Nach oben – Interview mit Kletterer Frank Strempel

Sind wir doch einmal ehrlich: Wenn wir an Sport denken, denken wir doch als erstes an die Champions League, an Weltmeisterschaften oder an Höchstleistungen im Profisport. Von den Sportlern, die nebenan wohnen und ebenfalls Höchstleistungen vollbringen - von ihnen wissen wir sehr wenig, weil ihre Leistungen nicht täglich in den Medien präsent sind. Und trotzdem gibt es sie, die vielen Sportler, die sich nach Feierabend noch aufraffen und trainieren, um Spitzenleistungen zu vollbringen. Einer von ihnen ist Frank Strempel, verheiratet, zwei Töchter, Streetworker.
Titelbild
Höhenangst nein, Respekt vor der Höhe ja: Frank Strempel an einem Felsen auf Korsika. (Strempel)
Epoch Times8. Oktober 2008

Nach Feierabend trainiert Frank Strempel hart und fährt dann am Wochenende in die Berge, um dort seine Kräfte mit den Felsen zu messen. The Epoch Times Deutschland sprach mit Herrn Strempel, der mittlerweile selbst Jugendliche im Klettern ausbildet, über seine Trainingsmotivation und seine Faszination am Klettern.

ETD: Herr Strempel, was treibt Sie, im wahrsten Sinne des Wortes, zu Höchstleistungen?

Frank Strempel:
Da ich mich selbst als ambitionierten Klettersportler sehe, ist es natürlich mein Ziel, noch viel weiter nach oben zu kommen. Hiermit meine ich aber nicht unbedingt nur den höchsten Berg, sondern mich auch in der Schwierigkeitsskala des Kletterns ständig zu verbessern. Letztendlich brauche ich eine Messlatte, an der ich sehe, dass ich immer besser werde. Ich bin jetzt 42 Jahre alt, und es geht mit meiner Leistung immer noch weiter nach oben. Wenn ich es dann geschafft habe und oben auf dem Berg stehe, gibt mir das so ein Gefühl wie „Ich bin stark, das hab ich geschafft“. Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn du ein Ziel erreicht hast, bei dem du deine ganze Kraft eingesetzt hast.

ETD:
Was macht für Sie den Reiz beim Klettern aus?

Strempel:
Am Anfang war das für mich ein großes Abenteuer – du kletterst hoch, du riskierst dein Leben, du bist ein Mann, du bist ein Held, diese ganzen Klischees; du konntest dich an irgendetwas messen, und du musstest dabei alles geben. Du hast eben so ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer, das man so im Leben nicht hat. Mittlerweile ist das bei mir aber komplett anders, und der körperliche Aspekt ist jetzt einer mentalen Geschichte gewichen. Ich merke, dass es an der Leistungsgrenze immer wichtiger wird, dass der Kopf stimmt. Wenn der Kopf nicht 100 Prozent bei der Sache ist, wird der Körper kaum Erfolg haben. Du musst dich ständig entscheiden, und das immer an einer absoluten Grenze.

Wo ich im Moment klettere, gibt es keine Möglichkeit, mich in der Wand irgendwo festzuhalten und zu verschnaufen. Du hängst dann an zwei Fingern an irgendeiner Ritze und schaffst es dann gerade so zur nächsten Ritze, und von da aus dann wieder zum nächsten kleinen Griff – das ist ein irres Gefühl. Du hast auch keine Zeit zum Überlegen, das muss wahnsinnig schnell gehen. Wenn dann der Kopf nicht hundertprozentig bei der Sache ist, wenn du da in der Wand an dir zweifelst oder dich zu sehr unter Druck setzt und deine Kräfte nicht wirklich auf den Punkt kanalisierst, wird es extrem schwer, es zu schaffen. Ich finde es auch faszinierend, dass du ständig Entscheidungen treffen musst und Sekundenbruchteile später die Rückmeldung bekommst, ob es die richtige Entscheidung war oder die falsche. Wenn du die richtige getroffen hast, kommst du weiter; die falsche, naja, dann sitzt du eben spontan wieder ganz unten und hast vielleicht noch eine schwere Verletzung.

Das alles zusammen ist für mich ein wahnsinnig tolles Gefühl. Aber dass wir uns nicht falsch verstehen: Das Spiel mit dem Leben und dem Tod interessiert mich nicht. Als ich 25 war, habe ich gedacht, das ist es, da bin ich viele Solos geklettert, die immer an meiner Leistungsgrenze waren. Ich meine damit, dass ich bei diesen Kletterrouten keinen Puffer mehr gehabt habe, und das alles auch noch ohne Seil. Ich kam auch in Situationen, die ich einfach nicht mehr unter Kontrolle hatte. Nach ein paar Jahren hab ich mir gedacht: „Lass das lieber, denn der Krug geht nur solange zum Brunnen, bis er bricht“.

ETD:
Wie sah denn so eine Situation aus, als Sie sie nicht mehr unter Kontrolle hatten?

Hartes Training an der Kletterwand.  (Steffen Andritzke/ETD)Hartes Training an der Kletterwand. (Steffen Andritzke/ETD)

Strempel: Ich hing mal in einer Wand und es war zu spät zum Umkehren. Plötzlich habe ich gemerkt, da kommt etwas in meinen Kopf rein und ich hab die Angst gespürt, die sich in meinen Kopf einschleichen wollte. Die hat sich dann richtig meines Körpers bemächtigt, und als dann der ganze Körper der Angst nachgegeben hat und angefangen hat zu schwingen – das war schon heftig. Ich hab dann versucht, mich zu beruhigen, mich gezwungen, langsam und ruhig zu atmen. Ich habe gewusst, wenn ich es nicht schaffe, mich zu beruhigen, kann ich hier sterben und das will ich nicht. Das war damals so ein Punkt, wo ich mir gesagt habe, o.k. – diese Art von Kick brauche ich nicht. Ich habe das für mich ausgelotet; ich habe diesen Punkt überwunden, aber ich brauche das nicht mehr. Ich möchte auch dieses Gefühl nicht haben. Es gibt Leute, die mögen sowas und die gehen da wesentlich weiter.

ETD: Gibt es so etwas wie Höhenangst bei Kletterern?

Strempel: Ich würde nicht sagen, dass ich Höhenangst habe. Aber es gibt so etwas wie Respekt vor der Höhe, denn ich weiß natürlich auch: Wenn ich da runterfalle… das ist absolut tödlich… und wenn ich einmal falle, gibt es kein zurück mehr. Ich will nicht sterben – ich will klettern.

ETD: Was macht man denn als Kletterer, wenn einen auf halber Strecke in der Wand die Kraft verlässt?

Strempel: Wenn du mit Seil kletterst, ist alles kein Problem, dann fällst du in das Seil rein und dein Freund lässt dich ab. Wenn du jedoch ohne Seil kletterst, darf dir das einfach nicht passieren. Ich habe beim Klettern auch sehr viel über mich selbst gelernt. Der größte und schwierigste Gegner ist das eigene Ego. Man vermasselt sich oft ganz viel selbst durch zu hohe Erwartungen oder zu viel Druck, oder aber auch durch zu wenig Druck. Das richtige Maß zu finden, die Entschlossenheit, die innere Ruhe und innere Kraft aufzubringen und das dann zu bündeln – das ist für mich die Herausforderung und das Wahre.

ETD: Ist das alles eine Willensfrage?

Strempel: Ja, das ist eine absolute Willensfrage. Manchmal ist es so, dass du in der Wand hängst, du bist total kaputt, deine Hände
bluten; eigentlich müsstest du schon lange nach Hause gegangen sein – aber der Wille sagt dir: Komm, komm… und wenn du dann oben angekommen bist, weißt du, dass dich nur dein Kopf hierher gebracht hat, denn dein Körper war schon lange am Ende.

ETD:
Haben Sie schon viele Verletzungen gehabt?

Strempel: Gott sei dank nicht. Ich hatte immer nur so kleinere Geschichten mit den Sehnen, Fingern und Schultern. Ich bin auch nur einmal richtig gestürzt. Da hab ich mir den Knöchel verdreht und hatte dann auch eine Bänderzerrung, an der ich jahrelang laboriert habe. Aber, toi toi toi, große Verletzungen habe ich noch nicht gehabt.

ETD: Wie sind Sie denn zum Klettern gekommen?

Strempel: Heute würde ich sagen, ich war damals ein Suchender. Ich war zuerst ein Punk, und dann bin ich ungefähr ein Jahr lang mit Fußballhooligans durchs Land gefahren. Aussteiger, Abenteurer – diese Nummer eben. Eines morgens schellte es an meiner Tür. Als ich aufmachte, stand da mein Kumpel Karo mit kurzen Hosen und sagte: „Los komm, lass uns mal klettern fahren“. Das war vor über zwanzig Jahren. Das Bild werde ich nie vergessen. Der stand da mit seinen kurzen Hosen und sagte das mit einer Selbstverständlichkeit, als wären wir schon immer zum Klettern gefahren. Da bin ich dann halt mit ihm mitgefahren und es hat mich gleich gepackt.

ETD: Wann wäre es denn bei Ihnen zu Ende mit der Kletterei?

Strempel: Ich denke, ein Ende gibt es nicht. Wenn ich älter werde, muss ich einfach umdenken und eben nicht mehr so schwierige Routen klettern. Man kann auch noch mit 60 oder 70 klettern.

ETD: Vielen Dank, Herr Strempel, für das Interview.

Das Interview führte Steffen Andritzke

Text erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 41/08



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