WM in Katar sensationell das Weiterkommen gegen die favorisierten Spanier.
Nach der Verlängerung hatte es im Achtelfinale immer noch 0:0 geheißen. Im Elfmeterschießen setzten sich die Nordafrikaner mit 3:0 durch.
Größter Erfolg der Geschichte für den Fußball in Marokko
Nicht nur in Marokko und in vielen Staaten Nordafrikas und der muslimischen Welt feierten Fans den Überraschungserfolg des Teams. Bei bislang fünf WM-Teilnahmen hatte es Marokko lediglich 1986 ins Achtelfinale geschafft. Auch in mehreren europäischen Städten feierten marokkanische Einwanderer den Erfolg der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern.
In einigen Städten blieben die Feierlichkeiten jedoch nicht ausschließlich friedlich. Nachdem es bereits nach dem Vorrundensieg von Marokko gegen Belgien zu Ausschreitungen in Brüssel gekommen war, bot sich am Dienstag ein ähnliches Bild. Insgesamt 119 Menschen wurden dabei vorübergehend festgenommen. In Antwerpen kam es zu 20 derartigen Amtshandlungen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur „Belga“ haben Feiernde Steine geworfen und einen Container angezündet. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm mehrere Personen fest, berichtet der „Sportbuzzer“.
Väter stellen Nachbarschaftswache auf
Zusammenstöße gab es auch in einigen niederländischen Städten. In Rotterdam habe es 35 Festnahmen gegeben und es seien Feuerwerkskörper geflogen. Die Bereitschaftspolizei musste Plätze und teilweise auch Straßen räumen. Ausschreitungen unter Einsatz von Feuerwerkskörpern, Randale und Gewalt gegen Einsatzkräfte gab es auch in Amsterdam und Den Haag.
Anwohner aus marokkanischen Einwandererkreisen im Den Haager Stadtteil Schilderswijk gaben gegenüber lokalen Medien an, dass viele Krawallmacher nicht von dort kämen. Sie seien offenbar aus anderen Stadtvierteln oder Nachbargemeinden angereist – einige wohl schon mit der Absicht, Unruhe zu stiften.
Engagierte Väter hätten eine Art Nachbarschaftswacht ins Leben gerufen, um Jugendliche zur Mäßigung aufzurufen. Wo sie nicht auf Gehör gestoßen seien, hätten sie der Polizei die Initiative überlassen.
In Spanien riefen Imame in Moscheen dazu auf, es bei den Feiern nicht zu übertreiben. Im Land blieb es weitgehend friedlich, auch in Städten mit hohem maghrebinischen Bevölkerungsanteil. Lediglich in Huelva kam es zu Zusammenstößen mit spanischen Fans und Einsatzkräften.
Entfremdung junger Einwanderer als möglicher Faktor
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sieht in den Ausschreitungen einiger Jugendlicher den Ausdruck einer Entfremdung gegenüber der belgischen Mehrheitsgesellschaft. Mit etwa 600.000 Menschen oder knapp fünf Prozent der Bevölkerung stammt die größte Einwanderergruppe im Land aus Marokko. Unter den Jugendlichen stellen Marokkaner neun Prozent der Bevölkerung.
Die meisten von ihnen sind Nachkommen jener Einwanderer, die in der Zeit von 1964 bis 1974 ins Land gekommen seien. Von da an war im Regelfall nur noch Familiennachzug möglich. Zu trauriger Berühmtheit brachte in den 2010er-Jahren der Brüsseler Stadtteil Molenbeek, wo sich einige extremistische Zellen gebildet hatten. Auch einige Attentäter des „Islamischen Staates“ waren aus dem Viertel gekommen, dem seither ein Ruf von Gesetzlosigkeit und Terrorismus vorauseilt.
Viele Zuschreibungen mögen übertrieben sein, dennoch bestätigt auch eine 2015 erschienene Studie der König-Baudouin-Stiftung eine tiefgreifende Entfremdung. Zwar habe sich die Einkommens- und Bildungssituation auch unter Einwanderern aus Marokko zuletzt verbessert,
trotzdem bleiben Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und Rassismus wichtige Phänomene des Alltags für belgische Türken und belgische Marokkaner.“
Grundsätzlich sei unter den in Belgien geborenen jungen Muslimen zwar eine grundsätzliche Identifikation mit Staat und Verfassung vorhanden, zur areligiösen und permissiven Mehrheitskultur blieben die meisten dennoch innerlich auf Distanz.
Ambivalentes Verhältnis zu Ex-Protektoratsmacht Spanien
In Spanien stelle sich die Situation entspannter dar. Dort leben mehr als 870.000 Einwanderer aus Marokko, und Spanien hatte Teile des heutigen Marokkos bis 1956 als „Protektorat“ kontrolliert – die Westsahara gar bis 1975.
Andererseits sind sogar einige der heutigen marokkanischen Nationalspieler in Europa geboren oder aufgewachsen. Der entscheidende Elfmeterschütze vom Dienstag, Achraf Hakimi, spielte sogar in der spanischen Jugend-Nationalmannschaft.
Zwischen Spanien und Marokko gibt es regelmäßig politische Spannungen – vor allem in Zusammenhang mit dem Westsahara-Konflikt. Marokko beansprucht das Gebiet für sich, Sahraui-Stämme wollen eine Einnahme ihrer Territorien jedoch nicht hinnehmen. Spanien lavierte häufig zwischen einer politischen Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts der Sahrauis und Verständnis für Marokko.
Wirtschaftlich sind intakte Beziehungen zwischen den beiden Staaten jedoch für beide Seiten zu wichtig, um eine Eintrübung des Verhältnisses zu riskieren. Außerdem gilt Marokko als wichtiger Partner im Kampf gegen Terrorismus und irreguläre Einwanderung.
Wird Marokko 2030 selbst Gastgeber der FIFA-WM?
Im Viertelfinale trifft Marokkos Überraschungsteam auf Portugal. Nach einer eher glanzarmen Gruppenphase hat das Team von Trainer Fernando Santos am Dienstag beim 6:1 gegen die Schweiz eine Galavorstellung geboten.
Sollte Marokko ins Halbfinale einziehen, könnte es zum nächsten, auch politisch sensiblen Duell kommen. Ein möglicher Gegner wäre Frankreich und dieses war neben Spanien von 1912 bis 1956 sogenannte Protektoratsmacht Marokkos.
Die Nordafrikaner könnten 2030 selbst zum Gastgeber der Fußball-WM werden. Zuvor hatte sich das Land bereits für die Turniere 1994, 1998, 2006, 2010 und 2026 beworben. Um die Chancen zu erhöhen, denkt man daran, noch einen weiteren Verband mit ins Boot zu holen. Eine Option wäre dabei das Nachbarland Tunesien. Auch eine gemeinsame Bewerbung mit Spanien und Portugal wäre jedoch denkbar.
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