„Wie kann man schweigen?“

Fackellauf mit Ines Geipel für Menschenrechte in China
Titelbild
Ines Geipel läuft für Deutschland beim globalen Fackellauf. (Foto: Friedrich)
Epoch Times17. August 2007

Ines Geipel, frühere Leistungssportlerin in der DDR, heute Schriftstellerin, ist Fackelträgerin für Deutschland in Berlin und München beim globalen Fackellauf für Menschenrechte in China. Die CIPFG, Koalition zur Untersuchung der Verfolgung von Falun Gong, ruft damit zum weltweiten Boykott der Olympischen Spiele Peking 2008 auf. The Epoch Times Deutschland bekam Gelegenheit zu einem Interview mit Ines Geipel.

Ines Geipel läuft für Deutschland beim globalen Fackellauf. (Ines Geipel läuft für Deutschland beim globalen Fackellauf. (Foto: Friedrich)

ETD: Frau Geipel, gab es einen Bezug zu China, bevor sie sich zu diesem Fackellauf entschlossen haben?

Ines Geipel: Meine erste innere Begegnung mit China war im Sommer 1989, als die Studenten sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking versammelten und zusammengeschossen wurden. Ich war auch Studentin und die DDR, wo ich aufgewachsen bin, lag in Agonie.

Ich habe mit meiner Freundin zusammen ein Plakat gemalt: „Solidarität und Trauer mit den chinesischen Studenten“ und das in die Uni in Jena gehängt. Das Plakat hing zwanzig Minuten, dann wurde es abgerissen und wir mussten vor Tribunale, wurden plötzlich zu „Vaterlandsverräterinnen“. Diese Situation hat mich schlagartig politisiert. Ich komme aus einer starken Indoktrination. Meine Eltern waren stramme Kommunisten.

Als Kind lebte ich wie in einem geschlossenen Kosmos. Aber in dem Moment, wo du deinen Finger rausstreckst aus den Gitterstäben und dich zeigst als ein einzelner Mensch, werden die Finger abgeschlagen. Meine Erfahrung war, in dem Moment, wo du bereit bist, aus der Masse herauszutreten und Haltung zeigst, musst du dich befragen, lernst du und gehst dann immer weiter. Das kann auch mal weh tun, aber es gibt nun kein Zurück mehr. Und es ist richtig, seine Stimme, sein Ich zu nutzen. Da gibt es gar keine Frage mehr.

ETD: Was bedeutete früher der Sport für Sie?

Ines Geipel: Die Bewegung mit dem Körper hieß in der DDR für mich: Diese eingeschlossene Welt beginnt sich zu bewegen. Sie wird größer. Wenn ich laufen konnte, habe ich mich nicht so starr gefühlt, bekam ich Zugang zu mir, zu meinen Gefühlen. Laufen war für mich immer auch ein Stück Freiheit.

ETD: Und machen Sie jetzt noch Sport?

Ines Geipel: Ja, ich muss. Ich habe sehr starke Blutschmerzen als Folge der Steroidvergaben. Wenn ich nicht wenigstens jeden zweiten Tag jogge, kann ich nicht schlafen vor Schmerzen. Eine Nachwirkung der männlichen Hormone ist Arteriosklerose. Das Blut verklumpt.

ETD: Ist das wirklich eine Folge der Medikamente, die man Ihnen als junge Sportlerin gegeben hat?

Ines Geipel: Ja. Das typische Doping der siebziger und achtziger Jahre waren männliche Steroide mit möglichen Nach- und Nebenwirkungen an allen Stellen des Körpers: Krebs, Hormonstoffwechselstörungen, behinderte Kinder oder ein kaputtes Herz. Wenn ich wie im Moment so vieles über China höre, dann ist das nicht wie Material für die Schriftstellerin, sondern mein Körper erinnert sich. Er sagt mir, dass es nicht richtig ist, Erfahrungen zu überlaufen.

ETD: Dieses Leben und diese Erlebnisse, die Sie hatten, ist das der Antrieb für Ihr Engagement?

Ines Geipel: Ja, es meldet sich das eigene Unruhesystem. Wir wissen doch, was wir uns aufladen, wenn wir nichts tun. Wir würden zu Komplizen. Ich erinnere mich genau an diese Ohnmachtssituationen in der DDR-Diktatur. Heute bin ich frei, kann ich sagen, was ich richtig finde, kann ich Verantwortung übernehmen und will es auch. Wenn wir nichts tun, verspielen wir die freie Welt. Wir wissen genug über die gegenwärtige Situation in China, über das viele Leid – wie kann man da schweigen?

ETD: In Ihrem Brief vom 1. Mai an Außenminister Steinmeier, Jacques Rogge, Präsident des IOC, Innenminister Wolfgang Schäuble und Thomas Bach, Präsident des DOSB, haben Sie von dem globalen Raum des Sports gesprochen, was meinten Sie genau damit?

Ines Geipel: Historisch gesehen hat sich der Sport immer als etwas Autonomes betrachtet, etwas Solitäre außerhalb der Gesellschaft. Die Olympischen Spiele als edle Feier eines Exklusivclubs. Aber das war immer schon Quatsch. Der Sport ist etwas Hochpolitisches. Liberale Gesellschaften werden mittels des Sports im Sinne von Brot und Spiele entpolitisiert. Und dafür wird viel Geld in die Hand genommen, für diese Art Scheinruhe. In globalen Zeiten kommt dem Sport zur Befriedung der Massen eher noch eine größere Rolle zu. Und deshalb muss man ihn auch neu verpflichten. Er hat eine neue Rolle und endlich Verantwortung zu übernehmen. Man kann vom DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) verlangen, dass er sagt: China hat Menschenrechte versprochen, also muss China sie auch gewährleisten. Der DOSB kann ganz konkret fordern: Die Welt will diese unabhängige Kommission zur Untersuchung der Verfolgung von Falun Gong und des Organraubs sehen. Das muss sofort sein, sonst gibt es keine Spiele. Und das muss auch das IOC fordern. Es gibt kein plausibles Argument, warum sich der Sport hier aus der Verantwortung stehlen darf.

ETD: Hat einer von den Adressaten bisher geantwortet?

Ines Geipel: Nein, aber eine Folge war, dass es im Bundestag Ende Januar 2008 eine Anhörung im Menschenrechtsausschuss geben wird zum Thema Doping in China und Olympische Spiele. Aber das ist nur ein Aspekt. Doping ist für mich unter den Bedingungen der Diktatur auch eine Menschenrechtsfrage. Wer gewährleistet den Schutz minderjähriger chinesischer Athleten? Wir müssen Konkreteres wissen, wie die Situation bei der Vorbereitung der Spiele in China selbst ist.

ETD: Was passiert, wenn man Dopingmittel schon Jugendlichen gibt?

Ines Geipel: Sie finden nicht in ihr Leben, sie kommen sich vollkommen abhanden. Das ist eine Form von Entmächtigung und von Missbrauch. In der DDR war es vor allem so, dass besonders weibliche Athletinnen durch die Hormonvergaben ja geradezu zu Zwitterwesen gemacht wurden. Die DDR hatte dieses konspirative Zwangsdopingsystem 1974 installiert, und es gibt hunderte Geschädigte heute. Die historischen Analogien zu China heute sind auffallend. In meinen Buch „Verlorene Spiele“ habe ich die These aufgestellt: Immer wenn eine Diktatur am Ende ist und mit dem freien Markt zusammenkommt, ist der Zugriff auf die schutzbefohlenen Körper in ihr am rabiatesten, weil in einer solchen Endphase jegliche Rechtssicherheit völlig versagt. Bekanntermaßen ist China in der Genforschung sehr weit, hat außerdem einen immensen Billigvertrieb an Dopingsubstanzen im Internet. Das sind alarmierende Indizien, denen nachgegangen werden muss.

ETD: Was vermuten Sie?

Ines Geipel: Die Vermutung ist, dass China für die Spiele im kommenden Jahr eine zweite, geheime Mannschaft vorbereitet, die momentan jeder Kontrollinstanz entgeht, da es sie ja praktisch nicht gibt. So ist etwa bekannt, dass 100 Schwimmer auf dem Weg nach Peking waren, von denen aber nur 50 in der dortigen Eliteschule ankamen. Was ist mit den anderen 50 passiert?

China hat sich für sein ehrgeiziges „Gold“-Projekt viel westliches Know-How eingekauft, natürlich auch ehemalige DDR-Leute. Schon das muss beunruhigen. Es ist fatal, dass sich kein IOC und kein anderes internationales Gremium für diesen besorgniserregenden Transfer interessiert.

ETD: Wenn Sie jetzt Fackelträgerin sind für den Fackellauf, was alles möchten Sie damit bewirken?

Ines Geipel: Zuallererst gibt es eine ganz eindeutige Botschaft: Es darf keine Olympischen Spiele in Peking geben, solange es diese ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen in China gibt. Wir müssen gemeinsam ein Ende der Verfolgung von Falun Gong, das Ende der Verfolgung aller politisch Malträtierten, das Ende der politischen Morderei, das Ende der Lager, das Ende der Todesstrafe erreichen, sonst wären die Spiele von vornherein diskreditiert. Kann ein einziger Athlet tatsächlich nächstes Jahr in Peking antreten, wenn er weiß, was in China geschieht? Das ist unvorstellbar und auch unaushaltbar! Insofern ist das Wichtigste, der Welt so viel wie möglich chinesische Realität vor Augen zu halten. Es braucht auch weiterhin die Berichte, die Bilder, die Gesichter, damit nicht gesagt werden kann: Ja, das haben wir alles nicht gewusst. Mir ist klar, dass es viel von Menschen verlangt, die so Schweres ertragen mussten. Aber die Poren des Westens sind verstopft. Sie zu öffnen für das erlittene Leid, ist womöglich das Mühsamste dabei.

ETD: Haben Sie schon Gegenwind bekommen gegen Ihre Aktivitäten?

Ines Geipel: Ich bin ja bekannt beim DOSB. Die wissen, dass ich nicht die „Teddyvariante“ bin. Eine verlogene Sportpolitik ist eine verlogene Sportpolitik. Und die muss öffentlich attackiert werden. Es ist unerträglich, dass Michael Vesper, Generaldirektor des DOSB und ehemals grüner Politiker vergangene Woche in Peking die Sportstätten als „zukunftsweisend“ bezeichnend und kein Wort zur politischen Situation in China sagt. Auf die Frage, was mit den Menschenrechten sei, sagte er, der DOSB reagiere „proaktiv“ darauf. Was soll denn das sein? Menschenrechte sind doch kein linksgedrehter Joghurt, Menschenrechte sind für uns, weil wir frei leben können, eine Verpflichtung. Wenn Olympia eine Zukunft haben will, dann doch nur, wenn wir an dieser Stelle eine klare Haltung beziehen: Peking 2008 nur, wenn wir in diesem Jahr China die Menschenrechte abfordern!

Die Fragen stellte Renate Lilge-Stodieck

Die Fackel für Menschenrechte in China wird am Sonnabend, 18. August in Berlin weitergegeben und eine symbolische Strecke getragen.

Nächster Fackellauf am Samstag, 25. August in München. Nähere Informationen unter

www.cipfg.de



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