„So einfach ist das alles nicht“

Im Sommer wird Imke Duplitzer nach Peking fliegen, um dort nach 1996, 2000 und 2004 zum vierten Mal bei Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie wird aber nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen. Im Interview äußert sich die Fechterin zum Thema Menschenrechte und über ihre Sicht als Sportlerin .
Titelbild
Imke Duplitzer 2004 (Photo by Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images)
Von 16. Mai 2008
Imke Duplitzer 2004 (Photo by Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images)
Imke Duplitzer 2004 (Photo by Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images)

ETD: Frau Duplitzer, Sie waren Teilnehmerin bei den Olympischen Spielen 1996, 2000 und 2004 – was für Erinnerungen haben Sie an diese Olympischen Spiele?

Imke Duplitzer: Ich habe bei diesen Spielen unglaublich viele bewegende Momente erlebt und sehr viele Freundschaften geschlossen. Aber es gab auch unglaublich bittere Momente, zum Beispiel, als ich 2000 einen völligen Blackout hatte und dann die Mannschaft gegen Russland, wo wir doch eigentlich schon auf der Siegesstraße waren, im letzten Gefecht in eine Niederlage mitgerissen habe.

Einer meiner schönsten Momente war 2004. Damals bin ich aus meinem Verein geflogen, weil ich die Wahrheit gesagt und Sponsorenpraktiken kritisiert habe und weil ich mich darüber geäußert hatte, wie Gelder im Verein verteilt werden. Mein ehemaliger Trainer damals hatte dann seinen Urlaub extra so organisiert, dass er beim Wettkampf da war, als wir die Silbermedaille gewonnen haben und als ich im letzten Gefecht den letzten Treffer gegen Frankreich gesetzt habe. Dann zu sehen, wie er sich da für uns gefreut hat – das war einfach wunderbar.

ETD: Was erhoffen Sie sich nun von Peking 2008?

Imke Duplitzer: Ich erhoffe mir, dass es im Sportlichen wunderschöne Spiele werden. Ich habe die Wettkampfstätte dort schon gesehen, als wir bei der WM da waren – das ist toll und wenn man das unkritisch sieht und sich nicht fragt, wie es zustande gekommen ist, dann muss man eben sagen, das ist toll. Ich bin in diese Halle hereingekommen und es hat sofort geprickelt…

ETD: Könnten Sie unseren Lesern bitte einmal Ihren Standpunkt zum Thema Menschenrechte in China in Verbindung mit den Olympischen Spielen erklären?

Imke Duplitzer: Das ist ein bisschen komplexer und ist auch nicht in drei Sätzen erledigt, denn das chinesische System hat eine andere Auffassung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit. Das kommt vielleicht auch daher, dass das System Angst hat, dass auf einmal 1,3 Milliarden Chinesen kreativ werden könnten, denn wenn das passieren würde, dann hätte die kommunistische Partei auf einmal ein großes Problem, weil dieses System dann eben so in dieser Form auch nicht mehr funktionieren könnte.

Auf der anderen Seite hat man ja auch die Olympiade dorthin vergeben, weil man diese Entwicklung anschieben wollte. Mit Sicherheit ist es jetzt auch eine sehr ungünstige Verknüpfung der Olympiade mit der KP Chinas, da diese ja eben erst den Tibet-Aufstand blutig niedergeschlagen hat. Dieses Regime ist in gewisser Weise eben auch die Nachfolgeinstitution von dem, welches auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Demokratiebewegung mit Panzern niederwalzen ließ. Aber auch das IOC agiert in dieser Geschichte ausgesprochen ungeschickt, denn wir wissen bis heute noch nicht so richtig, was wir als Athleten vom IOC aus dürfen und was nicht.

In diesem Zusammenhang habe ich versucht, eine Diskussion anzuregen, indem ich einmal gefragt habe: „Was sind denn eigentlich Menschenrechte? Sind sie ein Wert, den wir gerne mit dieser olympischen Bewegung transportieren würden – denn die Olympische Bewegung transportiert und verkauft ja auch sehr gerne Werte – oder sind sie ein Politikum; oder sind sie gar ein Wert, der zum Politikum wird, weil wir Gäste in einem Land sind, das mit der Respektierung der Menschenrechte Probleme hat?

Ich glaube, dass das erst einmal richtig definiert werden müsste, denn nur dann kann man sich weiter mit diesem Thema „Menschenrechte” im Rahmen der Olympischen Spiele in China auseinandersetzen. Aber man darf ja auch nicht vergessen, wie hoch nervös die jetzt alle sind, weil es eben auch um viel Kohle geht – und wegen drei Mark fünfzig wird man eben nicht so nervös…

ETD: IOC-Vizepräsident Thomas Bach sagte unlängst: „Bei all den Diskussionen sollten wir nicht vergessen: Es geht um den Sport…”

Imke Duplitzer: Auf der einen Seite muss ich ihm da auch recht geben. Ja, es geht um Sport und das wird in dieser Diskussion eben auch gern einmal vergessen. Ich äußere mich als Athletin zu diesem Thema, weil ich mir auch so meine Gedanken dazu mache, aber manche Athleten wollen das auch gar nicht oder aus informationstechnischen Gründen können sie sich auch gar nicht dazu äußern.

Aber die Athleten haben selbstverständlich auch ein Recht darauf, ihren Sport zu machen; sie haben ein Recht darauf, ihren Beruf auszuüben, denn wir sind ja im übertragenen Sinne in der Unterhaltungsindustrie tätig. Unser Beruf ist es, schöne sportliche Wettkämpfe abzuliefern, so dass sich jeder einzelne Einschalter der Glotze daran erfreuen und zerstreuen kann – insofern hat Herr Bach da auch Recht. Aber als Vizepräsident des IOC kann er sich auch nicht einfach nur hinstellen und sagen, es geht ja nur um Sport – das ist dann auf der anderen Seite eine sehr einfach gemachte Antwort.

ETD: Auf der einen Seite sagt das IOC, dass Olympia in China zur Verbesserung der Zustände und der Menschenrechte beitragen werde und auf der anderen Seite, wenn es konkret wird, sagt das IOC, es hätte mit Politik nichts zu tun…

Olympische Spiele Athen 2004, Degen / Mannschaft / Frauen / Finale; Imke Duplitzer / GER - Oxana Ermakova / RUS. 20.08.04. Silbermedaille für Deutschland. (Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)
Olympische Spiele Athen 2004, Degen / Mannschaft / Frauen / Finale; Imke Duplitzer / GER – Oxana Ermakova / RUS. 20.08.04. Silbermedaille für Deutschland. (Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Imke Duplitzer: So funktioniert es ja eben gerade nicht, denn als Nord- und Südkorea gemeinsam einmarschiert sind, hat sich das IOC das auch als völkerverbindend auf seine Fahne geschrieben. Das heißt, wenn es gut läuft, ist das IOC auch gerne bereit, sich das mit an den Hut zu stecken und wenn es schwierig ist, dann ist es eben nur ein Sportverband.

Es besteht eben auch das Problem, dass das IOC ja nun auch wirtschaftlich verflochten ist und es auch nicht genau definiert ist, in welchem Rahmen bewegt sich das IOC eigentlich. Es ist ja kein festgelegter Raum, in dem sich das IOC bewegt. Definieren Sie mir doch einmal das Internationale Olympische Komitee in zwei Sätzen – das geht nicht, man kann es sich also mit diesen ganzen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen, die das IOC mittlerweile hat, auch nicht so einfach machen.

Wenn man ein Funktionär auf einer bestimmten Ebene ist, dann kann man eben nicht mehr einfach nur sagen „ach, wir machen doch nur Sport”. Das funktioniert so nicht, denn wenn man sich mal so anschaut, in welchen Gremien diese Menschen sitzen… Da gibt es Verbindungen zur Politik und zur Wirtschaft und da kann ich mich nicht mehr nur hinstellen und sagen, wir leben als IOC in einem wirtschafts- und politikfreien Raum und wir machen nur Sport.

Man kann auch nicht sagen, das IOC sei kein Wirtschaftsunternehmen. Meiner Meinung nach ist das IOC ein Unternehmen, denn das IOC bilanziert in der Schweiz und das IOC hat einen sogenannten „Ausfallpuffer”, falls Olympia wirklich einmal aus irgendwelchen Gründen ausfallen würde. Diese Schäden, die bei einem eventuellen Ausfall entstehen würden – die können die locker bezahlen und wenn man weiß, um was für Summen es sich da handelt, da kann man sich ja vorstellen, wie viel „Puffer” die da „erwirtschaftet” haben. Dann frage ich mich aber andererseits, ist das nur ein Puffer, den man hat oder ist das Kapital, was man da hat? In dem Moment, wenn ich Kapital erwirtschaftet habe, bin ich ein Wirtschaftsunternehmen.

Und man kann auch nicht sagen, dass sie mit Politik nichts zu tun haben und Sport sei eine politisch neutrale Zone. Da sitzen Leute in den NOKs, die eben auch in einem politischen System eine Rolle gespielt haben oder teilweise noch spielen und da kann ich mich nicht hinstellen und sagen, wir sind ein politikfreier Raum. Das ist ja lächerlich – das ist ja nicht Herr Schmitz von der Volkshochschule und auch nicht die Ilse vom Sparmarkt, die da DOSB-Präsidentin ist, sondern das sind ja schon einzelne Menschen, die ihre privaten Interessen – wie auch immer motiviert – vertreten. Und da muss man auch einfach mal drüber reden, das muss man doch auch einmal ansprechen dürfen, ohne dass dann gleich beim IOC die Welle der Empörung überschwappt, so nach dem Motto „wir sind die Hüter einer hehren Idee und uns das zu unterstellen, ist ja unverschämt”.

Das IOC benutzt diese Olympische Idee als Vehikel, um Werte eines gemeinschaftlichen Zusammenseins zu transportieren. Früher hieß es auch immer: „Wenn die Olympischen Spiele stattfinden, schweigen die Waffen usw.” Diese Idee ist super, das ist klasse, aber ich muss halt verdammt gut aufpassen, was ich auf dieses Vehikel „Werte” im moralischen Sinne noch als „Werte” im wirtschaftlichen Sinne draufsetze. Da muss man meiner Meinung nach unglaublich aufpassen, dass da nicht als „Trojanisches Pferd der Werte moralischer Art” plötzlich nur noch „Werte wirtschaftlicher Art “ transportiert und verkauft werden.

14. Oktober 2005 in Leipzig. Imke Duplitzer nach ihrem Sieg um die Bronze Medaille gegen Russland für die Mannschaft in der Weltmeisterschaft im Fechten. (Getty Images)
14. Oktober 2005 in Leipzig. Imke Duplitzer nach ihrem Sieg um die Bronze Medaille gegen Russland für die Mannschaft in der Weltmeisterschaft im Fechten. (Getty Images)

Es hat mit Sicherheit auch einen komischen Beigeschmack, wenn man in diesem eigentlich architektonisch tollen Stadion in Peking steht und sich dann aber überlegt, wie viele Wanderarbeiter ‚rechtelos’ dieses Ding da hingebaut haben. Man könnte dann auch wieder sagen, das hat ja nichts mit dem Sport an sich zu tun – aber das ist auch wieder viel zu einfach, denn es hat sehr wohl auch etwas damit zu tun, denn wir werden in den Sportstätten tätig sein, die unter Bedingungen gebaut worden sind, die wir nie erfahren werden. Und ich gehe auch mal nicht davon aus, dass sie den Wanderarbeiter auf Rosen gebettet haben und dass er abends für seine harte Arbeit eine Thai-Massage bekommen hat.

ETD: Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter Politik? Ist das Recht, nicht gefoltert zu werden und am Leben gelassen zu werden, ein einfaches Menschenrecht oder ist das schon Politik?

Imke Duplitzer: Das sind eben genau die Diskussionspunkte, die ich schon einmal so in den Ring geworfen habe: Sind Menschenrechte ein Wert oder wird es eben zu einem Politikum gemacht, weil wir uns in ein kommunistisches System nach China begeben, das mit der Umsetzung dieses Grundwertes noch mittelschwere Probleme hat?

Ich habe auch immer von einem politischen chinesischen System gesprochen. Dass das nun gerade KP heißt – das Ding können sie nennen wie sie wollen … Da können die die Farbe wechseln wie sie wollen, das ist völlig schnurz, denn es geht ja schließlich darum, was drin ist. Das ist ja ein Gedankengut, ein System; und man muss auch gerade in China sehr gut unterscheiden zwischen den ganz normalen Leuten; ich meine jetzt das ganz normale chinesische Volk – du und ich auf Chinesisch – und dem politischen System. Es heißt immer, es sind 1,3 Milliarden Chinesen, aber die 1,3 Milliarden Chinesen sind die von einer kleinen Minderheit propagandistisch infiltrierten Bürger und nun mal eben nicht das politische System… Es gibt auch Leute, die mir Haarspalterei vorwerfen, aber für mich ist da ein Unterschied zwischen Haarspalterei und differenzierter Äußerung.

Was mir auch ganz wichtig ist, ist, dass ich auf keinen Fall 1,3 Milliarden Chinesen beleidigen will und auch nicht getan habe – davon distanziere ich mich und es geht mir auch auf den Zeiger, wenn mich manche als China-Hasserin hinstellen. Ich kritisiere ja nicht die Chinesen, sondern die Vergabe der Olympischen Spiele unter diesen Voraussetzungen an China. Das ist genauso, wenn ich mich zu der Vergabe der Spiele an Sotschi äußern würde – wie viele Russen habe ich dann damit beleidigt? Aber daran sieht man ja mal, wie einfach die sich das jetzt mit solchen Pauschalisierungen machen, anstatt mal dem eigentlichen Problem nachzugehen, das ich angesprochen habe.

ETD: Was würde passieren, wenn sich ein Sportler in einer Art und Weise für Tibet, die Menschenrechte oder Falun Gong einsetzen würde, die dem IOC überhaupt nicht recht wäre?

Imke Duplitzer, 2003. (Vladimir Rys/Bongarts/Getty Images)
Imke Duplitzer, 2003. (Vladimir Rys/Bongarts/Getty Images)

Imke Duplitzer: Das ist eine gute Frage, aber die Frage kann ich jetzt so nicht beantworten – nicht weil ich sie nicht beantworten will, sondern weil ich sie nicht beantworten kann. Es ist ja ein 6-Punkte-Plan vom IOC herausgegeben worden, der die Meinungsfreiheit noch einmal genauer definiert – aber eigentlich definiert er immer noch gar nichts. In einem dieser Punkte steht sinngemäß, dass sich das IOC die Wertung der Vorgänge vorbehält und damit sind wir einer Interpretation des IOC ausgeliefert. Eigentlich wissen wir als Sportler gar nicht so genau, was wir nun laut IOC dürfen und was nicht, denn eigentlich ist für mich keine erkennbare klare Linie vorgegeben. Der Punkt 6 dieses Planes ist aber auch sehr interessant, weil er besagt, dass man sich in der Rechtsstaatlichkeit des ausrichtenden Staates befindet. Jetzt kommt natürlich bei mir die Frage auf, darf ich in China das Wort Dalai Lama benutzen oder nicht – das ist tatsächlich eine Frage für mich, denn das, was bei uns hier unter freier Meinungsäußerung läuft, könnte in China ja unter Umständen schon als Provokation gewertet werden. Dieses ganze Thema ist dermaßen unübersichtlich und komplex für einen Athleten…

Dazu kommt, dass ich in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen kann und möchte, dass ich auch eine Verantwortung meinem Verband gegenüber habe. Also wenn ich mich jetzt ins Unglück reden würde, sodass ich nicht einreisen dürfte, nehme ich meinem Verband ja einen Startplatz weg und schwäche ihn. Und wenn mich Herr Vesper dann im Zusammenhang mit Tibet und den Menschenrechten fragt: „Ja, warum fahren Sie denn dann überhaupt da hin?” – dann empfinde ich das als Schlag ins Gesicht, weil ich mir sehr wohl darüber bewusst bin, dass ich auch eine Verantwortung gegenüber meinem Verband habe.

Glauben Sie mir bitte – das alles zusammen ist für einen Athleten mit Sicherheit nicht so einfach.

ETD: Was sind denn Ihre persönlichen Werte?

Imke Duplitzer: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg´ auch keinem andern zu.” Das ist so einer von den Leitsprüchen, nach denen ich versuche zu leben. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich so ein bisschen mit dem Buddhismus auseinandersetze und diese „Philosophie”, die dahinter steckt, gut finde. Man sollte schon schauen, wie ich einem anderen gegenübertrete – denn das ist genauso ein Mensch, der auch seine Gefühle hat, genau wie ich auch. Und wenn ich möchte, dass der meine Empfindlichkeiten respektiert, dann sollte ich auch seine Empfindlichkeiten respektieren.

ETD: Vielen Dank, Frau Duplitzer, und Ihnen weiterhin alles Gute

Die Fragen stellte Steffen Andritzke

Imke Duplitzer gewann im Fechten: Silber Mannschaft Athen 2004; Vizeweltmeisterin Einzel 2002; Europameisterin 1999; Militärweltmeisterin ´97/´99; Deutsche Meisterin ´99/ 2000/ 2001/ 2002/ 2004/ 2006; mehrfache Medaillengewinnerin mit der Mannschaft bei Welt- und Europameisterschaften; Teilnehmerin an den Olympischen Spielen 1996/2000 und 2004



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