Vor WM-Halbfinale Frankreich gegen Marokko: Angst vor Krawallen in Europa

Am Mittwoch begegnen einander die Teams von Frankreich und Marokko im Halbfinale der Fußball-WM in Katar. In Europa befürchtet man erneute Ausschreitungen.
Marokkos Nationalspieler Sofiane Boufal (l.) tanzt nach dem Sieg gegen Portugal in Katar mit seiner Mutter auf dem Rasen.
Marokkos Nationalspieler Sofiane Boufal (l.) tanzt nach dem Sieg gegen Portugal in Katar mit seiner Mutter auf dem Rasen.Foto: Cao Can/XinHua/dpa
Von 13. Dezember 2022

Am kommenden Mittwoch (14.12.) findet in Al Khor das zweite Halbfinale der FIFA-WM in Katar statt. Titelverteidiger Frankreich trifft dabei auf die Sensationsmannschaft von Marokko, die als erstes afrikanisches Team überhaupt eine Runde der letzten Vier erreichte.

Auf dem Platz verspricht das Duell Spannung. Der Titelverteidiger agierte bislang über weite Phasen des Turniers souverän, auch wenn es im Viertelfinale nur zu einem eher glücklichen 2:1 gegen England reichte. Marokko setzte sich gegen Portugal mit 1:0 durch und hat im bisherigen Turnierverlauf nur einen einzigen Gegentreffer hinnehmen müssen – durch ein Eigentor gegen Kanada.

Bisher ein Sieg von Marokko in vier Begegnungen

Bislang gab es erst vier Aufeinandertreffen der beiden Teams, davon zwei im Rahmen des König-Hassan II.-Pokals in Casablanca. In den Jahren 1988 und 1999 gewann Frankreich jeweils knapp (2:1 bzw. 1:0), im Jahr 2000 souverän mit 5:1. Beim Kurzturnier in Casablanca zwei Jahre zuvor setzte sich hingegen Marokko mit 8:7 (2:2, 1:1) im Elfmeterschießen durch.

Auf ein solches könnte das Team des in Frankreich geborenen Trainers Walid Regragui auch am Mittwoch hoffen. Gegen Spanien setzte man sich nach einem 0:0 nach 120 Minuten im Penalty-Shootout mit 3:0 durch.

Bisher verhältnismäßige Ruhe in Frankreich

Das sportliche Event droht jedoch zumindest auf europäischem Boden erneut durch mögliche Unruhen im Umfeld der Begegnung überschattet zu werden. Bereits am Rande der bisherigen Auftritte des marokkanischen Nationalteams gegen Belgien und Spanien waren Siegesfeiern zum Teil in Krawalle ausgeartet.

Dies betraf vor allem einige Außenbezirke Brüssels und Antwerpens. Aber auch in den Niederlanden gab es in mehreren Städten Ausschreitungen. Betroffen waren vor allem Stadtteile von Den Haag, Rotterdam und Amsterdam.

Während es in Spanien und auch in Frankreich bis dato weitgehend ruhig blieb, könnte die Begegnung mit der früheren Protektoratsmacht die Emotionen hochkochen lassen.

Größter Teil von Marokko war französisches Protektorat

In der Zeit von 1907 besetzte Frankreich den größten Teil Marokkos militärisch. Im Jahr 1912 begründete Paris das Protektorat, das sich über das gesamte Gebiet erstreckte mit Ausnahme zweier dünner Streifen an der Straße von Gibraltar und der Westsahara. Diese waren spanisches Protektoratsgebiet.

Während der regierende Sultan von Marokko sich mit den Franzosen zu arrangieren suchte, führten die Zaianischen Berberstämme von Beginn an einen bewaffneten Aufstand. Die arabisch-nationalistischen Kräfte gewannen ab den 1930er Jahren zunehmend an Bedeutung. Ihre Zerstrittenheit verhinderte jedoch über längere Zeit hinweg einen Erfolg im Kampf um die Unabhängigkeit.

Erst die Unterstützung der antikolonialen Bestrebungen durch die USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt bewirkte eine Einigung der arabisch-nationalistischen Fraktionen.
Nach 1945 spitzte sich die Lage zu. Massaker der französischen Truppen wie 1947 in Casablanca und Ereignisse wie die Verbannung des reformorientierten Sultans Muhammad V. mobilisierten die „Marokkanische Befreiungsarmee“.

Kolonialgeschichte und aktuelle Ausgrenzungserfahrungen als Brandbeschleuniger

Zwar verlief der marokkanische Unabhängigkeitskampf weniger blutig als beispielsweise jener in Algerien. Auch die Entkolonialisierung nach der Rückkehr von Muhammed V. endete zumindest mit Teilerfolgen Frankreichs, was die Aufrechterhaltung von Einfluss anbelangt.

Dennoch ist die Kolonialzeit in vielen Maghreb-Staaten immer noch ein Faktor, der in der kollektiven Psyche nachwirkt. Fußball-Begegnungen verstärken diesen Faktor häufig. So wurde beispielsweise das bislang einzige Testspiel zwischen Frankreich und Algerien in Paris 2001 beim Stand von 4:1 abgebrochen. Damals hatten Zuschauer mit algerischen Flaggen in der 77. Minute das Spielfeld gestürmt.

Wie auch in Belgien gibt es auch in Frankreich erhebliche Entfremdungstendenzen zwischen Jugendlichen aus maghrebinischen Einwanderergruppen und der Mehrheitsbevölkerung. Viele von ihnen leben in trostlosen Vorstadtvierteln und sehen sich als Zielobjekte von sozialer Benachteiligung und antimuslimischem Rassismus. Das marokkanische Fußball-Nationalteam wiederum verkörpert bei der WM in Katar sowohl die Hoffnungen Afrikas als auch jene der islamischen Welt.

Die ungelösten Probleme im Zusammenleben zwischen ethnischen und religiösen Minderheiten und der Mehrheitsbevölkerung könnten sich auch am Mittwoch wieder gewaltsam entladen. Wobei das Auftreten von Unruhen vom Ausgang des Spiels unabhängig sein dürfte.



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