Studie: Selbstfahrende Autos haben noch keine soziale Intelligenz im Verkehr

Eine preisgekrönte Studie aus Kopenhagen zeigt, dass selbstfahrende Autos nicht in der Lage sind, die sozialen Verhaltensregeln im Straßenverkehr zu verstehen. Anders als menschliche Fahrer können sie kaum einschätzen, ob sie auf Vorfahrt verzichten oder weiterfahren sollen.
Selbstfahrende Autos: Es fehlt ihnen an sozialer Intelligenz im Verkehr
Selbstfahrenden Autos fehlt es an sozialer Intelligenz im Straßenverkehr.Foto: iStock
Von 2. Juni 2023

„Habe ich Vorfahrt oder soll ich anderen diese geben?“, ist eine der grundlegendsten Fragen im Straßenverkehr, sei es beim Einfädeln auf der Autobahn oder auf dem Parkplatz. Diese Entscheidung trifft der Mensch in der Regel schnell und intuitiv, denn sie beruht auf sozialen Interaktionen, die uns nicht nur im Straßenverkehr vom ersten Meter an begleiten. Selbstfahrende Autos hingegen kennen zwar alle Verkehrsregeln, haben aber Schwierigkeiten mit solchen sozialen Interaktionen.

Dieses (Sicherheits-)Problem zeigt eine neue preisgekrönte Forschungsarbeit von der Fakultät für Informatik der Universität Kopenhagen auf. Die Forscher analysierten eine Reihe von Videos, die selbstfahrende Autos in verschiedenen Verkehrssituationen zeigen. Das Ergebnis: Für selbstfahrende Autos ist es besonders schwierig zu erkennen, wann sie Vorfahrt gewähren, wann sie darauf verzichten und wann sie weiterfahren müssen.

Testphase rollt weiter

„Die Fähigkeit, sich im Verkehr zurechtzufinden, basiert auf viel mehr als nur auf Verkehrsregeln. Soziale Interaktionen – einschließlich der Körpersprache – spielen eine große Rolle, wenn wir uns im Verkehr gegenseitig Signale geben. Hier hapert es noch bei der Programmierung von selbstfahrenden Autos. Deshalb ist es für sie schwierig, konsequent zu verstehen, wann sie anhalten müssen und wann jemand für sie anhält. Dies kann sowohl lästig als auch gefährlich sein“, erklärt Professor Barry Brown, der die Verhaltensentwicklung von selbstfahrenden Autos in den vergangenen fünf Jahren untersucht hat.

In den USA nutzen Taxidienste wie Waymo und Cruise teilweise selbstfahrende Autos. Auch Tesla hat sein „Full-Self-Driving“-Modell (FSD) an etwa 100.000 freiwillige Testfahrer in den USA und Kanada ausgeliefert. Gleichzeitig sind die Medien voll von Berichten darüber, wie gut selbstfahrende Autos funktionieren.

In Deutschland sieht die Situation etwas anders aus. Wie der ADAC schreibt, sollten fahrerlose Autos „eigentlich heute schon am Straßenverkehr teilnehmen können. […] Der ambitionierte Zeitplan hat sich jedoch immer wieder verschoben.“ Nachdem Bundestag und Bundesrat im Mai 2021 den rechtlichen Rahmen verabschiedet haben, folgen die konkreten Ausführungsbestimmungen jedoch erst nach und nach. Analog dazu steigt langsam die Zahl der Tests im realen Straßenverkehr. Getestet wird unter anderem in Hamburg, Darmstadt und München. In der bayerischen Großstadt will Sixt noch 2023 Robotaxis in den Verkehr bringen. – Laut ADAC „bis auf Weiteres allerdings mit einem Sicherheitsfahrer hinter dem Lenkrad“.

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„Entschuldigung, das ist ein selbstfahrendes Auto“

Laut Professor Brown und seinem Team ist die tatsächliche fahrerische Leistung autonomer Autos ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis. Daher führten die Forscher eine eingehende Analyse von Videos durch, die Probefahrer vom Rücksitz ihrer selbstfahrenden Autos aufgenommen haben.

Eines der Videos zeigt unter anderem eine vierköpfige Familie, die zu Fuß an einer Straße in einem Wohngebiet in den USA unterwegs ist. Es gibt keinen Fußgängerüberweg, aber die Familie möchte dennoch die Straße überqueren. Als sich das Fahrzeug nähert, wird es langsamer, woraufhin die beiden Erwachsenen der Familie mit den Händen winken, um dem Auto zu signalisieren, dass es weiterfahren soll.

Doch anstatt zu fahren, hält das Auto elf Sekunden lang direkt vor der Familie. Als die Familie die Straße überqueren will, setzt sich das Auto wieder in Bewegung, woraufhin die Familie zurück auf den Gehweg springt. Im Video deutlich zu sehen ist, dass die filmende Person auf dem Rücksitz das Fenster herunterkurbelt und ruft: „Entschuldigung, selbstfahrendes Auto“.

„Diese Situation ähnelt dem Hauptproblem, das wir in unserer Analyse gefunden haben. Es zeigt die Unfähigkeit selbstfahrender Autos, soziale Interaktionen im Straßenverkehr zu verstehen. Das fahrerlose Fahrzeug hält an, um Fußgänger nicht zu überfahren, fährt aber trotzdem in sie hinein, weil es ihre Signale nicht versteht. Das führt nicht nur zu Verwirrung und Zeitverlust im Verkehr, sondern kann auch ausgesprochen gefährlich sein“, so Professor Brown.

Nebel legt Autos lahm

Im technikbegeisterten San Francisco kann die Leistung selbstfahrender Autos aus nächster Nähe beurteilt werden. Hier wurden fahrerlose Autos in mehreren Teilen der Stadt als Busse und Taxis eingesetzt, die sich auf den hügeligen Straßen zwischen Menschen und Naturphänomenen bewegen. Laut den Forschern habe dies bei den Bewohnern der Stadt viel Widerstand hervorgerufen:

„Selbstfahrende Autos verursachen in San Francisco Staus und Probleme, weil sie sich nicht angemessen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern verhalten. Kürzlich berichteten die Medien der Stadt von einem chaotischen Verkehrsgeschehen, das durch selbstfahrende Autos und unschöne Wetterbedingungen verursacht wurde. Nebel führte dazu, dass die selbstfahrenden Autos überreagierten, anhielten und den Verkehr blockierten, obwohl Nebel in der Stadt sehr häufig vorkommt“, sagt Professor Brown.

An Roboterautos wird seit zehn Jahren gearbeitet und unzählige Milliarden für ihre Entwicklung ausgegeben. Das Ergebnis sind jedoch Autos, die immer noch mit vielen Fehlern fahren, andere Fahrer behindern und den reibungslosen Verkehrsfluss stören. Für die Wissenschaftler ist es von großer Wichtigkeit, dass bei der Programmierung von selbstfahrenden Autos auch soziale Interaktionen berücksichtigt werden.

„Ich denke, die Herausforderung ist, dass wir das soziale Element als selbstverständlich ansehen. Wir denken nicht darüber nach, wenn wir in ein Auto steigen und fahren – wir tun es einfach automatisch. Aber wenn es darum geht, Systeme zu entwerfen, muss man alles beschreiben, was wir als selbstverständlich ansehen, und es in das Design einbeziehen. Die Autoindustrie könnte von einem eher soziologischen Ansatz lernen. Das Verständnis sozialer Interaktionen im Straßenverkehr sollte genutzt werden, um die Interaktion von selbstfahrenden Autos mit anderen Verkehrsteilnehmern zu gestalten. – Genauso wie es bei der Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit von Mobiltelefonen und Technologie im Allgemeinen getan wurde“, schließen Brown und sein Team.

Die Studie erschien am 19. April 2023 im Tagungsband „CHI ’23: Proceedings of the 2023 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems“.



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