Ein Theologe über die „Ikone der Klima-Apokalypse“
Darf man als evangelischer Theologe einen Sticker auf sein Auto kleben, auf dem „FUCK YOU GRETA!“ steht? Dieser Frage ging der Nürnberger Theologieprofessor Ralf Frisch nach, nicht zuletzt weil seine Nummernschildhalter die Inschrift „Unterwegs im Auftrag des Herrn“ tragen.
„Was sonst könnte ihn dazu bewegen, Greta Thunberg derart zu verunglimpfen – Greta Thunberg, die Zeichenhandlung gewordene Jeanne d’Arc des 21. Jahrhunderts, die nun in See sticht, um Sturm und Wellen und den Mächten und Gewalten der Welt zu trotzen wie weiland unser Herr? Welcher Teufel könnte einen halbwegs seriösen Theologen reiten, die Ikone der Klima-Apokalypse und des Kampfes gegen den menschengemachten Weltuntergang mit einem verbalen Stinkefinger derart sichtbar zu beleidigen?“, fragt der Geistliche.
Die Antwort ist Zorn. Er sei zornig. Denn er werde das Gefühl nicht los, „dass sich unsere bundesdeutsche Gesellschaft und die evangelische Kirche dieser bundesdeutschen Gesellschaft derzeit im Zustand einer freudigen, unheilserwartungsschwangeren Verblendung befindet und dass diese Verblendung nicht unproblematische religiöse Züge trägt.“
Klimaapokalyptische Vision
Wie könne man sich mit „derart heiligem Ernst der klimaapokalyptischen Vision unterwerfen“? Früher glaubten die Menschen an Gott. Sie glaubten an etwas „wirklich Glaubwürdiges, wirklich Großes, ja Ungeheures“.
Stattdessen würde dank europäischer Aufklärung der Glaube geschürt, die Welt würde in einer Klimakatastrophe untergehen.
Während Gott niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt, gilt für den unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang und seine mögliche Abwendbarkeit das genaue Gegenteil“, so Frisch.
Die Macht der Angst
Die Klimakatastrophe gehe alle Menschen an, vor allem die „Generation 20 minus“. Denn diese führe den Erstwählerinnen und Erstwählern das „Horrorszenario des Endes der habitablen Erde noch zu ihren Lebzeiten vor Augen“.
Dieses Horrorszenario erzeuge eine gewaltige Furcht, der „den angstmotivierten Glauben an Gott in den Schatten stellt“. Es zeige sich, dass Angst, Schmerz und ein unglückliches Bewusstsein notwendig seien, um „verantwortungsethisches menschliches Handeln“ zu erzwingen.
Es sei befremdlich, in welchem Ausmaß die Idee, das höhere Gut der Rettung der Welt gebiete notfalls das Opfer individueller Freiheit und das Opfer freiheitlicher Demokratie auch in der evangelischen Kirche schleichend an Plausibilität gewinnen würde.
Frisch sei entsetzt, dass die Bereitschaft, totalitär aufs Ganze zu gehen, wieder fröhliche Urstände in der Bundesrepublik feiere. Als Theologie sei er zutiefst davon überzeugt, dass „die Schuld-und-Sühne-Logik protestantismuswidrig und die Alles-oder-Nichts-Logik schöpfungswidrig ist“.
Der Raum der Schöpfung
Der Raum der Schöpfung sei der kostbare, nicht zuletzt durch die Sünde unendlicher Überhebung gefährdete Raum endlicher Freiheit – ein Raum des Sein-Dürfens und Sein-Lassens. Dieser Raum könne am besten im Licht des Evangeliums der Gnade und der Barmherzigkeit Gottes wahrgenommen werden.
Wer es sich angesichts der Klimadebatte jedoch erlaube, im beschriebenen schöpfungstheologischen Sinne oder im Sinne von Martin Luthers Logik der Zwei-Regimente-Lehre zwischen Gott und Mensch, zwischen Vorletztem und Letztem, zwischen Heil und Wohl und zwischen Politik und Religion zu unterscheiden und zu bezweifeln, ob der lebensraumgefährdende Sünder auch zur Rettung der Welt imstande ist, sehe sich schnell einem Shitstorm gegenüber.
Die Macht und die beängstigende Evidenz der Klimakatastrophen-Idee sei so groß, dass all jene, die nüchterne und kluge politische und technologische Schritte statt überhitzte Radikallösungen bevorzugen, für nicht ganz zurechnungsfähig, theologisch gesprochen: für die eigentlichen Sünder gehalten werden.
Tabu-Bruch: Klimaschutz-Kritik
Es könne keinen Zweifel daran geben, „dass im Zuge der biologischen und kulturellen Evolution auf dem Planeten Erde eine Spezies entstanden ist, die angesichts ihres Ressourcenverbrauchs zu einer echten Gefahr für sich selbst, für fast alle anderen Spezies und für die Biosphäre der Erde geworden ist.“
Man könne oder müsse über die politischen, technologischen und ökonomischen Wege zur Abwendung der Klimakatastrophe streiten. Doch dafür dürfe man sich nicht unentwegt dem Verdacht ökologischer Häresie oder Blasphemie ausgesetzt sehen. Es sei erforderlich, klarer zu sehen, angemessener zu denken und zu handeln. Und dazu müsse man ein Tabu brechen: „das Tabu vernünftiger, gebotener und sinnvoller Kritik an der herrschenden Klimaschutzsemantik und an der herrschenden Klimahysterie“.
Alternativlose Hellsichtigkeit
So verführerisch es sei, es schön und ermutigend zu finden, dass gerade junge Menschen wieder an etwas, genauer gesagt an eine große Idee und an eine große Vision glauben, so vorsichtig und bedacht sollte man dieser Glaubensbereitschaft zugleich begegnen. Einmal mehr könnte die Verblendung im Gewand alternativloser Hellsichtigkeit daher kommen
Übrigens: Den Fuck-you-Greta!-Sticker wird der Theologie „natürlich nicht“ an sein Auto kleben. Das erklärt er wie folgt:
„Ich würde ja den Teufel mit Beelzebub austreiben und an die Stelle des einen Wutbürgertums ein anderes Wutbürgertum, vielleicht sogar ein Trotzbürgertum setzen. Am Ende ist es besser, ich enthalte mich solcher Zeichenhandlungen und belasse es bei der Hoffnung, dass mein FUCK-YOU-GRETA!-Affekt eine genießbarere Frucht gezeitigt hat: die Frucht differenzierter, wenngleich nicht weniger riskanter theologischer Reflexion, die für das Angemessene statt für das Maßlose plädiert.“ (sua)
Der Artikel „Zwischen Klimahysterie und Klimahäresie – Kleines theologisches Spiel mit dem Feuer“ erschien in „Zeitzeichen“.
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