Insider: Was können Quantencomputer im Jahr 2023 wirklich?
Im Juni ließ ein leitender Angestellter von IBM verlauten, dass Quantencomputer in die Phase des „Nutzens“ eingetreten sind und experimentelle Hightech-Geräte nützlich werden. Im September ging die australische Chefwissenschaftlerin Cathy Foley sogar so weit, „den Beginn des Quantenzeitalters“ auszurufen.
Mitte Oktober wurde dann die australische Physikerin Michelle Simmons für ihre Arbeit an der Entwicklung siliziumbasierter Quantencomputer mit dem höchsten Wissenschaftspreis des Landes ausgezeichnet.
Es liegt auf der Hand, dass Quantencomputer gerade eine große Rolle spielen. Aber – um einen kleinen Schritt zurückzutreten – was genau sind die eigentlich?
Was ist ein Quantencomputer?
Eine Möglichkeit, über Computer nachzudenken, besteht darin, die Art von Zahlen zu betrachten, mit denen sie arbeiten.
Die digitalen Computer, die wir täglich benutzen, arbeiten mit ganzen Zahlen. Diese stellen Informationen in Form von Nullen und Einsen dar, die sie nach komplizierten Regeln neu anordnen. Es gibt auch analoge Computer, die Informationen als sich ständig ändernde oder reelle Zahlen darstellen. Diese werden über elektrische Schaltkreise, sich drehende Rotoren oder sich bewegende Flüssigkeiten geändert.
Im 16. Jahrhundert erfand der italienische Mathematiker Girolamo Cardano eine andere Art von Zahlen, die sogenannten komplexen Zahlen. Mit ihnen sollten scheinbar unmögliche Aufgaben wie etwa die Suche nach der Quadratwurzel aus einer negativen Zahl gelöst werden. Im 20. Jahrhundert und mit dem Aufkommen der Quantenphysik stellte sich heraus, dass komplexe Zahlen auch die feinen Details von Licht und Materie auf natürliche Weise beschreiben.
In den 1990er-Jahren kollidierten schließlich die Bereiche Physik und Informatik miteinander. Die Forschung entdeckte, dass einige Probleme viel schneller gelöst werden können, wenn Algorithmen mit komplexen Zahlen im Spiel sind.
Der nächste logische Schritt bestand darin, Geräte zu bauen, die mit Licht und Materie arbeiten, um diese Berechnungen automatisch für uns durchzuführen. Dies war die Geburtsstunde der Quanteninformatik.
Warum ist die Quanteninformatik so wichtig?
Normalerweise denken wir bei den Aufgaben unserer Computer an Dinge, die für uns von Bedeutung sind – Tabellenkalkulation ausgleichen, Live-Videos übertragen oder Reisen buchen. All dies sind jedoch letztlich Rechenprobleme, die in mathematischer Sprache formuliert sind.
Da die Quanteninformatik noch in den Kinderschuhen steckt, sind die meisten Probleme, von denen wir wissen, dass sie von Quantencomputern gelöst werden, in abstrakter Mathematik formuliert. Einige davon werden „reale“ Anwendungen haben, die wir noch nicht vorhersehen können. Andere werden dagegen eine direkte Auswirkung haben.
Eine davon wird die frühe Anwendung der Kryptographie sein. Quantencomputer werden in der Lage sein, die heutigen Internet-Verschlüsselungsalgorithmen zu knacken, sodass wir auch eine quantenresistente Verschlüsselungstechnologie brauchen werden. Eine nachweislich sichere Kryptographie und ein vollständiges Quanteninternet würden die Technologie des Quantencomputers nutzen.
In der Materialwissenschaft werden Quantencomputer hingegen in der Lage sein, molekulare Strukturen auf atomarer Ebene zu simulieren. So können neue und interessante Materialien schneller und einfacher entdeckt werden. Dies könnte bedeutende Anwendungen in den Bereichen Batterien, Arzneimittel und auf Gebieten der Chemie haben.
Quantencomputer werden auch viele schwierige Optimierungsprobleme beschleunigen, bei denen es darum geht, den „besten“ Weg zu finden. Dies wird es uns ermöglichen, größere Probleme in Bereichen wie Logistik, Finanzen und Wettervorhersage zu bewältigen.
Maschinelles Lernen ist ein weiterer Bereich, in dem die Supercomputer den Fortschritt beschleunigen könnten. Ob indirekt, indem Unterprogramme in digitalen Computern schneller werden oder direkt, wenn Quantencomputer als lernende Maschinen neu konzipiert werden.
Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Im Jahr 2023 wird das Quantencomputing aus den Kellerlaboren von Universitäten in die industriellen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen einziehen. Unterstützt wird dieser Schritt durch die Scheckbücher multinationaler Unternehmen und Risikokapitalgeber.
Die derzeitigen Prototypen für Quantencomputer – gebaut von IBM, Google, IonQ, Rigetti und anderen – sind noch weit von ihrer Perfektion entfernt. Heutige Maschinen sind von bescheidener Größe und fehleranfällig. Außerdem befinden sie sich in einer Phase der Entwicklung, die als „verrauschte Quantenzwischenstufe“ bezeichnet wird. Die empfindliche Natur winziger Quantensysteme bedeutet, dass sie anfällig für viele Fehlerquellen sind und die Korrektur dieser Fehler eine große technische Hürde ist.
Der Heilige Gral ist ein groß angelegter Quantencomputer, der seine eigenen Fehler korrigieren kann. Ein ganzes Ökosystem von Forschungsgruppen und kommerziellen Unternehmen verfolgt dieses Ziel mit unterschiedlichen technologischen Ansätzen.
Der derzeit führende Ansatz nutzt Stromschleifen in supraleitenden Schaltkreisen, um Informationen zu speichern und zu verändern. Diese Technologie wird von Google, IBM und Co. eingesetzt.
Eine andere Methode ist die Technologie der „gefangenen Ionen“. Sie arbeitet mit Gruppen elektrisch geladener atomarer Teilchen und nutzt die inhärente Stabilität der Teilchen, um Fehler zu reduzieren. Dieser Ansatz wurde von IonQ und Honeywell vorangetrieben.
Elektronen in winzigen Partikeln aus Halbleitermaterial einzuschließen, ist die dritte Möglichkeit. Dieses Verfahren kann dann mit der etablierten Siliziumtechnologie der klassischen Datenverarbeitung verschmolzen werden und wird von Silicon Quantum Computing vorangetrieben.
Eine andere Richtung ist die Verwendung einzelner Lichtteilchen (Photonen), die mit hoher Genauigkeit verändert werden können. Ein Unternehmen namens PsiQuantum entwickelt komplizierte Schaltkreise mit „geführtem Licht“, um Quantenberechnungen durchzuführen.
Unter diesen Technologien gibt es noch keinen eindeutigen Sieger – und es könnte durchaus sein, dass sich letztlich ein hybrider Ansatz durchsetzt.
Wohin wird uns die Quantenzukunft führen?
Der Versuch, die Zukunft der Quanteninformatik zu prognostizieren, ist ungefähr so, als würde man fliegende Autos vorhersagen und stattdessen mit Kameras in unseren Telefonen enden. Dennoch gibt es einige Meilensteine, von denen viele Forscher annehmen, dass sie im nächsten Jahrzehnt erreicht werden.
Eine bessere Fehlerkorrektur ist ein wichtiger Punkt. Wir erwarten einen Übergang von der Ära der verrauschten Geräte zu kleinen Geräten, die durch eine aktive Fehlerkorrektur Berechnungen unterstützen können.
Ein weiterer Punkt ist das Aufkommen der Post-Quantum-Kryptographie. Das bedeutet, dass kryptographische Standards eingeführt und übernommen werden, die von Quantencomputern nicht so leicht gebrochen werden können. Kommerzielle Nebeneffekte der Technologie wie beispielsweise die Quantensensorik sind außerdem in Sicht.
Die Demonstration eines echten „Quantenvorteils“ wird ebenfalls eine wahrscheinliche Entwicklung sein. Dies bedeutet eine überzeugende Anwendung, bei der ein Quantengerät der digitalen Alternative unbestreitbar überlegen ist.
Und ein Fernziel für das kommende Jahrzehnt ist die Schaffung eines groß angelegten Quantencomputers, der frei von Fehlern ist (mit aktiver Fehlerkorrektur). Wenn dies erreicht ist, können wir sicher sein, dass das 21. Jahrhundert das „Quantenzeitalter“ sein wird.
Über den Autor:
Christopher Ferrie ist als außerordentlicher Professor an der University of Technology Sydney, Australien, und am Centre for Quantum Software and Information tätig. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Quantenschätzung und -kontrolle sowie insbesondere die Verwendung von maschinellem Lernen zur Lösung statistischer Probleme in der Quanteninformationswissenschaft.
Dieser Artikel erschien im Original auf theconversation.com unter dem Titel: „Quantum computers in 2023: how they work, what they do, and where they’re heading“, Übernahme und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors (redaktionelle Bearbeitung ts)
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